Süddeutsche Zeitung

Verhaltenspsychologie:Macht uns Facebook unglücklich?

Bei Facebook wollen wir uns gern im besten Licht präsentieren. Weil das aber alle machen, halten wir das Leben der anderen einer Studie zufolge oft für besser als unser eigenes. Doch können psychologische Facebook-Effekte überhaupt zuverlässig gemessen werden?

Kilian Haller

"Das Leben ist unfair und die anderen sind alle glücklicher als ich" - zu diesen Schlüssen kommen Menschen eher, je länger sie bereits bei Facebook angemeldet sind und je mehr Zeit sie pro Woche in dem sozialen Netzwerk verbringen. Das ist das Ergebnis einer amerikanischen Studie, die das Journal Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking veröffentlicht hat. Aber warum macht Facebook unglücklich?

Der Grund lautet: Irren ist menschlich - eine Redewendung, die Kognitionspsychologen immer wieder aufs Neue beweisen. Wir neigen zum Beispiel zu Attributionsfehlern, indem wir versuchen, den Charakter eines Menschen aufgrund seines gezeigten Verhalten zu erklären. "Wir glauben, dass Günther Jauch alles weiß", sagte einer meiner Psychologie-Professoren einmal, "dabei liest er die richtigen Antworten bei 'Wer wird Millionär' von seinem Bildschirm ab."

Diese Attributionsfehler sind auch ein Grund dafür, warum Facebook unglücklich macht: Die Facebook-Freunde stellen ständig Bilder von sich aus, auf denen gelächelt, gereist und gefeiert wird. Also müssen sie glücklich sein, interpretiert unser Wahrnehmungsapparat, der bei seinen Urteilen allzu oft die Situation außer acht lässt.

Glück per Daumenregel

Laut Hui-Tzu Grace Chou und Nicholas Edge, den Autoren der Studie, setze diese Wahrnehmung vor allem bei der Beobachtung von Facebook-Freunden ein, die man nicht persönlich kennt, etwas weniger intensiv aber auch bei denjenigen, denen man alltäglich begegnet.

Noch ein zweiter "Fehler" unserer Wahrnehmung lässt uns demnach das Leben der Facebook-Freunde besser erscheinen als unser eigenes: Die Verfügbarkeitsheuristik. Heuristiken sind Daumenregeln, die wir anwenden, wenn für ein Urteil eigentlich nicht genügend objektive Informationen zur Verfügung stehen. Wem der Prozentsatz von Rauchern in Deutschland nicht bekannt ist, der versucht gerne mal kurzerhand von der Zahl der Raucher im eigenen Freundeskreis darauf zu schließen.

Weil wir uns dabei vor allem auf das berufen, was in unserer Erinnerung gut verfügbar ist, kommt es zu Verzerrungen. Wenn viele meiner Bekannte gerade versuchen, das Rauchen aufzugeben, wird die meine geschätzte Zahl der Raucher in Deutschland entsprechend niedriger ausfallen. Weil wir uns auf Facebook gerne vorteilhaft zeigen und uns dort von vielen Kontakten vor allem die letzte Statusmeldung präsent ist, wird das Leben der Facebook-Freunde als glücklicher eingeschätzt.

Gibt es die "Facebook-Depression"?

Die Studie, für die 425 Studenten der Universität von Utah befragt wurden, ist nicht die erste, die eine psychische Belastung durch Facebook-Nutzung untersucht. So hatte eine Forscherin aus Edinburgh festgestellt, dass Menschen mit vielen virtuellen Freunden eher Stress bei der Nutzung des sozialen Netzwerks empfinden.

Forscher der American Academy of Pediatrics hatten zudem in einem Bericht ein Phänomen beschrieben, dass sie "Facebook-Depression" nennen. Demnach können Jugendliche, die viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, Symptome einer Depression zeigen.

Die Kinderärzte verweisen unter anderem auf eine Studie, die zeigt, dass exzessives Chatten auf Facebook bei 13-jährigen Mädchen zu Depressionen führen kann. Zwei Psychologinnen aus New York hatten dazu 83 Teenagerinnen im Abstand eines Jahres auf Symptome von Depressionen untersucht - dabei stellten sie fest, dass die Mädchen, die ihre ersten Probleme mit romantischen Erfahrungen unverhältnismäßig viel untereinander diskutierten, höhere Depressionsgrade erreichten. Das Problem sei dabei nicht, dass viel über Probleme gesprochen wird, sondern dass die Chatteilnehmer in diesem Alter oft noch nicht über die geeigneten Strategien zur Problemlösung verfügten.

Was ist dran an den Social-Media-Studien?

Kritiker argumentieren, hier würde der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität verwechselt - dass zwei Beobachtungen sich auf ähnliche Weise verändern, heißt nicht, dass die gleiche Ursache zugrunde liegt. Viele Psychologie-Studenten lernen das bereits in den ersten Semestern mit dem Beispiel vom Storch: Vor einigen Jahrzehnten zeigten Beobachtungen, dass die Zahl der Störche, die im Elsaß nisten, zurückging. Gleichzeitig stellte man für dieselbe Region einen Geburtenrückgang fest. Die beiden Phänomene korrelieren also - einen kausalen Zusammenhang würde aber dennoch nur vermuten, wer an die Mär vom Klapperstorch glaubt.

Intensive Facebook-Nutzung könne den Kinderärzten zufolge auch ein Bestandteil von Internet-Abhängigkeit sein, die ebenfalls zu Depressionen führen kann. Doch auch hier gibt es Gegenstimmen: Eine Studie von 2003 zeigte, dass Studenten, die E-Mail, Chats und Instant Messaging häufiger nutzten, weniger Anzeichen von Depressionen erkennen ließen.

In jedem Fall vereinfachen aufmerksamkeitserregende Bezeichnungen wie "Facebook-Depression" die Problematik dahingehend, dass mögliche psychische Folgen der Facebook-Nutzung natürlich auch für andere soziale Netzwerke wie Google Plus oder die VZ-Netzwerke gelten können.

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