Verhaltensforschung im Internet:Kunst der digitalen Verführung

Warum bestellen wir bei Amazon Bücher, die wir nicht brauchen? Weshalb verfolgen wir ständig, was unsere Freunde auf Facebook treiben? Der US-Forscher B.J. Fogg kennt die Antwort.

Johannes Kuhn

Er ist nach Ansicht des US-Magazins Fortune einer der "zehn neuen Gurus, die Sie kennen müssen": B.J. Fogg, Gründer und Direktor des Persuasive Technology Lab an der Stanford University im kalifornischen Palo Alto, ist der Magie der Technik auf der Spur. An seinem Institut wirft er einen genauen Blick darauf, wie wir Computer und das Internet nutzen - und durch sie verführt werden. Im Interview erklärt er, weshalb wir bei Amazon Bücher kaufen, die wir nicht brauchen und weshalb E-Mail-Postfächer zum Albtraum wurden.

sueddeutsche.de: Mehr als 400 Millionen Menschen sind bei Facebook angemeldet, um zu verfolgen, was ihre Freunde treiben. Wer am Computer sitzt, verspürt häufig den Drang, seine E-Mails abzurufen oder über Twitter die neuesten Nachrichten zu erfahren. Wie kommt das?

B.J. Fogg: All die von Ihnen genannten Plattformen oder Techniken haben die Eigenschaft, Überzeugungstechniken* zu sein. Man kann ihre Erfolgsformel in einen Satz bringen: Sie platzieren heiße Auslöser auf dem Weg motivierter Menschen.**

sueddeutsche.de: Können Sie das genauer erklären?

Fogg: Nehmen Sie Amazon. Sie wollen ein Buch bestellen, doch wenn Sie es in Ihren virtuellen Einkaufswagen gelegt haben, schlägt ihnen Amazon aufgrund ihres Verhaltens andere Bücher vor, die Sie interessieren könnten. Ein weiterer Klick, und Sie sehen, was sich dahinter verbirgt; noch einer, und das nächste Werk liegt ebenfalls im Einkaufswagen. Die Software holt uns da ab, wo wir eh schon sind - beim Online-Shopping - und überzeugt uns zu einer bestimmten Handlung, nämlich dem Kauf eines weiteren Buchs. So kommt es dazu, dass wir so viele Bücher bestellen, die wir eigentlich nicht wollten - die uns aber durchaus interessieren, denn sonst würden wir sie ja nicht kaufen.

sueddeutsche.de: Aber Amazons Vorschläge könnten prinzipiell auch die meines Lieblingsbuchhändlers sein, der meinen Geschmack kennt und durch sein eigenes Wissen und Gespräche mit anderen Kunden ungefähr weiß, was mich interessieren könnte.

Fogg: Richtig, das Konzept an sich ist Tausende von Jahren alt. Nehmen Sie an, Sie schlendern vor 2000 Jahren auf einem Markt herum und kommen an einem Stand vorbei, wo eine Frau Weizen verkauft. Sie preist den Weizen an und überredet Sie, ein Kilo zu kaufen - das ist nichts anderes als ein "heißer Auslöser" auf ihrem Weg durch den Markt. In meinem Büro ist ein Fernseher - die Fernbedienung daneben ist ein heißer Auslöser ihn anzuschalten. Computer und das Internet schaffen es jedoch, solche Anreize sehr viel öfter und auf ganz verschiedene Arten zu bieten. sueddeutsche.de: Sie forschen gerade über Facebook, das Ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht ein sehr mächtiges Werkzeug ist.

Fogg: Absolut, weil es sehr viele Auslöser bietet, die mich zur Beteiligung bringen. Ein Freund schreibt, was er gerade macht - damit werde ich zum Kommentieren eingeladen, vielleicht will ich auch nur sehen, was andere schreiben. Oder ich erhalte eine E-Mail, dass ich auf einem Foto gekennzeichnet wurde. Auf meinem Weg - ich rufe gerade meine E-Mails ab - liegt also diese Nachricht. Und ich will natürlich wissen, was das für ein Bild ist, wie ich aussehe, wer noch darauf ist. Und so klicke ich.

*Englisch: "Persuasive Technologies" **Originalzitat: "Put hot triggers in the path of motivated people"

"Das mobile Internet wird die mächtigste Überzeugungstechnik aller Zeiten"

sueddeutsche.de: Gilt also die Regel "Je mehr Anreize, desto besser?"

Fogg: Nicht unbedingt. Sehen Sie sich an, was aus Ihrem E-Mail-Postfach geworden ist: Jede E-Mail markiert prinzipiell einen heißen Auslöser, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber mein Postfach ist so voll, dass dies überhaupt nicht mehr wirkt. Wenn ich morgens aufwache und 150 Mails empfange, dann ist die eine Hälfte davon Quatsch, die andere besteht wahrscheinlich aus Handlungsanweisungen wie "Antworte dem Absender" oder "Merke Dir diesen Termin". Bedeutet das, dass wir in einer Sintflut von Auslösern baden werden? Ja! Der Lärm wird zunehmen, wir werden technische und kognitive Filter entwickeln müssen und tun dies bereits.

sueddeutsche.de: Also könnte auch Facebook untergehen, weil dort einfach zu viel passiert?

Fogg: Die Möglichkeit besteht durchaus. Sehen Sie sich Twitter an: Wer mehr als 50 bis 100 Nutzern folgt, lässt viele Nachrichten irgendwann einfach durchrauschen und verliert das Interesse. Niemand liest nach, was vor zwei Stunden geschrieben wurde, als er gerade nicht vor dem Schirm saß.

sueddeutsche.de: Wird ein Leben ohne solche Reize einmal als Luxus gelten?

Fogg: In gewisser Weise schon, sehen sie sich die Blackberry-Kultur an, nicht umsonst bezeichnen viele Geschäftsleute das Gerät als "Crackberry". Dort nicht ständig seine E-Mails abrufen zu müssen, ist für sie tatsächlich ein Luxus. Aber gleichzeitig bieten Facebook oder die Kontrolle des E-Mail-Postfachs natürlich auch ein Belohnungssystem: Wenn ich dazu gebracht werde, einen guten Artikel zu lesen, mir ein guter Freund schreibt oder ich eine wichtige Information erhalte, freue ich mich. Es ist wie ein Glücksspiel: Die unvorhersehbare Belohnung sorgt dafür, dass wir es tun. Ab und zu macht es "Bing", wir knacken den Jackpot - und deshalb machen wir weiter.

sueddeutsche.de: Das hört sich wie ein Zwang an, als würden wir in der Interaktion mit der Technik langsam einen Teil unseres freien Willens verlieren.

Fogg: Nicht unbedingt, Technik kann auch dabei helfen, selbstgesteckte Ziele zu erreichen: Zum Beispiel iPhone-Apps, die mich zum Sport motivieren. Dann gibt es aber auch die Technik, die Amazon-Kunden dazu bringt, am Ende drei Bücher statt eines einzigen zu kaufen. Bedeutet das, dass uns Amazon den freien Willen raubt? Nein, diese Techniken überzeugen uns einfach manchmal, Dinge zu tun, die wir ursprünglich nicht vorhatten.

sueddeutsche.de: Sie haben bereits 2005 das Zeitalter des mobilen Internets vorausgesagt. Wird es dafür sorgen, dass wir noch mehr mit der Technik verschmelzen? Fogg: Davon bin ich überzeugt. Bislang waren die Überzeugungstechniken des Internets darauf beschränkt, uns zu erreichen, wenn wir vor dem Computer sitzen. Doch das Leben der meisten Menschen findet nicht vor dem Computerbildschirm statt, sie entscheiden ganz woanders, was sie heute einkaufen oder ob sie zum Sport gehen sollen. Über das Smartphone ist der Computerbildschirm nun bei uns, können die Auslöser nun überall auftauchen, zumal, wenn wir unseren Standort mitteilen. Diese Veränderung wird unglaubliche Folgen für unsere Entscheidungen im Alltag haben. In den nächsten Jahren wird das mobile Internet zur mächtigsten Überzeugungstechnik, die es je gab. Politiker werden sich mit dem mobilen Internet beschäftigen müssen, wenn sie Wahlen gewinnen wollen. Unternehmen müssen lernen, wie sie durch sie ihre Produkte verkaufen können. Das internetfähige Mobiltelefon wird einflussreicher als Radio, Fernsehen und das stationäre Web zusammen.

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