Veränderung der Computerspiel-Welt:Frauen zocken anders

Kurzweilig und gewaltfrei: Weibliche Computer-Spieler suchen nicht den Nervenkitzel und den Siegesrausch, sondern Kommunikation und Entspannung. Weil der Anteil an Gamer-Frauen stetig steigt, muss die Spiele-Branche umdenken.

Jürgen Hoffmann und Simon Mikuteit

In einer kleinen Wohnung im Hamburger Ortsteil Billstedt schiebt Rita Haderna ihre Tastatur zur Seite. Bis eben war sie in ein Computerspiel vertieft. Beim "Schafrennen" verhalf sie einem kleinen Wesen über Wassergräben und Mauern.

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Frauen testen Microsofts Gestensteuerung Kinect bei der Gamescom: Weibliche Gamer haben andere Vorlieben.

(Foto: dpa)

Jetzt fährt sie den Computer herunter und macht Licht in dem Raum, das sie für ihr Hobby eingerichtet hat. Auf zehn Quadratmetern stehen ein Computertisch mit PC, Lautsprechern, Drucker, ein bequemer Drehstuhl und ein Schrank mit DVDs. Die 46-jährige verlässt ihr Spielzimmer, um noch mal nach ihrer Mutter zu sehen, die Ende Siebzig ist.

Die Marktforscher von "Game Ad Net" haben herausgefunden, dass in Deutschland 21 Millionen Menschen im Internet spielen - und darunter immer mehr Frauen sind. Das Bild vom Computerspieler als Jugendlicher oder kontaktarmer Einzelgänger stimmt längst nicht mehr: 45 Prozent der Spieler sind Frauen, Tendenz steigend.

Als Rita Haderna eine Stunde später zurückkommt, wird es hektisch. Die Verkäuferin hat eine Verabredung im Internet. Computerspiele faszinieren sie: "Das tolle daran ist, dass mich die Games aus dem Alltag herausholen. Das ist für mich ganz wichtig." Vor allem knüpft sie im Netz gern Kontakte zu Gleichgesinnten. Sie startet das Spiel "Alamandi".

In dieser bunten Welt treffen sich heute Spieler mit selbst kreierten Charakteren zu einer virtuellen Party. In dem elektronischen Land gibt es verschiedene Viertel wie Waldberg: Hier scheint die Sonne, Vögel zwitschern, im Hintergrund ertönt ein fröhlicher Mix aus Geige, Xylophon und Panflöte. Haderna sucht sich ein virtuelles Gewand aus: Das Rote? Oder lieber das Regenbogenfarbige? Hadernas Freunde chatten schon angeregt. Plötzlich betritt ein Mann im eleganten schwarzen Umhang die Party. Es scheint, als schaue er sich nach einer bestimmten Person um.

Überholtes Bild vom einsamen Jungen

Bei Frauen sind solche Online-Spiele besonders beliebt. Kurzweilig und vor allem: gewaltfrei. Die Spiele-Industrie stellt sich darauf ein. Der Hamburger Entwickler Intenium hat sich auf dieses Genre spezialisiert. "Das Bild von den einsam vor sich hin spielenden Jungs ist überholt", sagt Intenium-Chef Konstantin Nikulin.

Er beschreibt einen enorm schnell wachsenden Markt: "Vor acht Monaten bestand unser Kundenstamm zu 75 Prozent aus Frauen ab 35 Jahren. Heute sind es über 80 Prozent." In seiner Firma wurde die Welt erschaffen, in der sich Rita Haderna regelmäßig mit Freundinnen und Freunden trifft.

Laufend neue Inhalte

Spielende Frauen sind sehr anspruchsvoll. Sie wünschen sich laufend Spieländerungen und neue Inhalte. Für Nikulin ist die Ursache klar: "Während Männer sich lieber mit anderen messen, nicht vor virtueller Gewalt zurückschrecken und einer Game-Serie über Jahre treu bleiben, spielen Frauen weniger, um zu gewinnen.

Sie wollen kommunizieren und konstruieren. Für sie sind bunte Farben, harmonische Klänge, die Abwechslung und der Kontakt zu anderen Spielern wichtig." Nikulins Firma entwickelt für das weibliche Klientel Maßgeschneidertes: Intenium veröffentlicht jedes Jahr mehr als 250 neue Spiele.

Der jüngste Trend in der Games-Szene sind Spiele über soziale Netzwerke wie Facebook oder SchülerVZ. Wie in einem riesigen Adressbuch verwalten Millionen Nutzer dort ihren Freundeskreis und tauschen sich aus. Besonders für Menschen, die nur kurz spielen wollen, während sie sich mit ihren Freunden unterhalten, ist das interessant.

Dafür bringt Konstantin Nikulin "Bonga" heraus. In dieser neuen virtuellen Welt müssen Spieler einem Stamm Eingeborener zum Fortschritt verhelfen. Die Angehörigen entwickeln eigene Bedürfnisse, verlieben sich und heiraten. Nikulin: "Wer nicht kommuniziert, hat keinen Erfolg."

