Süddeutsche Zeitung

Vereine rüsten digital auf:Fußballstadien zu Hightech-Palästen

Der digitale Wandel erreicht die Fußballstadien. Real Madrid vernetzt seine Arena bis in den letzten Winkel. In Zukunft gibt es Tickets aufs Smartphone, Tweets von der Toilette, SMS während des Spiels. Das verspricht neue Einnahmequellen.

Sophie Crocoll

Real Madrid ist einer der besten Fußballvereine der Welt. Er hat 32 Meisterschaften gewonnen, so viele wie kein anderer spanischer Klub. Real Madrid ist auch einer der wertvollsten Sportvereine der Welt. Das US-Magazin Forbes beziffert den Wert mit fast 1,9 Milliarden Dollar. Und auch im Internet ist Real Madrid eine Fußballgemeinschaft der Superlative - mit mehr als 75 Millionen Videos, die sich Leute auf YouTube angesehen haben, mit mehr als 30 Millionen Freunden in dem sozialen Netzwerk Facebook.

Aber in Real Madrids Stadion, dem berühmten Bernabéu, können die Menschen noch nicht mal telefonieren. Bisher waren die Fans komplett von der Außenwelt abgeschnitten", klagt Enrique Uriel, der IT-Chef des Vereins. Spätestens mit dem zweiten Heimspiel gegen Granada in der nächsten Woche soll sich das ändern. Der spanische Klub hat den amerikanischen IT-Ausrüster Cisco beauftragt, das Bernabéu auszustatten. Damit Real Madrid in Zukunft auch der am besten vernetzte Fußballverein Europas ist.

Manager Uriel hat dafür im Stadion 515 Antennen verteilen lassen. Über ein drahtloses Netzwerk werden sich Fans überall im Bernabéu ins Internet einloggen können: an den Eingangstoren, auf den Rängen, im VIP-Bereich, in den Gängen. Und wenn sie wollen, sogar auf dem Klo. "Unser Netz wird das dichteste der Welt sein. Es wird an einem einzigen Ort 25.000 Nutzer pro Sekunde aushalten", sagt Uriel. Es ist eine Beschleunigung von null auf hundert in dem fast 65 Jahre alten - und in vieler Hinsicht technisch veralteten - Stadion.

Videoübetragungssystem mit 100 Bildschirmen

Das neue Netz werde die Mobilfunknetze entlasten, sodass die Fans endlich während des Spiels telefonieren und SMS verschicken könnten, sagt Uriel. Und es ermögliche den 80.000 Zuschauern, die Stimmung im Stadion mit ihren Facebook-Freunden zu teilen und Fotos hochzuladen. Zum vernetzten Bernabéu gehört außerdem ein Videoübertragungssystem mit 100 großen Bildschirmen im ganzen Stadion. So sollen sich die Fans ein paar Tapas holen können, ohne das entscheidende Tor zu verpassen.

Der Verein will eigene Programme fürs Mobiltelefon entwickeln - Apps, die Zuschauer zu ihrem Sitz und an den nächsten Getränkestand führen. Auch ein Handyticket wird es geben, bei dem ein Code auf dem Smartphone das Drehkreuz öffnet. Im November soll das alles funktionieren. Bei den hohen Ticketpreisen, sagt Uriel, da sei es gut, den Fans neben dem Spiel noch etwas zu bieten. Umso besser, wenn die Zuschauer dann sogar mehr Geld im Stadion ausgeben.

"Technologie steigert die Einnahmen", sagt Anabelle Pinto; sie ist bei Cisco für den Bereich Sport und Unterhaltung zuständig. In den USA habe sich das vernetzte Stadion bereits als lohnende Investition für Vereine erwiesen. Vor drei, vier Jahren hätten Football-Klubs gemerkt, dass sie Fans ans Wohnzimmer verloren, sagt Pinto.

