US-Musikindustrie:Jagd auf Campuspiraten

Die Hälfte aller Collegestudenten lädt Musik und Filme illegal aus dem Netz. Jetzt verschickt die amerikanische Musikindustrie Drohbriefe an die Unis.

Hubertus Breuer

Wenn in diesen Tagen die Collegefrischlinge auf dem Campus der kalifornischen Berkeley Universität eintrudeln, erhalten sie erst einmal Benimmunterricht. Man erklärt ihnen, wie sie sich bei Feueralarm zu verhalten haben, sie werden über die Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums belehrt und hören, dass es unklug sei, Gegenstände aus dem Fenster zu werfen.

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(Foto: Foto: iStockPhoto)

In diesem Herbst kommt allerdings eine neue Unterrichtseinheit hinzu: über die Risiken und Nebenwirkungen des Diebstahls geistigen Eigentums aus dem Internet, allem voran von Musik- und Filmdateien. "Learn before you burn" (Lerne, bevor Du etwas brennst) nennt sich die Initiative. Wer erwischt wird, erhält als Disziplinarmaßnahme eine Woche Internetentzug.

Ob die pädagogische Maßnahme geeignet ist, Teens und Twens aus den populären Online-Tauschbörsen zu vertreiben, muss sich erst noch herausstellen. Dem amerikanischen Marktforschungsinstitut "Student Monitor" zufolge lädt die Hälfte aller Collegestudenten Musik und Filme illegal aus dem Netz. Marktforscher der NPD-Group schätzen zudem, dass 2006 allein 1,3 Milliarden Musikdateien auf die Festplatten der Studenten wanderten.

Druck der RIAA

Doch ist es keineswegs das verletzte Rechtsempfinden der Universitätsverwaltung in Berkeley, das sie bewegt, ihren Studenten den Pfad der Tugend zu weisen. Die Hochschule reagiert vielmehr auf den Druck, den der Verband der vier großen Musiklabels der USA, die "Recording Industry Association of America" (RIAA), seit Jahresbeginn auf die Lehranstalten ausübt.

Seit Februar hat die Organisation hunderte Drohbriefe an US-Hochschulen geschickt. Sie erklärt darin, dass durch eine IP-Adresse (die Anschrift eines Computers im Internet) identifizierte Nutzer Hochschulanschlüsse genutzt hätten, urheberrechtlich geschützte Musik zu verbreiten.

Sollten diese sich nicht bereit finden, außergerichtlich erkleckliche Summen zu zahlen - in der Regel 3000 bis 5000 Dollar -, droht die RIAA, folgten eine Strafanzeige und weit höhere Schadenersatzforderungen. Dahinter steckt erkennbar eine Kampagne, um die Universitäten und Studenten zum Handeln zu bewegen. So erklärte der Musikverband erst letzte Woche, man habe weitere 503 Briefe an Universitäten verschickt; gleichzeitig veröffentlichte er eine Liste der so bedachten Lehranstalten.

Die Studenten direkt zu belangen, ist den Plattenlabels nicht möglich. Schließlich weiß die Industrie nicht, wer sich hinter einem Internetzugang eigentlich verbirgt. Das ist, wenn überhaupt, nur der Universität bekannt. Deshalb hat der Verband seine Briefe vorerst nur an "John Doe" adressiert - dem US-Pendant des deutschen ,,Max Mustermann''. Anbei die höflichen Bitte an die Universitätsleitung, die Schreiben an die Betroffenen weiterzuleiten.

Jagd auf Campuspiraten

Doch es regt sich Widerstand. Der Rechtswissenschaftler Charles Nesson von der Harvard-Universität hat im Juni die RIAA in einem Kommentar unverblümt aufgefordert, vom Campus "zu verduften". Universitäten dürften sich schlicht nicht zum Handlanger kommerzieller Interessen machen. Ihr Bildungsauftrag, Studenten in einem von Offenheit, nicht von Verdächtigungen geprägtem Umfeld zu unterrichten, sei weit höher anzusetzen.

Die University of New Mexico hat vor Gericht kürzlich erreicht, dass die RIAA sie nicht zwingen kann, ohne weiteres die Log-Dateien ihrer Studenten preiszugeben. Die Studenten müssten die Möglichkeit haben, Einspruch zu erheben. Doch mehr als ein Etappensieg war das wohl nicht.

Das Gericht verlangte in seiner Entscheidung nur, es müsse ein Procedere etabliert werden, das Datenschutzrechte berücksichtigt. Neuerdings verlangt das Bildungsministerium in Washington außerdem - nicht zuletzt auf Betreiben der Musikindustrie-Lobby in Washington hin -, regelmäßig informiert zu werden, welche Maßnahmen die höheren Lehranstalten gegen Online-Piraterie ergreifen.

Kein Zugang mehr zum Campusnetz

Die meisten Universitäten, denen Briefe der RIAA ins Haus flatterten, haben daher bereits ein Standardverfahren etabliert. So ermittelt die Stanford University zunächst die Beschuldigten, bittet sie dann, das unberechtigt bereitgestellte oder erworbene Material zu löschen und kappt den Zugang zum Campusnetz für jene, die nicht einlenken.

Um wieder ans Netz angeschlossen zu werden, müssen die Studenten ab diesem Herbst 100 Dollar Anschlussgebühr zahlen. Im Wiederholungsfalle sind 500, beim dritten Mal gar 1000 Dollar fällig. Das soll dann auch die anfallenden Verwaltungskosten decken.

Die University of Nebraska in Lincoln erwartet jedoch, dass die RIAA für den der Universität entstehenden Aufwand aufkommt, wie der Vizepräsident Herbert Howe erklärt: "Es geht um finanzielle Interessen der Musikindustrie. Warum sollte der Steuerzahler oder Studenten das bezahlen?"

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