Verkehrssicherheit:Was Smartphones über Unfälle verraten können

Handy am Steuer

Experten warnen vor der Unfallgefahr Smartphone beim Autofahren.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
  • US-Politiker wollen pauschal die Handynutzung von Autofahrern zum Zeitpunkt eines Unfalls überprüfen lassen.
  • Die rechtlichen Regeln für Kommunikationssysteme am Steuer sind veraltet.

Von Morten Luchtmann

Beim Autofahren auf dem Smartphone zu tippen und mit dem Handy in der Hand zu telefonieren, ist gefährlich und verboten. Ob Fahrer vor einem Unfall von ihren Telefonen abgelenkt wurden, können Polizisten aber nur in jedem 3000. Fall feststellen, sagt der Deutsche Verkehrsgerichtstag. Im US-Bundesstaat New York soll nun Spezialtechnik eingesetzt werden, die Abhilfe verspricht.

Ein New Yorker Senator hat im Januar einen Gesetzentwurf vorgestellt, der die pauschale Überprüfung von Handys nach Unfällen verlangt. Er könnte für die Handynutzung das werden, was der Pustetest für den Alkoholpegel ist. Bei einem Unfall sollen Polizisten noch vor Ort überprüfen können, ob beteiligte Autofahrer sich von ihren Handys haben ablenken lassen. Bisher werden Handys nur bei konkretem Verdacht kontrolliert.

Die Technik, die das kann, wird vom israelischen IT-Forensik-Hersteller Cellebrite entwickelt. Sie kommt in Form klobiger Laptops daher. Cellebrite verkauft unter dem Namen UFED Field Service mobile Auslesegeräte, die Polizisten per USB-Kabel an Smartphones, Tablets und andere Mobilgeräte anschließen können.

Die Auslesegeräte sollen Passwortsperren umgehen und Telefonprotokolle, SMS-Verläufe oder Apps gezielt darauf überprüfen können, wann sie zuletzt bedient wurden. Dabei sollen angeblich keine anderen Daten auf dem Gerät des Autofahrers ausgelesen werden können, etwa Fotos oder der Inhalt von Nachrichten. Mithilfe dieser Erkenntnisse sollen Polizisten entscheiden, ob ein Fahrer unmittelbar vor einem Unfall abgelenkt war. Wer sein Handy der Polizei nicht aushändigt, würde seinen Führerschein verlieren.

Bayerische Polizei setzt auf Einsicht der Autofahrer

"Aus Unfallforschersicht ist ein generalpräventives Vorgehen zu begrüßen", sagt Jörg Kubitzki, Unfallforscher am Allianz Zentrum für Technik, einer Forschungseinrichtung der Versicherungswirtschaft. Er verweist auf Untersuchungen von Polizei und Behörden: Wenn die Wahrscheinlichkeit steige, dass man entdeckt und bestraft werde, führe das zu regelkonformerem Fahren. Doch die Gesetze in Deutschland sind noch nicht reif für verpflichtende Handy-Tests.

Im bayerischen Innenministerium nehme man die Gefahr durch Tippen und Telefonieren hinterm Steuer ernst, sagt Pressesprecher Michael Siefener. Aber eine Maßnahme wie einen mobilen Telefonabdruck, den die Polizei jederzeit unbeschränkt kontrollieren könnte, hält er derzeit für ausgeschlossen. Natürlich gäbe es eine entsprechende Dunkelziffer von Tätern, die nicht erwischt würden. "Aber wir setzen auf konsequente Überwachung durch die Polizei und auf die Einsicht der Autofahrer, das Handy während der Fahrt nicht zu nutzen", sagt Siefener.

Ein Handycheck als Standardmaßnahme sei zudem unnötig, "weil schon jetzt Handys bei Verkehrsunfällen sichergestellt und ausgewertet werden können, wenn es konkrete Verdachtsmomente gibt", sagt Siefener. So würden Smartphones als Beweismittel sichergestellt, wenn Zeugen berichteten, dass ein Fahrer telefoniert habe oder wenn ein Handy auffällig in einem verunglückten Auto herumliege. Das gelte jedoch vor allem bei schweren Unfällen: "Wie ein Handy genau ausgewertet wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich." Das erledigen IT-Spezialisten, beispielsweise die des Landeskriminalamtes.

