Süddeutsche Zeitung

US-Geheimdienstexperte:Deutschland ist "Ausspähziel Nummer eins"

89.000 ausländische Ziele soll der US-Geheimdienst allein im vergangenen Jahr überwacht haben. Glaubt man dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Thomas Drake, steht vor allem Deutschland im Mittelpunkt der Spähattacken.

  • Vor seiner Aussage im NSA-Untersuchungsausschuss bezeichnet der US-Geheimdienstexperte Thomas Drake Deutschland als "Ausspähziel Nummer eins".
  • NSA legt ersten Transparenzbericht vor. Demnach wurden 2013 exakt 89.138 ausländische Ziele ausgespäht.
  • Google-Vertreter bezeichnet Bericht als "Schritt in die richtige Richtung".

Deutschland - "Ausspähziel Nummer eins"

Der US-Geheimdienstexperte Thomas Drake hat vor seiner Aussage im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages die besondere Rolle Deutschlands für den US-Geheimdienst betont. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei Deutschland zum "Ausspähziel Nummer eins" geworden, sagte der frühere NSA-Mitarbeiter dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Der US-Geheimdienst habe die Deutschen in gewisser Hinsicht dafür bestrafen wollen, "dass die Attentäter unbemerkt unter ihnen leben, trainieren und kommunizieren konnten". Ironischerweise habe das aber die Beziehung zum Bundesnachrichtendienst (BND) noch vertieft, "weil die NSA mehr Kontrolle darüber haben wollte, was eure Jungs hier machen", sagte Drake. Im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags werden am Donnerstag zum ersten Mal öffentlich Zeugen vernommen. Neben Drake ist auch dessen früherer NSA-Kollege William Binney geladen.

Überwachung möglicherweise umfassender

Der US-Geheimdienst NSA hat im Rahmen seiner Internet- und Telefonüberwachung im vergangenen Jahr etwa 89.000 ausländische Ziele überwacht. Dies geht aus dem ersten Transparenzbericht der Behörde hervor (PDF). Demnach wurden 2013 exakt 89.138 ausländische Ziele ausgespäht - wobei ein sogenanntes Ziel neben Einzelpersonen auch eine Gruppe von Menschen oder eine Organisation sein kann. Das Ergebnis im Überblick:

  • Der Geheimdienst erhielt fast 2000 Anweisungen vom geheimen Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC). Bei 1767 Fällen, war ein "wahrscheinlicher Grund" für eine Untersuchung gegeben. 131 Anweisungen erlaubten der Behörde, die Telefonnummern eingehender und abgehender Anrufe zu sammeln.
  • Die NSA erhielt nur eine einzige Anweisung, die unter Artikel 702 des Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa) fiel. Dieser Artikel erlaubt die Überwachung für Staatsbürger, die im Ausland leben. Laut US-Recht genieen sie nicht den gleichen Schutz vor Überwachung wie US-Bürger. Allerdings lag die Zahl der bei dieser Anweisung betroffenen Ziele bei 89.138. Da dazu auch Gruppen oder Organisationen gehören können, lag die Zahl der betroffenen Einzelpersonen wahrscheinlich noch deutlich höher.
  • Im vergangenen Jahr stellte die NSA außerdem 19.212 sogenannte "Nationale Sicherheitsbriefe" aus. Diese erlauben es der Bundespolizei FBI, ohne richterliche Anweisung Informationen zu sammeln.

Protest mit Luftschiff

Der Google-Vertreter Richard Salgado begrüßte den Bericht als "Schritt in die richtige Richtung, um das Vertrauen in die Regierung und die Internetdienste zu erhöhen". Zugleich forderte er aber weitere Informationen zu den betroffenen Zielen. Die bisherige Berichtsform lasse keinen Vergleich zu den Angaben zu, die Internetfirmen wie Google vorlegten, kritisierte Salgado. Diese können nur eine Reihe von Zahlen zu Anfragen der Behörden vorlegen.

Der Mangel an Transparenz bei den Überwachungsprogrammen ist weiterhin einer der Hauptkritikpunkte von Bürgerrechtlern. Wenige Stunden vor der Veröffentlichung des Berichts flogen Aktivisten von Greenpeace und der Electronic Frontier Foundation ein Luftschiff über das NSA-Datenzentrum in Utah, um gegen die Massenüberwachung zu protestieren.

Hintergrund des Berichts

Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hatte vor einem Jahr enthüllt, dass die NSA im großen Stil die Telefon- und Internetkommunikation von Menschen in aller Welt überwacht. Dabei nahm sie über mehrere Jahre auch Spitzenpolitiker befreundeter Staaten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Visier. Zudem hat die NSA bereits eingestanden, dass "aus Versehen" oder "indirekt" auch Daten von US-Bürgern abgefangen wurden. US-Präsident Barack Obama hatte die Spähaktionen verteidigt - um Kritiker zu besänftigen, forderte er im Juni 2013 einen Transparenzbericht ein, er soll künftig jährlich vorgelegt werden und alle nicht unmittelbar geheimen oder sicherheitsrelevanten Informationen zu den Überwachungsprogrammen enthalten.

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