Süddeutsche Zeitung

Virtuelle Realität:Vorsicht beim Teleportieren!

Mark Zuckerberg reist per Virtual Reality ins Katastrophengebiet Puerto Rico. Weil er dabei so gute Laune hat, wird es ein PR-Desaster. Die moralischen Fragen der Technik sind noch zu klären.

Von Michael Moorstedt

Spielt sich irgendwo eine Naturkatastrophe ab, befolgen die Mächtigen dieser Welt eine strenge Choreografie. Hinfliegen, Betroffen gucken, aufmunternd auf Schultern klopfen, Hilfe zusagen und wieder abreisen. Das funktioniert so schon seit einer geraumen Weile. Und dann ist da noch Donald Trump. Der beschimpft die Einwohner von Puerto Rico lieber via Twitter, nachdem ein Hurrikan das US-Außengebiet Ende September schwer getroffen hatte.

Ein anderer Weltenlenker, der sich der Standard-Kondolenzprozedur ebenso erfolgreich und unkonventionell entzogen hat, ist Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dem ja durchaus Ambitionen nachgesagt werden, irgendwann Trumps Nachfolger werden zu wollen. Er benutzte die hauseigene Virtual-Reality-App Spaces, um Puerto Rico einen "Besuch abzustatten", und freilich wurde das ganze als Stream über das Netzwerk übertragen. Man sah also eine kulleräugige, stetig grinsende Comic-Version vom echten Zuckerberg vor einem 360-Grad-Hintergrund einer überschwemmten und zerstörten Stadt. Die Schere im Kopf hätte gar nicht größer sein können.

Die Aufführung wurde für Zuckerberg zum PR-Desaster

Das Virtual-Reality-Video war eigentlich als gefühlvolles Marketing-Ding gedacht, in dem Zuckerberg die neue App und zugleich die humanitären Anstrengungen seines Unternehmens vorstellen sollte. Facebook spendet ein paar Millionen für die Wiederaufbauhilfe und unterstützt das Rote Kreuz außerdem mit Datenanalysen, um herauszufinden, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird.

So weit, so lobenswert. Trotzdem entwickelte sich die Aufführung für Zuckerberg zum PR-Desaster. Das lag neben der bizarren Präsentation auch an den Dingen, die sein Cartoon-Alter-Ego und die anderen angeschlossenen Facebook-Manager von sich gaben. Mit einem begeisterten "Verrückt, man fühlt sich, als sei man mittendrin!", ging es los. Die Avatare klatschten in die Hände und dann fragte Zuckerberg, ob man sich nicht doch woanders hin teleportieren wolle. Es ging dann in seine kalifornische Villa.

Das perfekte Medium für Katastrophentourismus?

Was folgte, war ein veritabler Shitstorm. "Gefühlloser Milliardär" war noch die harmloseste Umschreibung, und so sah sich Zuckerberg nur einen Tag nach dem Stream zu einer Entschuldigung genötigt. Wie konnte das passieren? Schließlich wurde die Virtuelle Realität ja an vielen Stellen als "ultimative Empathiemaschine" beschrieben. Als neue Möglichkeit, das Leben und Leiden der Menschen auf der Welt wahrzunehmen, ja sogar mitzuempfinden. Doch was ist, wenn gerade das Gegenteil der Fall ist? Wenn das gerade Gesehene durch die hyperrealen Bilder an Dringlichkeit verliert? Ist Virtual Reality statt einer Mitgefühlsmaschine vielleicht doch eher das perfekte Medium für Katastrophentourismus?

Es ist das erklärte Ziel von Virtual Reality, die echte Welt und deren Simulation so wenig unterscheidbar wie möglich zu machen. Es scheint, als schwinge das Pendel in beide Richtungen. Psychologische Studien haben gezeigt, dass sich Menschen in virtuellen Umgebungen anders verhalten als in der echten Welt, gefühlskälter, pragmatischer. Nicht umsonst fordern Informatiker und Sozialwissenschaftler gleichermaßen einen Moralkodex für die künstliche Realität. Was darf man zeigen und was nicht? Und warum verstört es die Leute mehr, wenn Zuckerberg in ein Virtual-Reality-Video eingebettet ist als es wahrscheinlich in einer normalen Filmaufnahme der Fall gewesen wäre? Noch immer ist das neue Medium auf der Suche nach dem richtigen Ton.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2017/jab
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