Videospiele:Dieser Gamer fährt Autorennen mit dem Mund

Dennis Winkens Gamescom Computerspiel Aktion Mensch

Dennis Winkens (links) spielt 2016 auf der Spiele-Messe Gamescom in Köln Formel 1.

(Foto: Aktion Mensch)

Menschen mit Behinderung stoßen in Computerspielen auf Hürden. Weil Hersteller selten Rücksicht nehmen, brauchen die Betroffenen gute Ideen.

Von Matthias Bolsinger

So geil habe sich das angefühlt, sagt Dennis Winkens, wie Weihnachten und Ostern zusammen: dieser Moment Ende 2015, in dem er endlich spielen konnte wie die anderen: Das Spiel heißt "Need for Speed: Most Wanted", er konnte nun Gas geben mit dem Sportwagen, Gegner von der Strecke rammen, vor den Cops davonbrettern. Geschwindigkeit spüren und Risiko, so wie er es liebt. Wie er es lange nicht erfahren konnte.

2005 war Winkens, damals 17, vom Mountainbike gestürzt. Fraktur des dritten und vierten Halswirbels, Lähmung von dort abwärts. Elf Monate Klinik. Seine Hände waren unbrauchbar geworden - und mit ihnen seine Konsolen von Nintendo, seine Playstation, sein Gameboy.

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Dieser Artikel ist Teil des Projektes grenzgamer.com, in dem sich vornehmlich Schüler der Deutschen Journalistenschule mit Grenzen in und um Games auseinandersetzen.

Mit dem Gefühl in den Fingern verlor Winkens einen Teil seines Lebens. Videospiele waren für ihn Freiheit, Spaß, Kontakt mit anderen Menschen. "Sie geben dem Leben mehr Sinn", sagt Winkens. Es sollte zehn Jahre dauern, bis er diesen Sinn wieder voll erfahren würde.

Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland ist schwerbehindert. Gamer mit Handicap können nicht so spielen wie andere. Eigens entwickelte Geräte helfen ihnen dabei, doch die Games-Branche nimmt wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse dieser Menschen, sagen Kritiker. Lösungen muss die Community bislang vor allem selbst finden.

Auch Menschen mit Behinderung wollen mit Bananen schießen

Für den Youtuber, der sich Inhumax nennt, war es ein kleiner Knopf, an dem er zu scheitern drohte. Gerade war das Nintendo 64 erschienen. "Mario Kart 64" wurde zum Kult-Spiel. Aber Inhumax konnte in dem Rennspiel keine virtuellen Schildkrötenpanzer oder Bananen auf seine Gegner feuern. Wegen seiner Behinderung drückte er oft versehentlich eine Taste auf der Rückseite des Controllers und löste ungewollte Aktionen aus. Normales Spielen war unmöglich.

Inhumax wurde mit einer spastischen Hemiparese geboren, seine rechte Körperhälfte ist gelähmt. Auf Youtube nennt er sich "der einhändige Zocker". Videospiele hätten ihm oft geholfen, wenn er "down" war, sagt er. Weil er mit ihnen in eine Welt flüchtet, in der er ein anderer sein kann. "Beim Zocken interessiert keinen, wie du aussiehst oder was du bist."

Der 32-Jährige nutzt am PC einen Playstation-Controller. Wenn er etwa den Shooter "Battlefield" spielt, klemmt er das Gerät in seine rechte Hand und legt es auf seinen Schoß. Die linke Hand breitet er über die Tasten aus, um die Knöpfe zu drücken, die Joysticks führt er mit der Handfläche. Er kann seine Spielfigur nicht so schnell wenden wie andere. Davon abgesehen merkt aber kaum ein Gegner, dass sie von einem gesteuert wird, der nur mit einer Hand spielt.

Tauchten Probleme mit der Bedienung auf, fand Inhumax oft selbst eine Lösung. Um nicht mehr aus Versehen an die Taste zu kommen, bastelte er sich etwa eigens ein Teil aus Holz, das er sich auf den Oberschenkel legte. Auf der einen Seite schmiegte es sich an sein Bein, in die andere hatte er Kerben für den Controller geritzt. Schwer wurde es für ihn, wenn ihm die Spiele nicht erlaubten, die Tastenfunktionen frei zu bestimmen. Manche konnte er deshalb überhaupt nicht spielen.

