Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf in sozialen Medien:Können Parteien mit personalisierter Werbung die Wahl manipulieren?

Auch deutsche Parteien nutzen Facebooks Datenschatz. Die Frage ist nur, ob das Wahlkämpfe sauberer macht oder schmutziger.

Von Jannis Brühl

Als wäre Donald Trumps Sieg nicht genug gewesen, löste im Dezember auch der vermeintliche Grund für diesen Sieg mittelschwere Hysterie bei seinen Gegnern aus: Hatte eine obskure Firma Massen von Wählern auf Facebook manipuliert und sie dazu gebracht, Trump zu wählen, wie ein Magazin-Artikel aus der Schweiz suggerierte? War beim Brexit Ähnliches passiert? Cambridge Analytica, so der Name des Unternehmens, setze im Auftrag von Trumps Kampagne sogenanntes Microtargeting ein, spiele also perfekt personalisierte Wahlwerbung aus, zugeschnitten auf die psychologischen Profile bestimmter Wählergruppen. Das klang nach: Undurchschaubare Big-Data-Methoden gefährden die Demokratie.

Bald stellte sich heraus: Noch besser als Cambridge Analyticas angebliche "psychologische Kriegsführung" war die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens. Welchen Einfluss die gezielt an Facebook-Nutzer ausgespielten Anzeigen wirklich auf den Wahlausgang hatten, konnte niemand seriös messen. Und doch ist das Thema entscheidend für die Wahlen der Zukunft. Auch deutsche Parteien nutzen die Möglichkeiten, die Facebooks Datenschatz über die Bürger bietet.

Facebook-Faktor: In der Echokammer

Deutschland vor der Wahl: Facebook ist zu einem entscheidenden Faktor geworden. Wie wird dort Politik gemacht, wie sehen die Facebook-Welten von rechts bis links aus? Die SZ wirft einen Blick in die Echokammern der politischen Lager - lesen Sie hier alle Texte zum Thema.

Ständig aktuelle Informationen über mehr als 20 Millionen potenzielle Wähler - für Parteien wäre es fatal, diese Chance nicht zu nutzen. Die Wahlkampfteams spielten bestimmte Werbung nur bestimmten Gruppen aus, erklärten praktisch alle größeren Parteien auf Anfrage der SZ.

Ein AfD-Politiker aus Baden-Württemberg wirbt auf Facebook: Vor dem Hintergrund einer schwarz-rot-goldenen Flagge zeigt ein Finger auf den Betrachter, dazu der Slogan: "Du bist Deutschland!" Facebook ist immerhin so transparent, Nutzern nach einem Klick auf "Warum wird mir das angezeigt?" zu verraten, dass der Absender "Personen erreichen möchte, die sich für Donald Trump interessieren".

Auf Anfrage bestreitet ein AfD-Sprecher allerdings, dass seine Partei "dark posts" einsetze. "Dark posts" oder "dark ads" - so nennen Online-Werber Beiträge, die nicht für alle Facebook-Besucher sichtbar im Hauptstrom einer Seite (zum Beispiel der einer Partei) auftauchen, sondern nur einer bestimmten Zielgruppe im individuellen Nachrichtenstrom angezeigt werden. Solche "dunkle Werbung" gilt manchen als Mittel gegen Filterblasen - und anderen als mögliches Instrument, um die Demokratie zu manipulieren.

Zielgruppe: "linksökologische Bevölkerung"

Nach der Aufregung über Cambridge Analytica war unklar, ob und in welchem Umfang individuell zugeschnittene Wahlwerbung auch im Bundestagswahlkampf zum Einsatz kommen könnte. Deutschland hat deutlich strengere Datenschutzbestimmungen als die USA, wo Parteien detaillierte Datensätze von Millionen Wählern kaufen und auswerten können. Dass politisches Microtargeting trotzdem auch in Deutschland möglich ist, haben nun Forscher der Hochschule für Politik (HfP) an der TU München nachgewiesen.

