Süddeutsche Zeitung

Vorratsdatenspeicherung:Gift für die Pressefreiheit

Wer "Je suis Charlie" sagt, weil ihm eine freie Presse wichtig ist, aber zugleich die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen will, ist ein Lügner: Diese Speicherung vergiftet die Pressefreiheit.

Von Heribert Prantl

Bis zum 7. Januar 2015 galt die Pressefreiheit allenthalben als Gedöns-und Sonntagsreden-Grundrecht. Sie wurde bei Jubiläen der Journalisten- und der Zeitungsverlegerverbände von Politikern lobend ausgepackt und anschließend wieder weggestellt. Sie hatte, vermeintlich, ihren Platz im Museum der Demokratie: als Erinnerung an deren Anfangstage im 19. Jahrhundert, als die Pressefreiheit, überall in Europa, das Universalgrundrecht zur Gestaltung der Zukunft war. Seit dem Anschlag in Paris, seit der Ermordung von zwölf Journalisten und Zeichnern des Magazins Charlie Hebdo, hat nun auch die Politik den aktuellen Wert der Pressefreiheit wieder erkannt; die Pressefreiheit wird in öffentlichen Erklärungen allenthalben gerühmt und gepriesen.

Umso makaberer sind rechtspolitische Forderungen und Folgerungen, die in der Union aus dem Attentat von Paris gezogen werden: Die CSU fordert massiv die rasche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland - sie propagiert also die generelle Speicherung von sämtlichen Telefon- und Internetdaten und den umfassenden staatlichen Zugriff darauf; die CDU tut das in verhaltenerer Form.

Wer Daten umfassend sammelt, gefährdet die Pressefreiheit

Wiedereinführung? Das alte deutsche Vorratsdatenspeicherungs-Gesetz, das bis 2010 galt, war sowohl ein Bürgerrechts- als auch ein Pressefreiheitskastrationsgesetz. Es scherte sich nicht um die Berufsgeheimnisse von Ärzten, Anwälten und Journalisten, auf deren Telefon- und Internetdaten ohne Ausnahme zugegriffen wurde. Unter anderem deswegen hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 das damalige Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Und unter anderem deswegen hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014 die einschlägige EU-Richtlinie zerrissen.

Das Verfassungsgericht warnte seinerzeit vor diesen Datenspeicherungen "mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Und der Europäische Gerichtshof erklärte, dass das Speichern von Kommunikationsdaten die Berufsgeheimnisse unter anderem von Journalisten nicht aushebeln dürfe.

Es hat also mit Betroffenheit wenig und mit Chuzpe viel zu tun, ausgerechnet das Attentat auf ein Presseorgan zu nutzen, um ein Gesetz wieder auf den Tisch zu legen, das von den höchsten Gerichten unter anderem wegen Unvereinbarkeit mit der Pressefreiheit von dort verbannt worden ist. Gewiss: Die Richter haben eine Datenspeicherung und einen Zugriff auf Daten nicht komplett verboten. Sie haben aber hohe und höchste Anforderungen daran geknüpft. Es ist sehr schwer, ein Gesetz zu formulieren, das all diese Anforderungen beachtet; und das ist gut so, weil Grundrechte starken Schutz brauchen. Es ist aber äußert ungut, wenn Politiker der CDU/CSU so tun, als habe ausgerechnet der Anschlag in Paris diese Anforderungen obsolet gemacht und die Hürden für den Zugriff auf die Kommunikationsdaten umgeworfen.

Wer "Je suis Charlie" sagt und zugleich umfassende Vorratsdatenspeicherung fordert, der lügt. Eine solche Vorratsdatenspeicherung vergiftet die Pressefreiheit.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2015/hatr
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