Veränderte Online-Nutzung:Gefangen im Immer-Netz

Ein Alltag ohne Internet? Für viele ist das kaum vorstellbar. Die Zeit, die wir online verbringen, steigt unaufhörlich - und kann das Surfen zum Zwang machen.

Das Internet ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: Sieben von zehn Deutschen sind im Netz (72 Prozent) - unter den Schülern ist es praktisch jeder (98 Prozent).

Ins Netz gegangen: Alltag ohne Internet nicht mehr denkbar

Die Internet-Nutzung nimmt zu - bedenklich wird sie allerdings erst, wenn sich Nutzer in die virtuelle Welt zurückziehen.

(Foto: dpa-tmn)

Ob spielen oder chatten, Videos gucken oder Podcasts hören, Urlaub buchen oder Geld überweisen: Immer mehr Aktivitäten spielen sich online ab. Die wachsende Nutzungsdauer wird erst zum Problem, wenn andere Dinge völlig in den Hintergrund rücken.

Ein Grund für den Internet-Boom: "Die technischen Barrieren haben sich verringert", erklärt Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg. Es sei leichter geworden, Informationen aller Art zu publizieren, gemeinsam mit anderen zu bearbeiten, zu filtern und weiter zu verbreiten.

Das gelte auch für Tätigkeiten wie Mails schreiben oder Chatten, Urlaubsplanung, Fotobearbeitung oder Spiele. "Je mehr Möglichkeiten das Netz bietet, desto mehr Zeit verbringen die Nutzer darin", lautet die Formel.

Fernsehen war gestern

So erledigen nach Umfragen des IT-Branchenverbandes Bitkom 26 Millionen Deutsche Bankgeschäfte online. Ihren Sommerurlaub buchen 13 Millionen im Internet, sechs von zehn Käufern shoppen online. Zudem vereint das Internet viele Medien: Fernsehen, Radio und Video, Podcast und Chat sind via PC oder Mobiltelefon verfügbar.

Längst hat das Netz unter jüngeren Nutzern dem Fernsehen den Rang abgelaufen. "Das Internet ist ein wichtiges Instrument geworden, um den Alltag zu organisieren", erklärt Schmidt. Habitualisierung nennen Fachleute diese Entwicklung, die auch ein Ergebnis der ARD/ZDF Online-Studie 2009 war.

Wann der Internet-Konsum gefährlich wird

Gerade unter den "digital natives" - jungen Menschen, die mit dem Internet groß geworden sind - sei die ausdauernde Nutzung des Mediums eine Selbstverständlichkeit. "Das Ziel ist, immer kommunikativ erreichbar zu sein und ständigen Kontakt zu seinen Freunden zu halten", so der Forscher.

Großen Anteil nehme der Austausch über Erlebtes und Gesehenes ein - meist über Soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ, Wer-kennt-wen oder MySpace.

Welche Nutzung vernünftig ist und wo problematisches Verhalten beginnt, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Denn zum einen ist der Browser oft nur im Hintergrund offen. Viele Nutzer beschäftigen sich parallel mit anderen Medien - sie sehen fern oder hören Musik, während im Netz der Liveticker zum Fußballspiel oder ein Videostream läuft. Zum anderen ersetzt das Surfen oft Aktivitäten in der realen Welt - etwa bei Urlaubsbuchung oder Bankgeschäften.

Gradmesser sollte daher sein, wie lange und wie oft das Internet bewusst genutzt wird, sagt Bernd Berner von der Stiftung Medien- und Onlinesucht in Lüneburg. "Mehr als 35 Stunden pro Wochen gelten aber als exzessiv." Langeweile, übersteigertes Interesse und soziale Isolation seien Ursachen für den Rückzug in die virtuelle Welt.

Schlaf-Wach-Rhythmus als Gradmesser

Ein Problem stelle die intensive Nutzung erst dar, wenn sich Denken und Verhalten verändern. "Wer sich eine halbe Stunde für die Aktualisierung seines Profils vornimmt und nach drei Stunden noch vorm Rechner sitzt, übertreibt." Auch das nächste Level des Online-Spiels - ist es noch so spannend - darf im Unterricht oder Hörsaal nicht die Gedanken beeinflussen.

Die Internetnutzung sollte auch nicht dem Schlaf-Wach-Rhythmus stören. Gerade abends ist in Sozialen Netzwerke viel los, dies sollte aber keinen Einfluss auf den folgenden Tag haben.

Kritisch wird es im Falle eines Toleranzverlusts: "Werden zugunsten der Internetnutzung negative Konsequenzen in Schule, Beruf oder Partnerschaft in Kauf genommen, kann das ein Anzeichen für zwanghaftes Verhalten sein", erklärt Berner.

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