Süddeutsche Zeitung

"Watch Dogs: Legion" angespielt:Bauarbeiter, Banker und Babysitter retten die Welt

In dem Spiel kann jeder Passant zum Helden werden und die korrupte Regierung hacken. Abgesehen davon bleibt das Action-Adventure aus der Erfolgsserie einfallslos.

Von Caspar von Au

Eine Sache macht "Watch Dogs: Legion" auffallend anders. Normalerweise ist in storybasierten Computerspielen klar festgelegt, wer eine tragende Rolle spielt und welche Figuren letztlich nur zur Zierde dienen, damit die virtuelle Welt nicht so leer wirkt. Der Spieler steuert entweder einen vorgefertigten Helden (zum Beispiel Marcus Holloway in Vorgänger-Spiel "Watch Dogs 2") oder er bastelt sich einen Helden, wie in Spielen des Rollenspiel-Genres. Meistens gibt es noch eine Handvoll Wegbegleiter und Widersacher, aber die Mehrheit der Figuren hat keinerlei Einfluss auf den Ausgang der Geschichte. Im neuen "Watch Dogs" kann dagegen jede Figur zum Helden werden, egal ob Softwareingenieurin, Bauarbeiter oder obdachlos.

Die Ausgangslage ist allerdings weniger originell und folgt einem altbekannten Schema. Die Welt ist vom Untergang bedroht, der Spieler muss sie retten. Genauer: Es geht um London in einer nicht allzu fernen Zukunft, nach einer Reihe von Terroranschlägen hat das private Militärunternehmen Albion die Macht übernommen. Albion überwacht und drangsaliert die Bürger. Die Hackergruppe Dedsec will London von den Unterdrückern befreien. Wie schon in den Vorgängerspielen helfen dem Spieler dabei Hacker-Fähigkeiten, mit denen er Autos, Türschlösser und Menschen mit ein paar Klicks auf dem Smartphone manipuliert.

Am Anfang der Geschichte stehen der Spieler und Dedsec vor einem Scherbenhaufen. Der Großteil der Hackergruppe ist bei den Anschlägen getötet worden, die anderen sind untergetaucht, weil die britische Regierung Dedsec für die Terrorattacken verantwortlich macht. Der Spieler muss seinen Helden also erst aus einer Masse rebellischer Londoner auswählen, die zum Großteil der Computer generiert hat.

Lieber die Kryptografin oder die Babysitterin mit Maschinenpistole?

Der Entwickler Ubisoft hat sichtlich Arbeit in Details gesteckt. Jeder Kandidat hat seine eigene Biografie und bringt individuelle Fähigkeiten mit. Der Spieler hat die Wahl: lieber der Bankkaufmann Richard mit Beziehungen zu ranghohen Polizeibeamten, die Babysitterin Rose und ihre vollautomatische Maschinenpistole, oder doch die Bühnenautorin Meryl, die sich als ehemalige Kryptografin mit verschlüsselten Daten auskennt? Wer will, erfährt sogar für den Spielverlauf irrelevante Details wie das Jahresgehalt eines Helden oder seine Fetischvorlieben.

Es bleibt aber nicht bei dem einen Helden oder der einen Heldin. Der Spieler kann im Grunde jeden Passanten im Spiel für sein Hacker-Team rekrutieren - sofern er oder sie Dedsec gegenüber positiv eingestellt ist. Er kann jederzeit aussuchen, welchen der rekrutierten Charaktere er steuern möchte und zwischen ihnen wechseln. Der Aufwand, ganz London spielbar zu machen, muss enorm gewesen sein. Das zeigt sich allein in den Dialogen, vor allem in der englischen Sprachausgabe. Schlüpft der Spieler in die Rolle der Autorin Meryl aus Nordirland, spricht diese in den Zwischenszenen mit authentisch klingendem irischen Dialekt. Die Seniorin Kathleen wiederum drückt sich gewählter aus als die Queen. In einer Stichprobe von rund 20 Rekruten kam keine Stimme doppelt vor.

Allerdings hat "Watch Dogs: Legion" abgesehen von dem originellen Charaktersystem eine Menge Probleme, die den Spaß beim Spielen mindern. Die Story wirkt uninspiriert, die Autoren bemühen an vielen Stellen Klischees, die man aus jedem Actionfilm kennt. Zum Beispiel muss der Spieler gleich im Prolog eine Bombe entschärfen, in dem er farbige Drähte durchtrennt. Verlässt die Handlung dagegen bekannte Muster, wird es häufig wirr, manchmal sogar unlogisch. Warum etwa sollte ein Sicherheitsunternehmen wichtige Server nahezu unbewacht auf einem Hausdach im Freien stehen lassen? Noch dazu in einer Stadt, die nicht gerade für ihr gutes Wetter bekannt ist? In der Summe fehlt "Legion" zumindest in den ersten Spielstunden ein Spannungsbogen, der den Spieler motivieren könnte, die Hauptstory voranzutreiben.

Schlechte GTA-Kopie in Hacker-Setting

Ein weiteres Manko ist das unübersichtliche Leveldesign. Zwar ist es Teil des Spiels, dass sich der Spieler bei seinen Einbrüchen zum Beispiel in die Polizeizentrale den richtigen Weg ins und aus dem Gebäude erst suchen muss. Aber spätestens, wenn er zum fünften Mal um den Häuserblock geht, ohne einen Aufgang oder einen Schacht zu entdecken, trägt das nicht zu einem höheren Schwierigkeitsgrad bei, sondern stört den Spielfluss. Auch die auf der Übersichtskarte eingeblendeten Hinweise, wo genau sich das Ziel befindet, helfen nur teilweise weiter.

Im Gegensatz dazu stellen Begegnungen mit feindlichen Wachmännern und Soldaten in "Watch Dogs: Legion" keine große Herausforderung dar - was schade ist. Der Spieler kann sich zum Teil sogar durch deren Sichtfeld schleichen, ohne sofort entdeckt zu werden. Selbst wenn er auffliegt, nimmt er es in einer Schießerei problemlos mit drei, vier Gegenspielern auf. Auch viele Aufgaben in den Missionen sind zu leicht und zu eindimensional. Zu oft lautet die Problemstellung: Gehe an Ort X und lade irgendwelche Daten herunter.

Starke Momente erlebt der Spieler, wenn "Legion" dann doch mal originelle Ideen liefert. Zum Beispiel, wenn er einen Roboter in Spinnenform durch ein Labyrinth von Schächten steuert, um ihn aus einem Raum ohne Zugang herauszuholen. Wie schon die Vorgängerspiele erinnert das Game aber zu häufig an eine schlechte Kopie von "Grand Theft Auto" im Hacker-Setting. Daran ändert auch nichts, dass im Gegensatz zu GTA in "Watch Dogs: Legion" so viele Figuren spielbar sind.

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