Das Team um den Politikwissenschaftler und Datenexperten Simon Hegelich identifizierte 149 000 Wechselwähler (definiert als Nutzer, die mehr als eine Partei "liken"). Statt Energie auf überzeugte Anhänger einer gegnerischen Partei zu vergeuden, können Wahlstrategen Werbung auf diese Gruppe der Unentschlossenen zuschneiden. Zum Beispiel identifizierten die Forscher unter Facebook-Fans der CDU Freihandelsgegner mit konservativen Werten, die in Mecklenburg-Vorpommern leben und auch die AfD liken. Nun könnten zum Beispiel Strategen der AfD diese Nutzer gezielt mit Anti-TTIP-Anzeigen bombardieren, die ein marktliberaler CDU-Follower nie zu Gesicht bekommt.

Wie sieht es in den Echokammern der Parteien aus?

Mit diesem Tool können Sie sich selbst in den politischen Echokammern umschauen. Wählen Sie dazu per Klick auf den Pfeil rechts oben zwei Parteien aus. Die Timelines aus deren Milieu werden Ihnen dann im direkten Vergleich präsentiert. Wie wir diese Feeds konstruiert haben, lesen Sie hier.

Hinweis der Redaktion: Mit dem Jahreswechsel 2017/18 werden die Nachrichtenfeeds der einzelnen Parteien nicht mehr aktualisiert. Ein Vergleich zurückliegender Posts bleibt aber weiterhin möglich.

Bei den in den jeweiligen Feeds angezeigten Posts handelt es sich nicht um Inhalte der SZ Digitale Medien GmbH, sondern um Posts, die von den dort angegebenen Urhebern im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlicht wurden. Die SZ Digitale Medien GmbH distanziert sich hiermit ausdrücklich vom Inhalt der Seiten Dritter. Die dort gezeigten Inhalte entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der SZ Digitale Medien GmbH. Die SZ Digitale Medien GmbH ist nicht verantwortlich i. S. von § 55 Absatz 2 RStV. Posts mit beleidigenden, diskriminierenden oder sonstigen strafrechtlich relevanten Inhalten können Sie uns über das Flaggen-Icon am oberen Rand jedes Beitrags melden.

Targeting gegen Filterblasen?

Wie solches Targeting in der Praxis aussehen kann, schildert Robert Heinrich, Wahlkampfmanager der Grünen: "Wir haben vier Bilder mit Botschaften ausgespielt, es ging um stärkere Anerkennung für Menschen in sozialen Berufen: Je eins an Hebammen, an Pflegekräfte, Krankenschwestern und Kita-Erzieherinnen." Auch die Linke erklärt, sie schicke Videos gezielt an einzelne Gruppen wie die "linksökologische Bevölkerung", "Frauen in Gesundheitsberufen" oder "Gewerkschaften".

Politikberater Martin Fuchs, der zum Thema recherchiert, hält das erst einmal für einen Fortschritt für die Demokratie. Endlich gebe es keine Streuverluste mehr bei politischer Werbung: "Die Familie zwischen 20 und 30 interessiert vielleicht nicht der Verkehrswegeplan, sondern eher Elterngeld."

Genaues Targeting könnte auch ein Gegenmittel gegen die vielbeschworenen Filterblasen sein, sagt Orestis Papakyriakopoulos, der an der HfP/TU-Studie beteiligt war. Sein Team stellt sogar die Frage, ob es nicht eine Pflicht zum Microtargeting gebe - im Sinne einer politischen Willensbildung aus möglichst verschiedenen Quellen. So könnten politische Botschaften Nutzer erreichen, die durch ihre Likes und abonnierten Seiten nur einseitige Informationen konsumieren: "Zum Beispiel kommen AfD-Anhänger, die sehr, sehr konservativ sind, nicht in Berührung mit anderen Ideen. Microtargeting kann das schaffen."