Handynutzung ist später schwer zu beweisen

"Die Rechtsprechung hinkt der Technologie hinterher", glaubt hingegen Constantin Hack, Sprecher des Auto Club Europa: "Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich erwischt werde, desto eher halte ich mich an Regeln." Der ACE-Sprecher beobachtet, dass es mehr Unfälle mit ungeklärter Ursache gebe: "Wir nehmen an, dass Ablenkung durch Smartphones dabei eine wichtige Rolle spielt." Verpflichtende Handy-Kontrollen könnten gerade bei schwerwiegenden Unfällen helfen, festzustellen, ob ein Fahrer sein Handy benutzt hat. Voraussetzung sei aber, dass solch ein Verfahren Geräte nur auf den Benutzungszeitpunkt überprüfe und keine weiteren Daten extrahiere.

Ein Problem ist, dass Unfälle selten sekundengenau dokumentiert sind und unklar ist, welcher Zeitraum vor einem Unfall relevant ist. Dass die Software von Cellebrite tatsächlich nützlich ist, bezweifelt ACE-Sprecher Hack: "Wenn ich drei Minuten vor einem Unfall eine SMS verschickt habe, heißt das nicht, dass ich auch beim Unfall durch das Handy abgelenkt war."

So ähnlich war es im Fall des 19-jährigen Evan Lieberman. Der US-Amerikaner starb 2011 bei einem Frontalzusammenstoß mit einem Auto, dessen Fahrer laut Eigenaussage eingeschlafen war. Auf richterliche Anweisung wurde im Nachhinein sein Smartphone ausgewertet: Der Fahrer hatte während der Fahrt zwar sein Handy benutzt, jedoch konnte der Richter nicht feststellen, dass es Ursache für den Unfall war.

Ben Lieberman, der Vater des Opfers, gründete daraufhin die Betroffenenorganisation Distracted Operators Risk Casualties (DORC), um gegen abgelenkte Autofahrer vorzugehen. "Es ist an der Zeit, einzusehen, dass Ablenkung am Steuer eine ähnliche Beeinträchtigung wie Alkohol ist", schreibt Lieberman in einer Presseerklärung. DORCs größter Erfolg ist wohl der aktuelle Gesetzesentwurf, der in Amerika auch "Evans Law" genannt wird, nach Liebermans verstorbenem Sohn.

Veraltete Regeln für Kommunikationssysteme im Auto

"Wir werden das Handy nicht mehr aus dem Auto kriegen", sagt ACE-Sprecher Hack. Er sieht deshalb die Hersteller von Smartphones und Autos in der Pflicht: "In dem Moment, wo ich mich ins Auto setze, möchte ich, dass alle unwichtigen Informationen ausgeblendet und höchstens Telefonate auf die Freisprechanlage durchgestellt werden." Der wirtschaftliche Konflikt zwischen den Herstellern führe in Teilen dazu, dass die Kommunikation zwischen Handy und Armaturenbrett für viele Benutzer zu kompliziert ist. Hack fordert intuitivere und kompatible Kommunikationslösungen.

Ein Arbeitskreis von Forschern und Juristen hat sich beim Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) 2015 mit der Ablenkung durch Kommunikationsgeräte befasst und sieht das ähnlich: "Technische Lösungen können einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Ablenkungsunfällen leisten." Allerdings habe es der Gesetzgeber bisher versäumt, einen Rahmen für Kommunikationssysteme im Autocockpit festzulegen, um Autofahrer von den Reizen des Smartphones abzuschirmen. So könnte technisch unterbunden werden, dass Fahrer von eingehenden Textnachrichten gestört werden oder Informationen per Finger eintippen können. Wenn sich jemand nicht daran hält, müsse solch ein Verstoß technisch sichergestellt werden können, beurteilt der Arbeitskreis.

Dass die Rechtsprechung hinterherhinkt, zeigt auch Paragraf 23 der Straßenverkehrsordnung: Das Handy bei einem Anruf an den Beifahrer weiterzureichen, ist erlaubt. Wer den Anruf wegdrückt, muss mit einer Geldbuße rechnen. Der Arbeitskreis empfiehlt, diese veraltete Regelung um verschiedene Arten der Ablenkungen und gestaffelte Bußgelder zu ergänzen, die ansteigen, wenn Autofahrer andere dadurch gefährden oder schädigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: