Videospiele für Tablets und Smartphones:Gameboy zum Telefonieren

Angry Birds

Wütende Vögel im Weltraum: "Angry Birds" ist eines der erfolgreichsten Spiele für mobile Geräte.

(Foto: Rovio)

Videospiele für Tablets und Smartphones werden immer beliebter, die meisten davon kosten erstmal nichts. Die Spieleentwickler fördern die Kostenlos-Mentalität der Kunden sogar. Ihr Geld verdienen sie später. Und anders.

Von Jürgen Schmieder

Das Geschrei war immens: Dieses wunderbare Geschäftsmodell, das jahrzehntelang für fette Umsätze und Gewinne sorgte, funktionierte plötzlich nicht mehr. Die Kunden liefen nicht mehr wie Lemminge in die Geschäfte und bezahlten brav für die Produkte, sondern holten sie sich aus dem Netz. Ohne dafür zu bezahlen. Die Musikindustrie hatte es wirklich nicht leicht am Anfang dieses Jahrhunderts, Künstler wie Björk prognostizierten das "Aussterben", David Bowie gar den "totalen Zusammenbruch".

Derzeit befindet sich erneut ein Bereich der Unterhaltungsindustrie im Wandel, wieder wird ein jahrzehntelang funktionierender Umsatzgenerator infrage gestellt. Wieder wollen die Menschen die Produkte erst einmal kostenlos haben, und wieder spielt das Internet eine bedeutende Rolle: Die Menschen zocken Videospiele nicht mehr nur auf dem Computer oder auf stationären und tragbaren Konsolen, sie laden die Produkte auf ihre Smartphones und Tablets. Die Zeiten des Oligopols, sowohl für die Hersteller von Konsolen als auch für die Entwickler von Spielen, sie sind erst einmal vorbei.

"Das iPhone ist letztlich ein Gameboy, mit dem man auch telefonieren kann", sagt Hendrik Lesser. Er sitzt im Vorstand des deutschen Branchenverbandes G.A.M.E. und leitet die Produktionsfirma remote control productions. "Ein Großteil der heruntergeladenen Applikationen sind Spiele", sagt er. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Distimo machen Spiele 48 Prozent der Downloads für das iPad aus, 33 Prozent für das iPhone und 37 Prozent für Android-Geräte.

Zunächst sind die Spiele gratis

Der Unterschied zur Musikbranche liegt darin, dass die Produzenten die Erst-mal-umsonst-Mentalität der Kunden nicht beklagen, sondern sie sogar fördern und in ihre strategischen Entscheidungen einbeziehen. "Von den 100 erfolgreichsten mobilen Spielen sind etwa 90 zunächst kostenlos", sagt Lesser. "Free to play" nennt sich das, die Kunden können die Spiele testen und werden erst später zur Kasse gebeten, wenn sie kniffligere Rätsel, mächtigere Protagonisten oder einfach nur Hilfe bei einem Spielabschnitt haben möchten.

Geld verdienen die Entwickler dann, wenn es ihnen gelingt, die Spieler anzuheizen, sodass sie unbedingt weiterspielen möchten und auch bereitwillig dafür bezahlen. Wie das funktioniert, zeigt das Spiel "Angry Birds" des finnischen Entwicklers Rovio: Die ersten Abschnitte gab es gratis, die wütenden Vögel wurden zu einem popkulturellen Phänomen. Mehr als zwei Milliarden Mal wurden die (kostenpflichtigen) Fortsetzungen heruntergeladen, es gibt mittlerweile Fernsehserien, eine Star-Wars-Variante, für 2016 ist ein Kinofilm geplant. Dazu kommen die Erlöse aus unzähligen Merchandising-Produkten.

