Süddeutsche Zeitung

Vor dem iPad-Verkaufsstart:Ein neues Erlösungsmodell

Bricht eine neues Computer-Zeitalter an oder bleibt das iPad ein Nischenprodukt? Vor dem US-Verkaufsstart des iPad spekuliert Amerika, ob Apple die Branche ein weiteres Mal revolutioniert.

Johannes Kuhn

Der vielleicht einflussreichste amerikanische Medientheoretiker des 20. Jahrhunderts hat das iPad unter die Lupe genommen und es für bahnbrechend befunden: "Es gibt keine Schnittstelle mehr, die Fingerspitzen eines Menschen agieren vielmehr als Schnittstelle", gab Marshall McLuhan dem US-Magazin Wired zu Protokoll, "die lange Geschichte des Humanismus - mit der ich die Entstehung des menschlichen Bewusstseins als Nebenprodukt unserer Sprache und Literatur meine - geht zu Ende, weil wir futuristisch dazu zurückkehren, alles per Hand zu machen."

Nun ist McLuhan bereits seit fast 30 Jahren tot, doch es passt, dass Wired ihm diese Worte in den Mund legte. Wahrscheinlich hatten alle lebenden Technologie-Gurus bereits ihre iPad-Philosophie irgendwo zum Besten gegeben - obwohl der US-Verkaufsstart des Geräts erst am Ostersamstag ansteht.

Seit der Vorstellung durch Apple-Chef Steve Jobs Ende Januar sind die Erwartungen an den flachen Handcomputer hoch: Berichten zufolge sollen Apple bereits 500.000 Vorbestellungen vorliegen, weshalb das Unternehmen das Auslieferungsdatum für Neubestellungen um eine Woche verschob. Apples Aktienkurs stieg seit der Jobs-Präsentation um mehr als 17 Prozent, innerhalb eines Jahres hat sich der Preis verdoppelt.

Ein Familiengadget

Doch auch wenn dieser Tage wieder Bilder von langen Schlangen vor den Apple Stores und Elektronikmärkten um die Welt gehen werden: Ob Apple-Chef Steve Jobs der Erfolgsgeschichte seines Unternehmens ein weiteres Kapitel hinzufügen kann, gilt noch nicht als ausgemacht.

Zwar integriert das iPad als Zwitter aus Smartphone und Netbook Funktionen, die bislang auf mehrere Geräte verteilt waren, doch Apple bewegt sich von der klassischen Zielgruppe weg. Statt Statussymbol für die digitalen Kreativen soll das iPad ein Gadget für die Menschen sein, denen Computer bislang zu kompliziert waren: Ein Familiengerät, das verschiedene Generationen nutzen können - die Eltern als digitales Buch, die Kinder als Videospielkonsole. Oder, wie es der Analyst Andy Hargreaves im Gespräch mit dem Nachrichtendienst Bloomberg ausdrückte: "Jeder, der auf der Couch sitzt und im Internet surfen möchte, jeder der auf der Couch sitzt und ein Buch lesen möchte gehört zur Zielgruppe."

Mit dem iPhone gelang es Apple, unsere Handygewohnheiten radikal zu verändern; soll das iPad zum Erfolg werden, muss Ähnliches bei der Computernutzung geschehen - für ein Drittgerät neben Laptop und Smartphone ist es nach Ansicht vieler Experten mit einem Preis von 499 Dollar aufwärts noch zu teuer. Branchenanalysten sind dementsprechend uneins: Die Schätzungen zu den Verkaufszahlen für 2010 reichen von 2,5 bis fünf Millionen.

Auf einen Verkaufserfolg hoffen auch viele Medienverlage, von denen einige bereits zum Start mit einer eigenen iPad-App an den Start gehen. Ob und wie viel die Nutzer dafür zahlen möchten, wird sich erst noch herausstellen: Das Wall Street Journal beispielsweise verlangt für sein iPad-App stolze 215 Dollar pro Jahr - das sind 75 Dollar mehr, als ein Abonnement von Print- und Online-Ausgabe zusammen jährlich kostet.

Dass die Entwickler von Applikationen die iPad-Nutzer für äußerst zahlungskräftig halten, gilt als ausgemacht: Vor einigen Tagen tauchte ein Screenshot des neuen App-Stores für das iPad auf - viele Applikationen, die es bereits für das iPhone gab, kosten für das neue Gerät das Doppelte.

Apple dürfte gegen saftige Preise nichts einzuwenden haben: Der Konzern behält 30 Prozent des Verkaufserlöses für sich. Brian Marshall, Analyst für Broadpoint AmTech, schätzt, dass bereits im nächsten Jahr ein Drittel der iPad-Einnahmen nicht vom Verkauf der Geräte, sondern von der Beteiligung an den App-Erlösen kommen wird.

Eine Lücke, die es schon lange gibt

Doch all diese strategischen und finanziellen Überlegungen dürften für Kunden kaum eine Rolle spielen - sie werden nun erst einmal gespannt auf die ersten Testberichte blicken. Einige Journalisten haben bereits ihre Eindrücke aufgeschrieben - die meisten davon sind positiv. "Es ist kein Ersatz für mein Notebook", schreibt Andy Ihnatko von der Chicago Sun Times, "Es fühlt sich eher so an, als wenn das iPad eine Lücke füllt, die es schon seit geraumer Zeit gibt."

"Es gibt Dinge, die es nicht kann, aber in dem, was es kann, ist es erstaunlich gut", gibt Tim Gideon vom Computermagazin PCMag zu Protokoll."Das iPad hat nicht besonders viele Features, es kann kein Multitasking", urteilt Lev Grossman vom Time Magazine, "Ich habe die virtuelle Tastatur ausprobiert, um die so viel Trara gemacht wird; es ist, als würde man mit Erfrierungen tippen. Es hat nicht einmal eine verdammte Kamera. Aber du wirst dich darum kümmern, weil wer auch immer seine anmutigen Formen und die intuitive Benutzerführung entworfen hat, sich um dich gekümmert hat."

Ende des Monats soll das iPad in Deutschland auf den Markt kommen. Spätestens dann wissen wir auch hierzulande, ob Apples neues Wundergerät hält, was es verspricht.

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