Das Problem ist allerdings: Während Wahlplakate im öffentlichen Raum hängen und Wahlwerbung im Fernsehen stark reguliert ist, entzieht sich zielgruppenspezifische Facebook-Werbung der öffentlichen Kontrolle: Die Anzeigen tauchen nur in den Timelines jener Gruppen auf, die Parteien ausgewählt haben. Andere Bürger, Journalisten und Wissenschaftler erfahren nicht, wer welche Werbung zu sehen bekommt, nicht einmal, welche Anzeigen überhaupt in Umlauf sind. Der Grüne Heinrich verkündet deshalb: "Wir werden in diesem Wahlkampf vorangehen und aus Gründen der Transparenz alle unsere Facebook-Anzeigen auch auf unserer Website veröffentlichen."

Durch die "dark posts" finde politische Werbung in einer "nichtöffentlichen Schattenzone des Netzwerks" statt, schreibt Adrienne Fichter in der Neuen Zürcher Zeitung, die mit Martin Fuchs zusammen die Technik untersucht. Verstärkt werde das Problem durch den Trend zu komplett abgeschlossener Kommunikation zwischen Werbenden und Nutzern - etwa auf Whatsapp oder Snapchat. Diese Intransparenz könnte die brutalen Seiten des Wahlkampfes fördern: etwa Negativwerbung, die andere Kandidaten verleumdet, oder die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung, um Bürgern gezielt Anreize zu geben, zu Hause zu bleiben. Mit Microtargeting auf Facebook könnten Parteien "instant influence" ausüben, also mit einer perfekt auf den Nutzer zugeschnittenen Anzeige eine Reaktion veranlassen, schreiben die Forscher der HfP/TU. So lasse sich Meinungsbildung beeinflussen.

Das gelte insbesondere, wenn Parteien ihre technischen Fähigkeiten weiter stärken und Big-Data-Methoden konsequenter einsetzen, sagt Berater Fuchs: "Man kann Ängste projizieren und Gruppen gegeneinander aufhetzen." Das sei "hochgefährlich", der demokratische Diskurs könne zerstört werden. "Parteien können Botschaften ausspielen, die sich widersprechen, ohne dass es jemand merkt." Zyniker würden womöglich sagen: Endlich können Politiker jedem die Lüge erzählen, die er gerne hören möchte - ohne, dass es auffällt.

Aber davon ist Deutschland in der Praxis noch entfernt. Fuchs versucht erst einmal, Fakten zusammenzutragen: Gemeinsam mit der Journalistin Fichter hat er in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, ihm Beispiele für "dark ads" zu schicken, auf die Nutzer in ihrem Stream stoßen.

Nutzer müssten die Fähigkeit herausbilden, Werbung zu erkennen, die auf Microtargeting beruht, sagt Fuchs: "Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass ihnen jetzt genau diese Anzeige angezeigt wird, weil sie zum Beispiel 18 Jahre alt sind und auf Punkrock stehen." Helfen könnte eine Kennzeichnungspflicht, sagt Forscher Papakyriakopoulos: "Parteien, die Microtargeting benutzen, sollten die Anzeigen entsprechend markieren." Und der Datenschutzaktivist Wolfie Christl mahnt, genau im Auge zu behalten, ob und wie die Parteien ihre eigenen Datensätze über Mitglieder und Sympathisanten mit den Facebook-Daten über Bürger verknüpfen.

Während Barack Obamas Team den datengetriebenen Wahlkampf in den USA schon 2012 perfektionierte, müssen die deutschen Parteien - auch aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten, persönliche Daten zu nutzen - noch besser zielen lernen. Wahlkämpfer Heinrich erzählt, er bekomme immer wieder FDP-Werbung ausgespielt. Und das sei ja bei ihm als eingefleischtem Grünen nun wirklich kein gutes Targeting.

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