Die Free-to-play-Methode kommt an

Der Markt mit den mobilen Spielen boomt, die weltweiten Ausgaben für virtuelle Güter werden laut einer Studie des Marktforschungsinstituts IDG im kommenden Jahr auf mehr als 31 Milliarden Euro steigen. Der japanische Telekommunikationsanbieter Softbank erwarb kürzlich 51 Prozent der Anteile am finnischen Spielehersteller Supercell und bezahlte dafür 1,5 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet: Die 100-Mann-Firma, die bislang zwei erfolgreiche Spiele ("Hay Day" und "Clash of Clans") herausgebracht hat, wird mit drei Milliarden Dollar bewertet. Kurz darauf sammelten zwei ehemalige Rovio-Mitarbeiter 2,4 Millionen Dollar für ihr Start-up-Unternehmen Seriously.

Die Free-to-play-Methode kommt an, birgt indes auch Tücken für die Hersteller, wie auf der App Developers Conference (ADC) vergangene Woche in Los Angeles deutlich wurde. Die Entwickler sprachen zwar von einem goldenen Zeitalter mobiler Videospiele, berichteten jedoch auch von gewaltigen Risiken. "Für viele Entwickler ist der Bereich der mobilen Spiele noch unbekanntes Terrain. Es wird gerade um die Weihnachtszeit eine gewaltige Aussortierung geben", sagt Lesser, "die Marketingkosten werden immens steigen, es wird einige Unternehmen geben, die sich massiv verkalkulieren, Geld verbrennen und untergehen werden."

"Es gibt nur wenige Gewinner"

Zwar sind die Produktionskosten geringer, weil Spiele nicht mehr auf Datenträger gespeichert und an Einzelhändler ausgeliefert werden müssen, doch führt genau das zu mehr Konkurrenz. Apple-Chef Tim Cook verkündete vor zwei Wochen, dass es im App Store mittlerweile mehr als eine Million Applikationen gebe, etwa 180.000 davon sind Spiele.

Damit ein mobiles Spiel erfolgreich ist, braucht es eine hohe Positionierung in den Download-Charts, um aus der immensen Anzahl an Applikationen herauszustechen. "Der Kampf um die Positionen hat in den vergangenen Jahren immens zugenommen, es gibt nur wenige Gewinner", sagt Lesser. Darüber hinaus garantieren viele Spieler nicht automatisch herausragende Umsätze: Wenn sich 500 000 Menschen ein Spiel herunterladen, dann jedoch nicht bereit sind, für Erweiterungen zu bezahlen, kann eine Entwicklung schnell defizitär werden: "Die Hersteller müssen beim Free-to-play Dinge einbauen, die die Spieler unbedingt haben möchten", sagt Lesser. Gleichzeitig dürfe ein Spiel die Nutzer nicht durch ständige Bezahlaufforderungen abschrecken.

Das Prinzip erinnert ein wenig an Fernsehserien, die Zuschauer durch Cliffhanger-Szenen zu binden versuchen - aber auch an die Anfangszeiten von Videospielen: Damals warfen die Spieler Münze für Münze in die Automaten, bis sie bei "Street Fighter II" endlich alle Gegner besiegt oder bei "Donkey Kong" sämtliche Spielabschnitte gelöst hatten. Heutzutage bezahlen sie dafür, bei "Candy Crush Saga" schneller wieder spielen oder bei "Angry Birds Star Wars" den Millennium Falcon einsetzen zu dürfen.

"Die alten Werte bleiben bestehen", sagt Lesser, "man braucht ein gutes Spiel, bestenfalls mit einer sozialen Komponente, damit die Menschen darüber sprechen und immer weiter spielen wollen. Man muss es vernünftig vermarkten, dann ist die Plattform gar nicht so wichtig." Das funktioniert übrigens auch bei der Musikindustrie: Aufgrund legaler und nutzerfreundlicher Angebote im Internet konnten nach mehr als einer Dekade des Rückgangs und Katzenjammers die Umsätze durch Liederverkäufe im vergangenen Jahr wieder gesteigert werden.

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