Virtual-Reality-Brille Oculus Rift:Hightech, die Leiden lindert

Ein Mann spielt ein Spiel mit der Virtual-Reality-Brille Oculus Rift

Ein Mann nutzt die Oculus Rift für ein Videospiel. Doch die Virtual-Reality-Brille könnte auch anders eingesetzt werden.

(Foto: dpa)

"Das ist fantastisch": Eine schwerkranke alte Dame läuft mithilfe einer Datenbrille durch die virtuelle Toskana und genießt so eine Freiheit, die ihr der Krebs seit langem verwehrt. Schon wird diskutiert, ob Geräte wie Oculus Rift sich auch zur Behandlung kranker und traumatisierter Patienten eignen.

Von Hakan Tanriverdi

Roberta Firstenberg hat einen Traum. Darin reist Enkelin Priscilla mit ihr in die Zukunft und heilt sie dort von ihrem Krebs. Jenem Krebs, der Firstenberg daran hindert, ihr Haus in Seattle zu verlassen. In ihrem Traum kann die ältere Dame endlich wieder einen Blick auf die Welt erhaschen, draußen vor ihrer Haustür. Sie vermisst diese Welt, besonders ihren Garten und die Schmetterlinge.

Als Firstenberg ihrer Enkelin von diesem Traum erzählt, hat diese eine Idee: Sie schreibt eine Mail an die Entwickler von "Oculus Rift", einer Virtual-Reality-Brille (VR), und bittet um ein Exemplar. Die Brille gaukelt dem Benutzer über zwei kleine Bildschirme eine dreidimensionale Umgebung vor. Dreht der Nutzer seinen Kopf, registriert das Gerät die Bewegung und passt den Blickwinkel entsprechend an. Gerade erst hat Facebook den Hersteller der Brille aufgekauft - für 2,3 Milliarden Dollar.

Als Priscilla Firstenberg das Gerät tatsächlich zugeschickt bekommt, lädt sie eine virtuelle Version der Toskana hoch und setzt ihrer Großmutter die Brille auf. Was danach geschieht, ist in einem Youtube-Video zu sehen: Oma Roberta taucht ins virtuelle Italien ab und findet es dort fantastisch. Während es in Seattle regnet und schneit, scheint in der Toskana-Demo die Sonne. Roberta begutachtet Schmetterlinge und weite Felder. Endlich kann sie das Haus verlassen, ohne dafür auch nur aus ihrem Sessel aufstehen zu müssen.

Einsatz abseits von klassischem Gaming?

Seit Priscilla Firstenberg das Video im November ins Internet stellte, haben es mehr als 200 000 Menschen angeschaut. Oma Roberta ist mittlerweile verstorben. Aber noch immer bekommt die Enkelin Feedback von Internetnutzern, wollen Menschen mit ihr sprechen, die von den vielseitigen VR-Brillen begeistert sind, die bislang vor allem in der Gaming-Branche eine Rolle spielen.

Virtuelle Realität als Lebenshilfe für schwerkranker Patienten? Brillen gar als Behandlungsmethode, etwa in der Trauma-Therapie? Die Technikseite The Verge beschreibt ein konkretes mögliches Einsatzgebiet der VR-Techhnik: die Behandlung von Soldaten, die an posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) erkrankt sind. In diesem Feld könne es sich lohnen, die VR-Brille einzusetzen, heißt es in dem Artikel. Diese und ähnliche Überlegungen beruhen bei aller Unterschiedlichkeit darauf, mithilfe der VR-Technik den Traumapatentienten in die Situation hineinzuversetzen, die das Trauma ausgelöst hat.

Christiane Eichenberg sieht solche Ansätze kritisch. Die Professorin für klinische Psychologie hat sich in einer Studie (hier als PDF-Datei) mit dem Forschungsstand auseinandergesetzt, den es zur Behandlung psychischer Störungen mithilfe virtueller Realitäten gibt. Sie warnt, dass der Einsatz von VR-Technik nicht die Fähigkeiten eines Klinikarztes ersetzen kann: "Diejenigen, die VR in der Therapie einsetzen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass diese Werkzeuge immer Teil eines größeren Therapieplanes, also ergänzend, sein müssen", so Eichenberg.

Langfristigen Ergebnisse Effekte sind nicht stabil

Die klassische Traumatherapie verlaufe in verschiedenen Phasen, erklärt die Psychologin: "Es beginnt mit der Stabilisierungsphase. Dort lernen die Patienten Techniken, um sich zu distanzieren und selbst zu beruhigen. Damit können sie verhindern, ständig von Erinnerungsbildern überflutet zu werden." In den Studien zum Einsatz von VR-Technik seien die Patienten aber ohne diese Stabilisierungsphase vor den Bildschirm gesetzt worden. "Das entspricht nicht dem Stand der Forschung", sagt Eichenberg. Was fehle, sei der Aufbau einer "tragfähigen therapeutischen Beziehung".

Die Konfrontation mit der traumatisierenden Situation erfolge in der klassischen Therapie erst in einer zweiten Phase. Menschen, die an 9/11 beispielsweise gesehen haben, wie die Türme des World Trade Centers brennen und einstürzen, durchleben diese Bilder erneut. "In so einem Fall hat man in Pilotstudien ausprobiert, ob die VR-Therapie funktioniert, ebenfalls bei Kriegs- und Terroropfern", sagt Eichenberg: "Die ersten Studien scheinen erfolgversprechend zu sein, aber wenn man sich die Daten genauer anschaut, sind die langfristigen Effekte nicht stabil", sagt die Psychologin. Genau das aber sei das Ziel: "Der Effekt soll ja nicht bis kurz nach der Behandlung anhalten, sondern langfristig."

Ohnehin hegt Eichenberg grundsätzliche ethische Bedenken: Wie sinnvoll könne eine VR-Therapie bei Krieg, Terror und Gewalt sein, fragt sie. "Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen", so Eichenberg: "Soll einer Frau, die vergewaltigt wurde, so oft eine Vergewaltigung vorgespielt werden, bis sie es nicht mehr schlimm findet?" Die Gefahr sei, die Patienten aufs Neue zu traumatisieren.

VR-Brillen bieten auch Vorteile

Das Beispiel von Roberta Firstenberg nimmt Eichenberg von dieser Kritik jedoch aus: Hierbei handele es sich um ein ganz anderes Problem. Auch bei Flug-, Platz-oder Spinnenangst sei nachgewiesen, dass eine Konfrontation über VR-Brillen genauso effektiv sei wie klassische Verfahren. Sie biete sogar Vorteile, da die Patienten sich eher dazu bereit erklärten, mitzumachen. Statt in ein echtes Flugzeug zu steigen, umgeben von unbekannten Passagieren, könne in einer Simulation in einem privaten Umfeld der gleiche Effekt erzielt werden.

"So etwas sehen wir hier ja auch", sagt Eichenberg über das Video. "Die alte Dame ist krank, und kriegt positive Reize vermittelt, die sie so sonst nicht wahrnehmen kann. Sie kann ihren begrenzten Raum mittels moderner Techniken erweitern. Das ist sicherlich sinnvoll und hilfreich, gerade in der Bewältigung solch schwerer Krankheitsverläufe."

Roberta Firstenberg hat sich sehr über die VR-Brille und die virtuelle Toskana gefreut. Am Ende des Videos schaut sie in die Kamera und sagt, nach kurzem Zögern: "Ich kann es nicht glauben. Man hört ja immer wieder von solchen Dingen, man ist vorbereitet. Aber es ist ein völlig neues Erlebnis (im englischen Original sagt sie: "a bubble of new life"). Das ist fantastisch."

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