Wie frühkindliche Erfahrungen die Spielvorlieben prägen

Ein Sprung von Hamburg nach Rüsselsheim: Über der Opel-Stadt wüten Sturm und Regen. In einer Gemeinschaftspraxis erledigt Eugenia Dieser die letzten Handgriffe. Die 21-Jährige Arzthelferin mag es, anderen zu helfen. Für heute ist Feierabend. Jetzt hat die junge Frau Zeit für sich: "Wenn die Arbeit erledigt ist, tauche ich für ein paar Stunden im Internet ab", lächelt sie und zieht den Laptop auf ihren Schoß. Sie liebt Spiele über soziale Netzwerke.

Wichtig sind ihr vor allem Kontakte zu ehemaligen Schulkameraden und Bekannten: "Die meisten aus meinem Freundeskreis sind bei Facebook angemeldet." Während sie Freunden schreibt, Musik hört oder Fotoalben anderer Nutzer kommentiert, arbeitet Eugenia Dieser als Freizeitbäuerin auf dem Bauernhof Farmville. Virtuell. Seit einem Jahr ist sie schon dabei. "Farmville" spielen vorwiegend Frauen - nicht gegen-, sondern miteinander.

Jeder möchte seinen Hof erweitern, dazu werden Kontakte geknüpft, Nachbarschaften mit anderen Farmern gebildet und Dünger, seltene Pflanzen oder Tiere verschenkt. "Man kann das gut mit dem Setzkasten eines Sammlers vergleichen", erklärt Eugenia Dieser.

Während sie über die Landwirtschaft aus Bits und Bytes philosophiert, lässt sie auf dem Bildschirm Traktoren über sorgfältig angelegte Beete hoppeln, um die Ernte einzufahren: Obst, Gemüse und Weizen. Für den Ertrag baut sie Scheunen oder probiert neues Saatgut aus. Eugenia Dieser betont, dass sie für ihr zweites Leben im Netz nicht viel Freizeit opfert: "Ich spiele oft eine ganze Woche lang nicht."

Vorlieben in der Kindheit ausgebildet

Aber aus einer Stunde Spiel können auch mal leicht zwei werden. So wie jetzt. Plötzlich erscheint eine Meldung auf dem Bildschirm: Auf ihrer Farm ist ein hässliches Entlein aufgetaucht. Mit traurigen Augen bittet es um Hilfe. Wenn Eugenia Dieser dem gefiederten Findling Unterschlupf gewährt, erscheint eine Mitteilung für ihre Freunde: Ihr könnt die Ente adoptieren.

Entscheidet sich jemand dazu, kann er das Entlein in wenigen Tagen per Mausklick zu einem großartigen Schwan transformieren. Eine Bekannte von Eugenia Dieser nimmt das virtuelle Geschöpf unter ihre Fittiche. Über den Chat tauschen die Freundinnen ein paar letzte Worte aus, dann verabschieden sie sich. Eugenia Dieser fährt ihren Laptop herunter.

Für Leonard Reinecke, Medienpsychologe der Universität Hamburg, werden die Vorlieben für Spiele bereits in der Kindheit ausgebildet: "Kinder werden durch ihr soziales Umfeld in geschlechtstypischem Spielverhalten verstärkt. So spielen Jungen gerne Räuber und Gendarm, raufen sich bei Meinungsverschiedenheiten auch mal, während Mädchen beim Spielen häufiger auf Hilfsbereitschaft oder soziale Fähigkeiten setzen."

Gemeinschaftsgefühl zählt

Die Motivation, überhaupt zu spielen, ist laut Reinecke bei Männern und Frauen die gleiche - sie wollen abschalten und sich mitreißen lassen. Frauen suchen die Herausforderung in anderen Aufgaben und haben häufig weniger Interesse daran, sich einem Wettbewerb oder einer Konfrontation auszusetzen als Männer.

Dieser Unterschied hat die Spiele-Entwickler in den letzten Jahren dazu veranlasst, sich stärker auf Frauen zu konzentrieren. "Lange wurden hauptsächlich männliche Spieler bedient, darüber hinaus ist der Markt wenig gewachsen. In den neuen Spielen zählt das Gemeinschaftsgefühl - genau das, was viele Frauen anspricht. Das haben die Entwickler erkannt", analysiert Reinecke.

Zurück in Hamburg-Billstedt. Rita Haderna trifft in Waldberg auf den Mann im schwarzen Umhang. Mit ihm ist sie heute verabredet, und das nicht zum ersten Mal. Im richtigen Leben ist er ihr Verlobter. Die beiden haben sich vor einigen Monaten in Alamandi kennen gelernt. Irgendwann ist er für sie nach Hamburg gezogen. "Das rechne ich ihm hoch an", strahlt die Hanseatin. "Ich hätte aus Rücksicht auf meine Mutter hier nicht weggehen können." Rita Haderna dreht sich wieder um zu ihrem Bildschirm.

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