Die Zuschauer blieben lieber zu Hause, sahen sich das Spiel auf ihrem großen, hochauflösenden Fernseher an, schauten die Wiederholungen spannender Szenen und surften nebenbei mit dem Tablet-Computer im Internet. Die Ticketverkäufe gingen zurück. "Gerade jungen Fans ist es nicht mehr so wichtig, ein Spiel im Stadion zu erleben. Und wenn sie es tun, wollen sie ihren Freunden sagen: ,Schaut mal, ich bin da gewesen", beschreibt Pinto.

Im Staples Center in Los Angeles, wo die Basketballer der Lakers ihre Spiele haben und die Grammys verliehen werden, wird Ciscos Videoübertragungssystem schon eingesetzt. Für die Fans bedeutet das: schärfere Bilder aus neuen Blickwinkeln auf das Spielfeld. Für Firmen und Sponsoren bedeutet das: bessere Werbemöglichkeiten. Zwar kamen im vergangenen Jahr noch immer zehn Prozent weniger Zuschauer als 2010, berichtet Pinto. "Aber im Durchschnitt haben sie statt für 4,50 Dollar für zehn Dollar pro Person eingekauft. Wenn die Fans zufrieden sind, geben sie mehr Geld aus."

Im Millennium Stadium in Cardiff, dem Heimstadion des walisischen Rugby-Teams, sei es mit der Technik sogar gelungen, eine jahrzehntelange Tradition zu verändern. Früher, sagt Pinto, gingen die Fans direkt nach dem Spiel in den Pub, um sich dort auf einem Fernsehbildschirm noch mehr Sport anzusehen. Jetzt blieben sie dafür in der Bar des Stadions. Und bezahlten dort ihr Bier.

Jürgen Muth, Geschäftsführer der Münchner Allianz Arena, hat sich das vernetzte Stadion in Cardiff angeschaut. Und er hat, wie er sagt, gesehen, wie viele Zuschauer nach dem Spiel in die benachbarten Kneipen strömten. Er zweifelt daran, dass eine bessere Videoübertragung deutsche Fans im Stadion hält. "Wenn das Spiel in der Allianz Arena am Samstag um 17:15 Uhr abgepfiffen wird, wollen die Leute rechtzeitig zur Spielberichterstattung zu Hause sein", sagt Muth. Die Investition lohne sich nur dann, wenn Sponsoren und Unternehmen für mögliche neue Werbeflächen auch mehr Geld bezahlten.

Doch Muth rechnet immerhin damit, dass das Stadion mit dem neuen Mobilfunkstandard LTE ausgestattet wird, sodass die Fans noch besser Fotos und Videos aus dem Stadion verschicken können.

Stadion und Zuschauer sollen kommunizieren

Und so wie er machen sich viele Vereine Gedanken, wie sie es den Zuschauern ermöglichen, neben dem Spiel anderes zu erledigen: eine Nachricht auf Twitter absetzen, ein Foto auf Facebook hochladen und schauen, wann die nächste Bahn zurück in die Stadt fährt - für all dies braucht es einen Internetzugang. Real Madrid hat sich von Cisco zusichern lassen, mit dem vernetzten Bernabéu das technologisch modernste Stadion in Europa zu bekommen.

Für Enrique Uriel heißt das: Er bringt dem Stadion das Sprechen bei. In der dritten Phase des Projekts, vielleicht erst im nächsten Jahr, sollen das Bernabéu und die Zuschauer miteinander kommunizieren. Wie der Verein damit Geld verdienen kann, darum kümmere sich gerade die Marketing-Abteilung. Der IT-Chef immerhin entwirft mögliche Szenarien: "Es geht darum, ein neues Erlebnis für die Fans zu schaffen. Du willst mit dem Stadion reden? Dann schicke deine Meinung zum Spiel auf unsere Bildschirme." Eine Nachricht an Stürmer Cristiano Ronaldo beispielsweise, ob die Frisur noch sitzt. Auf den neuen Bildschirmen ist das angeblich vom hintersten Rang zu erkennen.

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SZ vom 22.08.2012/pauk
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