Süddeutsche Zeitung

Videostreaming:So funktioniert das Geschäft der Redtube-Abmahner

Sie verstecken sich hinter Briefkastenfirmen und Späh-Software: Anwälte verschickten Abmahnungen an Tausende Deutsche, weil diese beim Erotikportal Redtube Videostreams angesehen haben. Langsam wird deutlich, wie die Abmahner arbeiten.

Von Johannes Boie

Kurz vor Weihnachten erhielten viele Tausend Deutsche Post, aber es waren keine Geschenke drin. Stattdessen: eine Abmahnung von Rechtsanwalt Thomas Urmann aus Regensburg. 250 Euro sollten die Empfänger zahlen, sie hätten sich einen urheberrechtlich geschützten Film auf dem Gratis-Sex-Portal "Redtube" angeschaut, hieß es. Pornos werden von professionellen Abmahnern besonders gerne abgemahnt, weil viele Postempfänger aus Scham keinen rechtlichen Beistand suchen. Betroffene, aber auch unabhängige Rechtsexperten rätseln seither, ob die Massenabmahnung legal war.

Und langsam dringt Licht in den Nebel, mit dem sich die Abmahner umgeben. Nach SZ-Recherchen sind hauptsächlich sechs Personen an den möglicherweise illegal zustande gekommenen Abmahnungen beteiligt. Dazu gehören die bereits bekannten Rechtsanwälte Thomas Urmann aus Regensburg und Daniel Sebastian aus Berlin sowie der Ingolstädter Andreas Roschu, der zusammen mit einem Mann namens Christian Neumeyer für die Technik zuständig war.

Außerdem mit im Team: der Offenbacher Ralf Reichert, der sich um die Videorechte gekümmert hat, und der Darmstädter Abmahn-Veteran Michael Eisele. Alle Beteiligten kennen sich, nach Angaben von Urmann gab es erst unlängst ein gemeinsames Treffen. Der Regensburger Anwalt ist bislang der einzige der Gruppe, der bereit ist, sich öffentlich zu äußern.

Jedes Mitglied hatte offenbar eine eigene Aufgabe. Urmann selbst hat die Abmahnungen verschickt. Er gibt an, mit der technischen Jagd auf die Porno-Nutzer nichts zu tun gehabt zu haben. Daniel Sebastian war dafür zuständig, mit Hilfe des Landgerichts Köln und der Telekom die IP-Adressen realen Postadressen zuzuordnen. Das Gericht hat bereits verkündet, dass es sich von ihm getäuscht fühlt: In seinen Anträgen an das Gericht hatte er mehrfach von "Downloads" statt von "Streaming" geschrieben.

Möglicherweise "Beihilfe zu betrügerischen Abmahnungen"

Die Richter haben ihre Beschlüsse, mit denen sie den Abmahnern zunächst geholfen hatten, inzwischen revidiert. "Indem Sebastian das Landgericht in die Irre führte, könnte er zu betrügerischen Abmahnungen Beihilfe geleistet haben", sagt auch Ulf Buermeyer. Der Berliner Richter ist Experte für digitale Themen.

Die IP-Adressen der Nutzer, die Sebastian bei Gericht einreichte, hatte zuvor Andreas Roschu gesammelt - mit Hilfe einer Software namens GladII, die Neumeyer mit in die Gruppe gebracht haben soll. Roschus Unterschrift findet sich auf mehreren offiziellen Dokumenten, unter anderem hat er das Unternehmen itGuards mit Hilfe eines Internetservices in den USA für ein paar Hundert Dollar gegründet. Das beweist eine Art Handelsregisterauszug des Staates Delaware. Der Ingolstädter trägt einen großen Teil des rechtlichen Risikos, während sich der Rest der Gruppe zurückhält. Roschu soll schwer verschuldet sein.

Die Briefkastenfirma itGuards, an deren offizieller Adresse in den USA kein Büro zu finden ist, diente dazu, GladII einen offiziellen Anstrich zu geben; die Software soll ein Produkt der Firma sein. Tatsächlich dürfte itGuards außer ihrem Gründer Roschu und Neumeyer keine Beschäftigten haben. Stattdessen ist sie eng verwoben mit der Schweizer AG The Archive, zu der Ralf Reichert gehört.

