Virtual Reality:Rauswerfen, aber mit Empathie

Talespin

Das VR-Programm von Talespin

(Foto: Screebshot: Talespin)

Ein Virtual-Reality-Programm will Menschen beibringen, wie sie Angestellte ohne großen Stress entlassen können. Ist das nun die Killer-Applikation für diese Technologie?

Von Michael Moorstedt

Barry hat ein mieses Leben. Die Frau ist tot, und die Enkelkinder haben sich auch schon ewig nicht mehr gemeldet. Das Haar ist grau, die Sorgen haben tiefe Furchen in seine Stirn gezogen. Was ihm noch bleibt, sagt er, sei seine Arbeit. Zu dumm, dass es ausgerechnet heute darum geht, ihn rauszuschmeißen. Hinter den schalldichten Glasscheiben des Büros arbeiten die Kollegen ungerührt weiter, während im Inneren ein Leben den Bach runtergeht.

Barry existiert nur in einem Computerprogramm. Der sogenannte "Virtual Human" wurde vom Start-up "Talespin" entwickelt und soll Führungskräften beibringen, ihre Mitarbeiter mit einer annehmbaren Mischung aus Mitgefühl und Bestimmtheit rauszuschmeißen. Vielleicht ist das die Killerapplikation für die Virtual Reality, die ja immer noch nach einem richtigen Einsatzzweck sucht.

Als "neue Ära des Lernens" und des Mitarbeitertrainings preisen die Hersteller ihre Software an. Polizeibehörden benutzen Virtual Reality, um ihre Beamten auf Amokläufe vorzubereiten, und in Tausenden Walmart-Filialen in den USA werden den Angestellten die Brillen aufgesetzt, damit sie lernen, wie man Kunden während des Schlussverkaufs befriedet. "Equal Reality", ein Konkurrenzunternehmen, hat sich dagegen auf die Vermittlung von Lebensentwürfen am Arbeitsplatz spezialisiert. Die Teilnehmer lernen, wie man angemessen mit queeren Angestellten umgeht, ohne in Fettnäpfe zu treten. Es gibt auch Programme, die sexuelle Belästigung oder Mobbing zum Thema haben.

"Empathiemaschine"

Unangenehme Situationen in der Simulation durchgehen, ist nichts Neues. Der Einsatz der VR-Technik macht den Unterschied. Wenn man den verzweifelten Barry direkt vor Augen hat, entfaltet das Lernen eine andere Wucht, als wenn man sich nur durch Fragen im Weiterbildungstool klickt. Nach dem VR-Training würden sich Testergebnisse um zehn bis 15 Prozent verbessern, versprechen die Entwickler.

Als "Empathiemaschine" hat der Filmemacher Chris Milk die virtuelle Realität einmal bezeichnet. Das ist schon ein paar Jahre her, damals bestand noch ein Restglaube daran, dass durch digitale Technologien die Welt verbessert werden könnte. So setzte Milk den Mächtigen auf dem Weltwirtschaftsforum die Brillen auf und zeigte ihnen Aufnahmen aus syrischen Flüchtlingslagern oder Krankenstationen bei einer Ebola-Epidemie. Szenen also, die man vom Privatjet aus auf dem Weg nach Davos schon mal übersehen kann.

Die Programme von Talespin und seinen Konkurrenten sind sozusagen der Gegenentwurf. Sie geben zwar vor, Empathie zu fördern. In Wahrheit geht es darum, Ausnahmesituationen so lange zu trainieren, bis ein gewünschtes Ergebnis erzielt wird. Das Barry-Programm wird ja gestartet, um Menschen beizubringen, wie sie Angestellte ohne großen Stress entlassen können.

Was die Entwickler nicht erwähnen, ist, dass sie außerdem von einem mechanistischen Menschenbild ausgehen. So weit, wirklich sämtliche Eventualitäten abzubilden, die sich im zwischenmenschlichen Umgang ergeben können, ist die Software natürlich noch lange nicht. Barry folgt also ziemlich stumpf ein paar festgeschriebenen Dialogpfaden, die Reaktionen des Avatars werden von Schlüsselwörtern ausgelöst. Ist man zu direkt während des Kündigungsgesprächs, vergräbt er das Gesicht in die Hände und fängt an zu schluchzen. Bei anderem Versagen steht er auf, fuchtelt mit den Armen und brüllt und flucht. Dann ist die Simulation gescheitert, es ist Zeit für den Neustart.

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