Vernetztes Zuhause:Alles smart, oder was?

Smart Home

Eine smarte Musterwohnung auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin: Der Einzug in den Wohn-Alltag gelingt der neuen Technik nur schleppend.

(Foto: dpa)

Ein smartes Zuhause soll bequemer, sicherer und effizienter sein. Aber kaum jemand wohnt so. Warum eigentlich?

Von Eva Dignös

Die Zahnbürste sagt dem Smartphone, ob die Kauflächen unten rechts gut geputzt wurden. Die Türklingel überträgt Live-Videos aufs Handy, auf denen zu sehen ist, wer Einlass begehrt. Die Waschmaschine bestellt ihr Waschmittel selbst. Dank des Kühlschranks mit integrierten Kameras lässt sich vom Supermarkt aus überprüfen, ob noch genügend Milch da ist. Vernetzte Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte, Wlan und Bluetooth als Standardausstattung: Hat smarte Technik es in den Alltag der Massen geschafft? Oder ist das nur die Phantasie der Industrie, die mit dem intelligenten Zuhause Geld verdienen will?

Jetzt werde für "Smart Home" endlich der Durchbruch auf dem Markt kommen, versprechen Prognosen im Jahresturnus. Es gibt schon futuristische Musterhäuser, und auf den einschlägigen Technik-Messen ist das intelligente Zuhause ein großes Thema.

Aber wie sieht es im deutschen Alltag aus? Die Zahlen sind widersprüchlich: Einer Studie des Branchenverbandes Bitkom zufolge nutzen 14 Prozent der Deutschen Smart-Home-Anwendungen. Die aktuelle Erhebung "Digital Market Outlook" des Statistik-Portals Statista.com zählt aber gerade 300 000 vernetzte Haushalte - weniger als ein Prozent. Sie rechnet damit, dass diese Zahl bis 2020 lediglich auf 2,4 Millionen wachsen wird, bei insgesamt knapp 40 Millionen Haushalten in Deutschland. Die unterschiedlichen Zahlen und Erwartungen mögen unter anderem damit zusammenhängen, dass der Begriff kaum zu definieren ist. Macht eine Schaltuhr für die Wohnzimmerlampe das Haus schon smart? Oder ein Fernseher, der auch Internet kann?

Plötzlich soll alles smart sein

Dass immer mehr Technik fürs Heim mit dem Etikett "smart" beworben wird, ist für Michael Krödel, Professor für Gebäudeautomation an der Hochschule Rosenheim, kein Beweis für den Durchbruch - im Gegenteil: "Damit tut man dem Thema keinen Gefallen." Der Verbraucher merke sich vor allem skurrile Anwendungen wie die per App steuerbare Toilettenspülung. "Dann denkt er sich: 'Okay, jetzt weiß ich, was Smart Home ist.' Und sagt: 'Das brauche ich nicht.'"

Was braucht der Verbraucher denn? Laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens Fittkau & Maaß liegen drei Bereiche des Haushalts mit Abstand vorn, wenn es um intelligente Vernetzung geht: Die Hälfte der Befragten würde gerne ihre Heizung "smart" regeln, gut 40 Prozent interessieren sich für eine Fernsteuerung von Fenstern und Jalousien, 36 Prozent dafür, die Beleuchtung zu automatisieren. Doch aus Interesse wird selten ein Auftrag an den Handwerker. "Die Verbreitung von Smart Home wird nicht über die Faszination angesichts einzelner technischer Lösungen funktionieren, sondern vor allem über konkrete Anwendungssituationen", sagt Birgit Wilkes, Professorin für Telematik an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin. Für den Senior könnte ein zentraler Lichtschalter am Bett Aufstehen in der Nacht sicherer machen, der technikaffine Mittdreißiger findet es praktisch, wenn auf Knopfdruck das Wohnzimmerlicht gedimmt und der Beamer gestartet wird.

Was soll automatisiert werden?

Solange aber Vorbilder fehlen, solange kaum jemand bei Freunden oder Nachbarn Smart-Home-Anwendungen unter Alltagsbedingungen erlebt, wird es schwierig bleiben, sich konkrete Lösungen für den eigenen Haushalt vorzustellen. Smart Home ist immer noch vor allem ein Werbeversprechen.

