Süddeutsche Zeitung

Streit um Pornhub:Mehr Sex in der Primetime, bitte!

Wer etwas gegen sexualisierte Gewalt auf Pornoplattformen tun möchte, sollte über Pornos reden - und vor allem dafür bezahlen.

Kommentar von Philipp Bovermann

"Die Tage Ihrer Industrie sind gezählt", sagte US-Präsident Ronald Reagan im Jahr 1987, als er der Pornobranche den Kampf ansagte. Erzkonservative Kräfte führten damals einen heiligen Krieg gegen "Obszönität", die aus ihrer Sicht Sünde war. Sie hatten dafür ein vermeintlich schlagendes Argument entdeckt: Kinderpornos. Angeblich sei die Pornobranche davon nicht zu trennen. Seit in der New York Times im Dezember ein vielbeachteter Meinungsbeitrag mit dem Titel "Die Kinder von Pornhub" erschien, ist diese Diskussion wieder da.

Die Pornoplattform Pornhub habe ein Kinderpornografie-Problem, so die These des Autors, die er lediglich mit der Schilderung drastischer Einzelbeispiele belegt. Die Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard stellten daraufhin die Zusammenarbeit mit dem Konzern Mindgeek ein, der Pornhub und viele ähnliche Plattformen betreibt. Die Branche ist auf diese Plattformen angewiesen. Man kann also sagen: Die Finanzindustrie hat der Pornoindustrie den Geldhahn zugedreht. Eine fundamentalreligiöse Kampagne, die nach eigener Darstellung mit dem Autor des New York Times-Artikels in engem Austausch stand, jubelte darüber. Aber es gibt keinen Grund, in diesen Jubel einzustimmen. Kinderpornografie ist fraglos inakzeptabel. Doch der Bann richtet mehr Schaden an, als er abwendet. Wirklich helfen würde nur eines - aber das dürfte den Initiatoren der religiösen Kampagnen gegen Kinderpornografie wohl kaum schmecken: Es bräuchte mehr Pornografie. Bessere Pornografie. Echter Sex in der Primetime. Mehr Jugendaufklärung mit guten Pornos.

Wir müssen über Pornos reden, öffentlich und unverkniffen. Dann erst kämen sie aus den Schmuddelecken heraus, in denen die Politik nicht so genau nachgucken will, was da eigentlich passiert - mit entsprechenden Folgen. Was früher die speziellen Kinos in den schummerigen Ecken der Bahnhöfe waren, sind heute die Pornoplattformen. Die nach Körperflüssigkeiten und Einsamkeit riechenden Scham-Ecken des öffentlichen Raums wurden ins Netz verlagert, ansonsten hat sich kaum etwas verändert. Die angeblich so sexpositive Generation Tinder, die "übersexualisierte" Gesellschaft? Ein Witz. Es braucht endlich eine ehrlichere Diskussion über Pornografie. Nur das zeigt der gegenwärtige Streit um Pornhub.

Die Konzentration auf Pornhub ist ein Scheingefecht

Denn zusätzliche Restriktionen speziell gegen Pornoanbieter werden ein Problem nicht lösen können, das in den Funktionsprinzipien digitaler Plattformen wurzelt: Jeder kann Inhalte hochladen. Darunter können auch Darstellungen sexualisierter Gewalt sein. Das ist schrecklich, aber nicht dadurch zu verhindern, dass man das Internet zu einem unfreieren Ort macht, wie es nun zwei US-Senatoren fordern. Demnach sollen Videos mit sexuellen Inhalten im Netz nur dann erlaubt sein, wenn alle Darsteller ihre Klarnamen hinterlegt haben. Upload-Filter sollen das automatisch kontrollieren. Doch über anonyme, verschlüsselte Kanäle könnten Videos auch ohne diese Angaben weiter zirkulieren. Dort, im sogenannten Darknet, ist das Problem schon heute beheimatet. Die Konzentration auf Pornhub ist daher ein Scheingefecht, in dessen Mittelpunkt der Irrtum steht, dass Pornografie und sexualisierte Gewalt nicht scharf voneinander zu trennen seien. Aber das ist falsch. "Ein bisschen nicht einvernehmlichen" Sex gibt es nicht.

Dass diese Grenzen in der Pornobranche eben doch immer wieder überschritten werden, liegt auch am finanziellen Druck, der auf ihr lastet - durch die Entscheidung von Visa und Mastercard wird er nur noch größer. Wer also wirklich etwas gegen sexualisierte Gewalt auf Pornoplattformen tun will, könnte zum Beispiel anfangen, im Freundeskreis herumzufragen. Vielleicht möchte sich ja jemand neben dem Netflix-Konto noch ein weiteres Abo teilen - von einer der hochwertigen, fair produzierenden Pornoseiten, die es auch längst gibt.

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