The Archive ist als Auftraggeber der Abmahnungen Urmanns Mandant. Die Firma machte die Rechte an den Filmen geltend, die die abgemahnten Nutzer im Netz gesehen haben sollen. Auch daran, ob diese Rechte korrekt erworben wurden, gibt es nach Recherchen der Tageszeitung Die Welt große Zweifel. Archive-Mann Reichert, der sich um die Videorechte kümmert, arbeitet mit Michael Eisele zusammen. Der ist, wie Urmann, ein alter Haudegen der Abmahnszene und Geschäftsführer der Firma DigiRights Solution, die seit Jahren in Abmahnverfahren die Technik erledigt. Und er hat die "Redtube"-Aktion wohl zum Teil vorfinanziert.

Ordentlich bezahlt werden musste zum Beispiel die Münchner Patentrechtskanzlei Diehl und Partner. Deren Mitarbeiter Frank Schorr hat gleich mehrere Gutachten für Neumeyer geschrieben, in denen er der Software GladII attestierte, sogar protokollieren zu können, wann ein Nutzer ein Video abspielte und wann er es pausieren ließ. Wie dies nach dem Stand der Technik auf legalem Weg möglich sein soll, ist unklar. "Mir ist nicht ersichtlich, auf welcher rechtlichen Grundlage eine solche Datenerhebung zu rechtfertigen sein könnte", sagt IT-Rechtsexperte Buermeyer. Das Vorgehen dürfte datenschutzrechtlich unzulässig sein, meint er.

"Vollmundiges" Gutachten bescheinigt Funktionstüchtigkeit

War der Einsatz des Schnüffelprogramms illegal? Urmann verweist auf Schorrs "Gutachten zur Funktionstüchtigkeit der Software ,GladII 1.1.3'". Und genau hier liegt der Knackpunkt. Der Patentanwalt argumentiert, er habe nur die Funktionstüchtigkeit geprüft - nicht die Funktionsweise. Schorr sagt, seine Gutachten seien "vollmundig" betitelt gewesen. Allerdings heißt es darin auch: "Die bei den Tests durchgeführten Aktionen beruhen technisch auf üblichen Internet-Technologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen ließen." Zum Inhalt eines weiteren Gutachtens, das die Großkanzlei Heussen aus München für Neumeyer erstellt haben soll, beruft sich die Kanzlei auf ihre Verschwiegenheitspflicht, so wie es Diehl und Partner ebenfalls in Bezug auf die Details ihrer Gutachten und Auftraggeber tun.

Im Kern geht es um folgenden Vorgang: Schaut ein Nutzer ein Video im Netz, gibt es eine Verbindung zwischen seinem Rechner und dem Server, auf dem das Video liegt. In diese Verbindung will sich Roschu legal eingeklinkt haben, um die IP-Adresse des Nutzers zu speichern. Nur wie?

Denkbar sind mehrere Möglichkeiten. Entweder die Videos selbst waren so manipuliert, dass sie eine Verbindung zu einem Server, auf dem die Überwachungssoftware lief, hergestellt haben. Oder der Flashplayer, also das Abspielprogramm auf der Redtube-Webseite wurde manipuliert, um Nutzerdaten heimlich zu speichern und zu verschicken. Beides wären Hackereingriffe.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs

Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass jemand bei der Erotikfirma hinter Redtube, Mindgeek, den Abmahnern geholfen haben könnte. Möglich wäre auch, dass die Nutzer über eine andere Webseite ohne ihr Wissen auf die Videos geleitet wurden. "Abmahnungen, die auf solchen ,Klickfallen' aufbauen, wären rechtlich als - zumindest versuchter - Betrug zu werten", sagt Buermeyer. Bei allem Zweifel an der Legalität der Software: Auftraggeber Neumeyer soll so fest an GladII geglaubt haben, dass er sich um ein Patent dafür bemüht haben soll. Er soll es jedoch nicht erhalten haben.

Wie geht es nun weiter mit der Abmahn-Gruppe? Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt wegen Betrugs gegen Urmann. Sie hat große Teile des Verfahrens von ihren Kollegen aus Hamburg übernommen. Dort ist die Akte auf mehrere Ordner und Bände angewachsen.

Der Fall schreibt Rechtsgeschichte. Es geht um viel mehr als ein paar schmuddelige Filmchen. Wo beginnt im Netz die Urheberrechtsverletzung? Fast jeder Nutzer schaut Videos, zum Beispiel auf Youtube. Kann er wissen, welcher Clip legal, welcher illegal ist? Wann darf man ihn zur Kasse bitten? Die Bundesregierung hat sich bereits geäußert. Sie ist der Meinung, dass "das reine Betrachten eines Videostreams" im Regelfall keine Urheberrechtsverletzung ist.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2014/mahu
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