Sind Videospiele inklusiv genug?

Spieleentwickler können solche Barrieren aus dem Weg räumen. Die Tastenbelegung freistellen, damit Menschen wie Inhumax sie an sich anpassen können. Untertitel einfügen, damit auch Hörgeschädigte alles verstehen. Sprachausgaben bereitstellen, damit auch Menschen mit Sehbehinderung an Informationen kommen. Mehr Schwierigkeitsgrade anbieten, damit auch eingeschränkte Spieler Spaß haben können. Nur tun das die Entwickler selten.

Glaubt man dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), ist vieles davon bereits üblich, oft aber auch schwer umsetzbar. "Digitale Spiele vereinen Text, Sound und Bewegtbild. Ein solches Medium zu modifizieren, dass es auch mit Einschränkungen konsumiert werden kann, ist daher nicht einfach", sagt Felix Falk, Geschäftsführer des BIU.

Videospiele seien immer noch nicht inklusiv genug, sagen Kritiker. "Die Spieleindustrie ist nicht sensibel für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung", sagt Sandra Uhling. Sie setzt sich bei der Internationalen Vereinigung der Spieleentwickler (IDGA) für mehr Barrierefreiheit in Videospielen ein. Man müsse Industrie und Interessengruppen an einen Tisch bringen, gemeinsame Standards entwickeln. Aber das sei bislang nicht passiert. Auch Dennis Winkens sagt: "In der Videospielbranche finden die Probleme von Gamern mit Handicaps wenig Resonanz, besonders von Seiten der Konsolenentwickler." Publisher Nintendo antwortet auf Anfrage: Das Thema Gaming mit Körperbehinderung sei "ein Punkt, mit dem sich die Videospielindustrie - auch wir von Nintendo - bisher viel zu wenig befasst hat."

Maßgefertigte Steuerungen sind teuer

Neben der Software macht auch die Hardware vielen Gamern mit Handicap Probleme. Die großen Konsolenhersteller entwickeln für sie keine alternativen Geräte. Was auch daran liegen mag, dass die Bedürfnisse dieser Spieler sehr speziell sind. Auf dem Youtube-Kanal von Inhumax erzählt eine von ihnen, dass sie sich eine schwerere Maus wünscht. Wenn sie einen epileptischen Anfall habe, werfe sie dabei unfreiwillig ihre jetzige Maus durchs Zimmer.

Die Community ist auf sich allein gestellt. In den Vereinigten Staaten entwickelt die gemeinnützige Organisation "Ablegamers" Geräte, die auf die jeweiligen Bedürfnisse des Spielers zugeschnitten sind. Gamern in Europa nützt das allerdings wenig. "Man muss einen Controller oft hin- und herschicken, damit alles passt. Für Ablegamers wird das zu teuer", sagt Inhumax.

Dass Dennis Winkens wieder spielen kann, verdankt er dem sogenannten Quadstick. Das ist ein Controller, den er mit dem Mund bedienen kann. Entwickelt werden konnte er dank eines Crowdfundings im Jahr 2014. Wenn Winkens das Rennspiel "Dirt Rally" zockt, dann lenkt er jetzt, indem er mit der Lippe den Joystick verschiebt. Durch Saugen oder Pusten kann er die Kupplung drücken und die Handbremse ziehen.

Controller werden immer komplizierter

Früher musste Winkens oft die Publisher fragen, ob die Spiele auch mit der Mund-Computermaus nutzbar sind, die er damals benutzte. Einmal merkte er mitten im Spiel, dass ihm die Mausradfunktion fehlte. Er musste aufgeben, der Titel war für ihn unspielbar. Aber diese Zeiten sind vorbei, mit etwas Übung kann er dank des Quadsticks viele Games wieder spielen.

Trotzdem stößt er auch dabei auf Hindernisse. Für die Playstation 4 müsse man einen Adapter kaufen, das bedeute Zusatzkosten. Mit der neuen Nintendo Switch sei der Quadstick gar nicht erst kompatibel. "Es werden immer kompliziertere Controller entwickelt. Das macht es für Produzenten alternativer Controller noch schwieriger", sagt Winkens. Er wünscht sich, dass Konsolenhersteller Gamern wie ihm mehr Aufmerksamkeit schenken. Damit er dieses geile Gefühl beim Spielen nicht vermissen muss.

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