Verhältnis von Union und Piraten:Zuspruch von der schwarzen Seite

Netzpolitisch liegen die Positionen von Piraten und Union meilenweit auseinander. Doch nicht nur per Twitter pflegen einzelne Politiker der beiden Parteien ein sehr herzliches Verhältnis. Unions-Geschäftsführer Peter Altmaier gilt in Berlin inoffiziell schon als Piraten-Papa. Der Kontakt zu Altmaier kann für die Piraten allerdings auch gefährlich werden.

Hannah Beitzer und Thorsten Denkler, Berlin

Twitter ist kein Kuschel-Medium - vor allem, wenn man Politiker ist. Da wird harsch kritisiert, da geht schon mal ein Schlag unter die Gürtellinie. Das weiß auch Marina Weisband, Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, die dort unter @afelia täglich bis zu 50 Tweets abgibt. "Es gibt so nen Punkt, an dem fängt @afelia latent zu nerven an...", schreibt zum Beispiel einer ihrer Follower. Auch von der politischen Konkurrenz kommt Gegenwind: Dieter Janecek von den bayerischen Grünen kritisiert, die Piraten seien "kein inhaltliches Projekt" und sein Kollege Konstantin Notz verspottete erst vergangene Woche die Polit-Neulinge, weil sie ihre Seite im Zuge der weltweiten SOPA-Proteste zu spät schwärzten.

Pirate Party managing director Weisband speaks during news conference in Berlin

Marina Weisband, Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei: "Mit der Union ist der Dialog so schwer, dass man froh ist, wenn man Leute gefunden hat, mit denen man sich austauschen kann."

(Foto: REUTERS)

Da kann ein bisschen Zuspruch guttun - nur kommt er für die Piraten von einer Seite, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint: von der CDU/CSU. Netzpolitisch liegen die Positionen der beiden Parteien meilenweit auseinander. Umso herzlicher ist der Ton zwischen einzelnen Vertretern. Legendär sind längst die Neckereien zwischen dem Berliner Piraten Christopher Lauer und der stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär. Und Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, hat sich längst zu so etwas wie dem inoffiziellen Piraten-Papa gewandelt.

Mit deren Parteichef Sebastian Nerz hat er sich schon auf einen Kaffee im Bundestagsrestaurant getroffen. Mit Piraten-Raufbold Christoph Lauer, Neu-Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, zofft er sich regelmäßig "in aller Freundschaft" über Vorratsdatenspeicherung und Telekommunikationsüberwachung.

Und kurz vor Weihnachten hatte er den Berliner Piraten Stephan Urbach in seinem Büro sitzen, Anfang 30, und einseitig blaugefärbte Haare. Vom Typ her eher keiner, den die Konrad-Adenauer-Stiftung als Stipendiaten annehmen würde. Beide sind danach ganz begeistert voneinander. "Das Gespräch mit @herrurbach war echt klasse. Da müssten sich die Jusos schon sehr anstrengen, um auf dem Niveau mitzuhalten! :-))", twittert Altmaier.

Und Urbach schreibt in seinem Blog, als habe ihn die Begegnung mit Altmaier in eine neue Erkenntnisdimension katapultiert: "Wir haben versagt. Wir haben konsequent versagt, unsere Themen in die Öffentlichkeit zu bringen."

Die Kuscheltaktik geht noch weiter: Eine Delegation von Piraten ließ sich bei Altmaier gar zu Hause beköstigen (Altmaiers Küche hat schon manche Rebellen besänftigt). Erst vergangene Woche hatte er Marina Weisband zu Gast. Grund für das Tête-à-tête: Ein Streitgespräch für den aktuellen Spiegel. Fazit Weisband via Twitter (@afelia): "Gespräch war interessant, viel einig, in Transparenz Sehr kontrovers."

Peter Altmaier scheint so etwas wie der väterliche Freund der Piraten geworden zu sein. Klar, ein politischer Gegner, irgendwie. Aber einer mit dem man reden kann. Einer, der einem auch noch Glück wünscht für das Experiment Piratenpartei. Und einer der wenigen wirklich Mächtigen im Berliner Politikbetrieb, die sich mit ihnen überhaupt abgeben.

