Technologie-Hype:Warum Virtual Reality für alle bisher Fantasy geblieben ist

Technologie-Hype: Am Anfang steht der Wow-Effekt. Doch dann beginnt die Brille zu drücken. VR ist noch nicht ausgereift.

Am Anfang steht der Wow-Effekt. Doch dann beginnt die Brille zu drücken. VR ist noch nicht ausgereift.

(Foto: Samuel Zeller/Unsplash)
  • Virtual bzw. Augmented Reality galt jahrelang als das nächste große Ding in der Tech-Branche.
  • Doch bei den Konsumenten hat sich die Technologie bisher nicht durchgesetzt. Dazu sind die Produkte zu teuer und unausgereift.
  • Im professionellen Bereich gibt es dagegen vielversprechende Anwendungen, zum Beispiel in der Medizintechnik.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und dann steht da, mitten im Wohnzimmer, ein knallgelber Ford Mustang. Oder es laufen Bösewichte auf einen zu, die man mit einem beherzten Griff zur Pistole und ein paar präzisen Schüssen niederstrecken kann. Das Gehirn braucht ein wenig, sich an solche Szenarien zu gewöhnen, es kann einem durchaus auch ein bisschen schwindlig werden, denn: Die Augen sehen etwas, von dem das Gehirn überzeugt ist, dass es keinesfalls dort existieren kann.

So funktionieren Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), und auf der Technikmesse CES in Las Vegas waren kürzlich wieder zahlreiche Unternehmen damit beschäftigt, den Besuchern die Vorzüge der Technologien anzupreisen. Eine chinesische Firma zeigte einem zum Beispiel nach dem Aufsetzen der Brille eine Ruine in Malaysia - und dann ein Bild, wie dieser Palast vor ein paar Tausend Jahren ausgesehen hat. "Es ist möglich, durch das Kolosseum von Rom zu spazieren - und es so zu erleben, wie es die Leute damals gesehen haben", sagt die Mitarbeiterin, und dann sagt sie diesen Satz, den man schon so oft gehört hat in Verbindung mit dieser Technologie: "Alles ist möglich. Alles."

Es wäre in der Tat beeindruckend, durchs Kolosseum zu flanieren und diese Stimmung von damals quasi live zu erleben, allerdings: Warum sieht die gezeigte Ruine in Malaysia derart unecht aus, irgendwie, nun ja, nach Virtual Fantasy und nicht nach Virtual Reality? Warum wirkt diese halb nackte Frau an der Tanzstange neben dem Fernseher wie das Hologramm der Imperatoren in Star Wars und nicht wie jemand, der sich tatsächlich im Wohnzimmer befindet? Warum teilt einem das Gehirn mit, dass man in diesen knallgelben Ford Mustang niemals einsteigen könnte, weil das Bild doch arg ruckelt?

Die nackten Zahlen künden vom Ende des Hypes

"Es gibt diese Aufregung um Virtual Reality nun schon so lange, es wird seit Jahren als das nächste große Dinge der Technikbranche angepriesen", sagt Nicholas Pappageorge von der Analysefirma CB Insights: "Die Geduld der möglichen Kunden ist nun langsam erschöpft, und auch bei den Investoren sitzt das Geld nicht mehr so locker." Es scheint, als erlebe Virtual Reality nach Jahren des kulturoptimistischen Hypes und kulturpessimistischer Bedenken gerade einen kulturrealistischen Check - und auf nichts gucken sie im Silicon Valley bei so einer Überprüfung lieber als auf die nackten Zahlen.

Vor zehn Jahren begann die Aufregung über diese möglicherweise bahnbrechende Technologie, im Jahr 2008 investierten die Risikokapitalgeber in den USA insgesamt 49,8 Millionen Dollar in Start-ups. Diese Zahl wurde schnell größer, sechs Jahre später waren es schon 736,4 Millionen - und dann kaufte Facebook in jenem Jahr für 2,3 Milliarden Dollar den kalifornischen Headset-Hersteller Oculus VR. "Das war der Moment, in dem die Technologiebranche endgültig vom Hype erfasst wurde", sagt Pappageorge: "Nach diesem Zukauf wurden Tausende von Start-ups gegründet, die sich mit Virtual Reality beschäftigten."

Facebook hat auf der CES sein neues Produkt Oculus Quest vorgestellt, das im Frühling auf den Markt kommen soll - mit dem Spiel, bei dem die oben erwähnten Bösewichter auf einen zustürmen. Das macht Spaß, gewiss, doch sogar Facebook-Chef Mark Zuckerberg gab kürzlich zu, dass er von seinem Ziel, weltweit eine Milliarde Menschen mit Virtual-Reality-Headsets auszustatten, noch weit entfernt ist: "Wir haben ein Prozent des Weges geschafft, vielleicht sogar ein bisschen weniger - aber ich bin davon überzeugt, dass wir unser Ziel erreichen werden." Da muss aber noch Einiges passieren: Weltweit verkaufte Virtual Reality-Headsets im vergangenen Jahr: sieben Millionen. Die Zahl der weltweit verkauften Smartspeaker wie "Assistant" von Google oder "Alexa" von Amazon: knapp 100 Millionen.

Folgt nach dem "Tal der Enttäuschungen" das "Plateau der Produktivität"?

Es gibt einen neuen Hype, und das zeigt sich eben auch anhand der Investitionen in Virtual Reality und Augmented Reality in den USA, die nach dem Höchststand im Jahr 2016 (1,54 Milliarden Dollar) auf 809,9 Millionen Dollar im vergangenen Jahr zurückgegangen sind. Das ist noch immer sehr viel Geld, aber eben nur noch ein bisschen mehr als die Hälfte des Hype-Höhepunkts. Es gibt zahlreiche Firmen, Vrideo zum Beispiel oder Future Lighthouse, die keine Investoren mehr gefunden und deshalb den Betrieb eingestellt haben.

Klar, es hat durchaus erfolgreiche VR/AR-Projekte gegeben, die Videospiele Pokémon Go und Beat Saber zum Beispiel oder den VR-Trip "Star Wars: Secrets of the Empire", der seit ein paar Monaten in Disneyland angeboten wird. Das Problem, noch immer: Für den Massenmarkt sind die Headsets noch immer sehr teuer, und ein VR-Projekt benötigt große Datenmengen. Die Branche hofft deshalb, wie so viele Unterbereiche der Technikindustrie, auf die Ankunft des Mobilfunkstandards 5G. "Die Kunden sind heutzutage gewohnt, hohe Qualität möglichst schnell und zu einem erschwinglichen Preis zu bekommen", sagt Lewis Smithingham, der mit seiner Firma 30 Ninjas Inhalte für VR-Headsets herstellt: "Diesen Dreiklang können Smartphones und Headsets derzeit noch nicht leisten. Mit 5G sollte das klappen."

Während es im professionellen Umfeld bereits viele Anwendungen gibt, etwa die des Münchner Start-ups Brainlab, die Chirurgen wertvolle Unterstützung liefern können, sieht es auf dem Massenmarkt anders aus. Vielleicht hat es diesen Realitätscheck gebraucht, diesen bei Innovationen typischen Einbruch, wenn die viel zu hohen Erwartungen nicht sogleich erfüllt werden, und der auf dem "Hype-Zyklus" des Beratungsunternehmens Gartner das "Tal der Enttäuschungen" genannt wird. Was danach folgt: "Pfad der Erleuchtung" und "Plateau der Produktivität". Ein knallgelber Ford Mustang, der das Gehirn tatsächlich überzeugt, sofort einsteigen zu können.

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