Videospielmesse Gamescom:Trendsuche auf dem Milliardenmarkt

Tausende Gamer pilgern zu Europas größter Videospielmesse in Köln. Auf der Gamescom lässt sich erahnen, wie die Strategen der Spielehersteller die neuen Herausforderungen der Branche meistern wollen. Doch der große Wurf, der sie wirklich voranbringen könnte, ist nirgends zu sehen.

Pascal Paukner, Köln

Fast alle sind wieder gekommen. Die Nerds sind da, genauso wie Cosplayer, also Menschen, die wie Videospielfiguren gekleidet sind. Auch die Anzugträger haben ihre Vertreter geschickt. Schließlich geht es hier um einen Milliardenmarkt.

Computerspiele-Messe 'Gamescom'

Noch immer sind es meist junge Männer mit überdurchschnittlicher Bildung, die sich tagelang auf der Gamescom tummeln. Doch auch immer mehr Frauen spielen.

(Foto: dapd)

Seit Donnerstag ist in Köln-Deutz Europas größte Videospielmesse, die Gamescom, für das Publikum geöffnet. Und das erscheint zahlreich. 250.000 Besucher werden bis Sonntag erwartet. Köln hat knapp über eine Million Einwohner. Es ist also eine Invasion. Seit Tagen ist die Stadt mit Plakaten zugepflastert, die die Bevölkerung auf das Event einstimmen sollen. "Celebrate the games!", steht an jeder Straßenecke.

Einige hatten bezweifelt, dass alles wieder werden würde, wie es schon immer war. Größer, bunter und lauter. Anfang August hatten die Branchenriesen Nintendo und Microsoft bekannt gegeben, der Veranstaltung in diesem Jahr fernbleiben zu wollen. Man wolle die Kunden auf anderem Wege ansprechen, ließ man die erstaunte Fachpresse wissen. Ob nun das Ende der Computerspielmesse drohe, fragten sich viele.

Andere mutmaßten, die Absage habe vor allem damit zu tun, dass die besagten Unternehmen keine nennenswerten Neuigkeiten im Gepäck hätten. Die Spieler selbst hat das wenig beeindruckt. Sie pilgern in Scharen nach Köln. Schon Minuten nach Eröffnung der Veranstaltung bilden sich Menschentrauben vor den Ständen der großen Anbieter. Manche stehen sich stundenlang die Beine in den Bauch und testen dann zehn Minuten lang ein Spiel, das es in ein paar Wochen auch im Handel zu kaufen gibt.

Noch immer sind es meist junge Männer mit überdurchschnittlicher Bildung, also Jugendliche aus der Mittelschicht, die sich tagelang auf der Gamescom tummeln. Sie sind gut vernetzt und zahlungskräftig. Sie sind Nerds, aber in einem positiven Sinne. Die meisten sitzen nicht zu Hause, essen Pizza und trinken Cola. Das ist Vergangenheit, und das wissen nicht nur die Computerspielehersteller.

Vorwurf der Innovationslosigkeit

Auch die Bundeswehr ist anwesend und wirbt um den Nachwuchs. Unis und Fachhochschulen sind stark vertreten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin schaut vorbei. Bundestagsabgeordnete schreiben Pressemitteilungen, in denen die Bedeutung der Branche für den Wirtschaftsstandort hervorgehoben wird. Die Junge Union hat einen Stand gemietet und engagiert sich gegen ein Verbot von Killerspielen. Der Zentralverband des deutschen Handwerks schließlich hat rund um das Messgelände Großformatplakate aufhängen lassen, auf denen sie die Jugendlichen zu einer Karriere in einem Handwerksbetrieb ermutigen.

Spieler - sogenannte Gamer - sind gefragt in diesen Tagen, genauso wie Innovationen. Denn auch wenn es vordergründig so scheint, als gehe alles seinen gewohnten Gang, als wachse alles so vor sich hin, ist Innovationslosigkeit ein Vorwurf, den sich die Industrie zuletzt häufiger gefallen lassen musste. Nahezu alle großen Produktionen, die auf der Gamescom im Mittelpunkt stehen, sind Fortsetzungen oder Erweiterungen etablierter Videospielserien.

Billigproduktionen boomen

Der Branchenverband Bitkom rechnet auf dem deutschen Videospielmarkt in diesem Jahr mit einem Umsatzrückgang von knapp vier Prozent. Die Aktienkurse fast aller großer Hersteller sind in den vergangenen Monaten regelrecht abgestürzt. Das zweitgrößte Unternehmen auf dem Markt, Electronic Arts, hat mehr als die Hälfte seines Börsenwerts verloren, und das, obwohl die Umsatzahlen stimmen. Der große Wurf, die Innovation, die die Branche substanziell voranbringen könnte, ist nirgends zu sehen. Weder bei Electronic Arts noch anderswo. Überhaupt ist fraglich, wie und womit die Branche in Zukunft Geld verdienen will.

Mobile und Social Gaming und die Digitalisierung der Vertriebswege - das sind die Themen, die Computerspielehersteller derzeit am meisten umtreiben. Es sind Zukunftsmärkte, die ein rasantes Wachstum versprechen. 40 Prozent waren es allein bei den Spielen für Smartphones und Tablet-Computer im ersten Halbjahr. In Deutschland spielen inzwischen 24 Millionen Menschen regelmäßig Computerspiele, darunter sind immer mehr, die auf keine Gamescom fahren, um sich hochauflösende First-Person-Shooter anzuschauen. Es sind Frauen und ältere Menschen, die auf ihrem Smartphone wütende Vögel durch die Luft schießen oder mit ihren Freunden digitale Erdbeeren auf Facebook anpflanzen.

Dass diese Spiele oftmals Billigproduktionen sind, denen es an popkulturellem Tiefgang fehlt, stört die neuen Gamer nicht. Hauptsache ist, dass die Spiele kostenlos oder zumindest kostengünstig sind - und dass sie nicht über den traditionellen Handel, sondern direkt im Netz bezogen werden können. Für die großen Spielehersteller ist dieser Wandel, würde er sich in dieser Geschwindigkeit fortsetzen, eine Katastrophe. Auch wenn jetzt noch alle von den Chancen reden, die das Free-to-play-Prinzip angeblich bietet, bleibt die Frage auch in Köln unbeantwortet, was genau an einzelnen Cents besser sein soll als an vielen Euros.

Wie schnelllebig und unberechenbar das Geschäft geworden ist, zeigt ein Blick auf die, die zunächst den Eindruck erweckten, sie hätten es verstanden. Das auf Browsergames spezialisierte amerikanische Unternehme Zynga ist innerhalb weniger Jahre zu einem milliardenschweren Börsenunternehmen gewachsen. Jetzt sind die Kunden gelangweilt, und Investoren stellen das Geschäftsmodell in Frage, das darauf basierte, dass einige wenige durch den Kauf digitaler Zusatzgüter die kostenlos spielende Mehrheit finanzieren. Der deutsche Hersteller dtp entertainment, der sich zuletzt verstärkt im selben Segment engagiert und auf neue Geschäftsmodelle umgesattelt hatte, musste im Frühjahr Insolvenz anmelden.

Ein Hoffnungsschimmer bleibt der Industrie immerhin. Der digitale Wandel wurde in den Chefetagen nicht ignoriert. Fast alle großen Unternehmen experimentieren mit den neuen Möglichkeiten. Frank Gibeaus, Chef des EA Games-Label, kündigte kürzlich an, EA zu einer hundertprozentigen Digitalfirma umbauen zu wollen.

In der Musikindustrie und der Verlagsbranche findet keiner den Mut zu solchen Sätzen, und das nach Jahren des digitalen Wandels. Wer den kläglichen Niedergang der Popkomm in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wünscht der Gamescom eine bessere Zukunft. "Celebrate the games (so lange es sie noch gibt)", hat niemand auf die Plakate in der Kölner Innenstadt geschrieben. Vielleicht sollte man es tun.

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