Das schmeichelt. Wer die Follower von @peteraltmaier auf Twitter beobachtet, erkennt, wie sich dort nach und nach alles um ihn schart, was bei den Piraten Rang und Namen hat.

"Wir sind angetreten mit dem Wunsch, dass unsere Themen wahrgenommen werden", erklärt Marina Weisband den regen Kontakt. Man solle die politische Neugier allerdings nicht mit echter Freundschaft verwechseln. Marina Weisband nennt es "beschnuppern". "Peter Altmaier hat die Möglichkeiten des Netzes erkannt", sagt sie, "aber er zieht daraus meiner Meinung nach zu konservative Schlüsse." Inhaltlich auf ihrer Seite ist Altmaier nämlich ganz und gar nicht.

"Mir geht es nicht darum, ernst genommen zu werden"

Zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Im Netz gebe es einen Konsens, dass Vorratsdatenspeicherung schlecht sei, sagt Altmaier. Dass es so ist, liege nicht an dem Vorhaben, sondern daran, dass "CDU und SPD die sozialen Netzwerke einfach vernachlässigt haben". Altmaier will sich über die Piraten einen Zugang zu den Netzwerken sichern, um dort seine Argumente pro Vorratsdatenspeicherung unterzubringen. Klassisches U-Boot-Verhalten.

Bei Altmaier ist das eine bewährte Taktik: Mit vielen Grünen und Sozialdemokraten pflegt er das freundschaftliche Du. Selbst Linke sehen in Altmaier einen fairen Gesprächspartner, der sie nicht schon deshalb ablehnt, weil ihre Parteifarbe ins Tiefrote geht.

Der Kontakt zu Altmaier kann aber auch gefährlich werden. Der Saarländer will wissen, wie die anderen ticken. Nicht um sie später in die Pfanne zu hauen, sondern um das von ihnen zu übernehmen, was auch für die CDU gut sein könnte. Bisher jedenfalls war die Netzpolitik bei den Christdemokraten eine offene Flanke.

Dass Altmaier ihnen die Themen wegschnappen könnte, davor will Marina Weisband keine Angst haben. Sie hält das auf den Wettbewerb der Parteien ausgerichtete System für überholt. Im Spiegel provozierte sie mit der Aussage, dass ihr Ziel sei, die Partei überflüssig zu machen. Viele nehmen die Piraten genau wegen solcher Statements nicht ernst. "Mir geht es nicht darum, ernst genommen zu werden", kommentiert Weisband das, "sondern darum, dass unsere Forderungen Allgemeingut werden sollen, so wie bei den Grünen damals der Umweltschutz und die Rechte der Frau."

"Kauder-Strikes geht gar nicht"

Die Grünen gehen mit den Piraten übrigens wesentlich rauer um als die Konservativen. "Ich werde von den Grünen viel häufiger angegriffen als von der Union", sagt Weisband. Man habe der Partei eben den Status der jungen Wilden abgenommen - und konkurriere so viel direkter um die Wähler als mit Christdemokraten und Christsozialen.

Und das, obwohl man inhaltlich viel eher auf einer Linie liege. "Mit der Union ist der Dialog so schwer, dass man froh ist, wenn man Leute gefunden hat, mit denen man sich austauschen kann." Peter Altmaier hingegen weiß zwar, dass sich mit Netzthemen keine Wahlen gewinnen lassen. Doch so sehr er dem Experiment Piraten Erfolg wünscht, so sehr hofft er, dass das zumindest nicht zu Lasten von CDU und CSU geht.

Dafür geht er auch mit den eigenen Leuten hart ins Gericht. Als der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder vorschlug, rückfälligen Raubkopierern den Internetanschluss abzuklemmen, "da bin ich sofort eingestiegen und habe als Parlamentarischer Geschäftsführer über Twitter klargemacht: Das ist eine Einzelmeinung, nicht die der Unionsfraktion oder gar der Koalition."

Das hätten ihm am Anfang zwar nicht alle geglaubt, aber inzwischen wisse jeder: "Mit diesem Thema kann man im Netz keinen Shitstorm mehr gegen die CDU als Ganze entfachen." Altmaiers wenig zurückhaltender Original-Tweed dazu: "Kauder-Strikes geht gar nicht: Wer Bücher klaut, ist kriminell, aber man nimmt ihm nicht die Lesebrille weg."

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