"Am Anfang muss immer die Frage stehen, welche Aufgaben überhaupt automatisiert werden sollen: Was muss und will ich nicht selbst tun, sondern kann es technischen Helfern überlassen?", sagt Michael Krödel. Wer ohnehin seine Heizung abdreht, bevor er zum Lüften das Fenster öffnet, wird keine Energie sparen, wenn er dieselbe Arbeit von einem "smarten" Thermostat verrichten lässt. Als praktische Planungshilfe hat das Institut für Gebäudetechnologie der Hochschule Rosenheim deshalb einen Fragebogen (hier abrufbar) entwickelt, der anhand konkreter Situationen den Bedarf abfragt: Soll für jeden Raum eine Wunschtemperatur vorgegeben werden? Soll die Heizung bei geöffnetem Fenster automatisch gedrosselt werden? Ist eine Überwachung der Luftfeuchtigkeit gewünscht? Soll sich das Licht automatisch einschalten, wenn jemand den Raum betritt?

Das Haus überwacht sich selbst

Smart Home kann ganz klein beginnen, mit vernetzten Rauchmeldern oder der automatischen Steuerung der Rollläden im Erdgeschoss. Der Trend gehe zu einzelnen Modulen, die erweitert und miteinander kombiniert werden können, sagt Krödel: "Schon mit 500 Euro ist einiges möglich." Er vergleicht Smart-Home-Lösungen gern mit den Hausangestellten, die in vergangenen Zeiten großbürgerliche Haushalte managten - unauffällig im Hintergrund und dennoch möglichst effizient. "Das Haus muss in die Lage versetzt werden, so viel wie möglich selbst zu erledigen, ohne dauernd nachzufragen." Das öffentliche Bild, das derzeit von Smart Home entsteht, ist ein anderes: Das Smartphone wird zur Schaltzentrale, die permanent Rückmeldungen von Heizung und Haustür, Kühlschrank, Staubsauber oder Rollladen empfängt. "Aber wenn ich dauernd entscheiden soll, ob jetzt das Fenster geschlossen oder die Heizung eingeschaltet werden muss, dann ist das doch keine Entlastung!", sagt Krödel.

Es müsse ja gar nicht der omnipräsente Touchscreen sein, sagt Telematik-Expertin Birgit Wilkes: "Sie können eine smarte Wohnung ganz ohne Smartphone steuern." So nehme man auch älteren Menschen die Scheu vor der neuen Technik. In einer alternden Gesellschaft, in der die Menschen möglichst lange unabhängig leben wollten, stecke ein großer Markt für Smart-Home-Technik: Lampen, die den ganzen Weg vom Bett zur Toilette beleuchten, der automatisch überwachte Herd. Matten, die Stürze melden. Und die Angst, zu viele persönliche Daten preisgeben zu müssen? "Die wird oft geäußert. Aber mit einem Einzug ins Pflegeheim gibt man viel mehr Privatsphäre auf", sagt Wilkes.

Unübersichtlich ist der Markt für den Laien auch durch die unterschiedlichen technischen Plattformen. Verschiedene Standards konkurrieren miteinander. Manche sind nur für bestimmte Anwendungen wie zum Beispiel die Lichtsteuerung gedacht, mit anderen lässt sich die gesamte Haustechnik vernetzen. Der Verbraucher kann auf klassische Kabel setzen wie bei KNX und Loxone oder auf Funk wie bei Homematic oder RWE SmartHome. Infrarot oder Stromleitungen sind weitere mögliche Übertragungswege. Auch die großen Player drängen mit Macht in den Markt: Mit dem Betriebssystem iOS8 führte Apple die Schnittstelle "HomeKit" ein, über die sich Lichtschalter oder Türschlösser steuern lassen, Google kaufte 2014 die Firma Nest Labs, einen Hersteller intelligenter Haushaltselektronik, Microsoft beteiligt sich an der Open-Source-Initiative "Alljoyn".

"In den nächsten fünf Jahren wird sich da viel tun", prognostiziert Birgit Wilkes. "Notwendig sind Lösungen, die auch ältere Komponenten integrieren. Ein komplett neuer Standard wäre zum Scheitern verurteilt." Ob Smart Home nun einen Fuß in die Tür bekommt, entscheide sich ohnehin nicht an der Plattformfrage, sondern an der Benutzerfreundlichkeit: "Die Hersteller müssen endlich ein Gefühl dafür bekommen, was tatsächlich bei den Leuten ankommt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: