US-Fernsehen:Warum die "Heute Show" neidisch nach Amerika blickt

Stephen Colbert - Colbert Report

Immer wieder gräbt das Team von US-Moderator Stephen Colbert absurde TV-Sendungen aus. Viel Arbeit, die der Computer erleichtert.

(Foto: Comedy Central)

Comedians und Politiker in den USA bauen auf Snapstream: Die Software kann TV-Sendungen nach Schlagwörtern durchsuchen. Oliver Welke und Stefan Raab können davon nur träumen.

Von Hakan Tanriverdi

Wer in den Vereinigten Staaten von Amerika Präsident werden will, verlässt sich auf die gleiche Technologie wie ein Comedian, der eine gute Pointe hat. Bei John Oliver zum Beispiel, kein Präsident, dafür der wohl lustigste TV-Moderator derzeit, ist immer wieder zu sehen, wie Computer beim Veredeln seiner Show helfen. Man kann das etwa sehen an einem Clip, der 25 Sekunden dauert und in dem acht US-Politiker gezeigt werden, die in ihren Reden das englische Wort literally (auf deutsch: buchstäblich) falsch verwenden. "Literally thank you" sagt da einer. Buchstäblich danke.

Die unterhaltsamsten amerikanischen Late-Night-Shows, Last Week Tonight with John Oliver, Colbert Report oder Daily Show, setzen oft auf eine Zweitverwertung von TV-Schnipseln und auf das Element der Montage. Da werden in schneller Abfolge Menschen gezeigt, die buchstäblich kein Sprachgefühl besitzen - aus Einzelfällen erwächst so das Bild kollektiver Dummheit. Auch Stefan Raab setzt seit 1999 auf dieses Prinzip, wenn auch deutlich platter, nicht mit so sorgfältig zusammengestellten Collagen wie die US-Kollegen. Als Zuschauer stellt man sich dennoch früher oder später die Frage, wie das Material für diese Sendungen zusammengesammelt wird.

Für die Heute Show müssen "Sichter" TV-Inhalte durchsuchen

Gibt es ein Archiv? Werden Menschen bezahlt fürs stundenlange Fernsehen, nur um dann zwei bis drei Sekunden potenziell lustiges Material herauszuschneiden? In Deutschland wird das tatsächlich so gemacht. Die Heute Show im ZDF setzt so genannte Sichter ein: "Die Redaktion durchsucht das deutsche TV-Programm, das auf Festplatten aufgenommen und gespeichert wird", heißt es auf Anfrage. Das Material werde anschließend verschlagwortet. Mühevolle Handarbeit. Die Produktionsfirma von Raabs TV Total, Brainpool, antwortet auf Nachfragen nicht, dürfte das aber ähnlich handhaben.

Die amerikanischen Comedians und ihre Mitarbeiter hingegen setzen sich an einen PC - und geben in einem Programm namens Snapstream Wörter ein, die sie gerne hören würden. Die Arbeit der Witzeschreiber wird also nicht ersetzt, sondern unterstützt durch eine Suchfunktion, wie man sie von Google oder anderen Internet-Suchmaschinen kennt.

Wer zum Beispiel nach "Germany" sucht in der Kategorie Comedy, findet Folgendes heraus: Der irische Comedian Graham Norton hat kürzlich in seiner Talkshow die Schauspielerin Carey Mulligan gefragt, ob sie fließend Deutsch sprechen kann. Sie hat mit Ja geantwortet. Das Suchergebnis ist versehen mit einem kurzen Transkript der Sendung und einem Link. Wer ihn anklickt, landet exakt an der Stelle der Show, an der das Wort "Germany" zum ersten Mal gesagt wird.

Auch Hillary Clinton war Snapstream-Kundin

Zumindest dann, wenn man eben Kunde bei Snapstream ist. So nennt sich der Dienst, auf den die Comedians in den USA setzen, aber auch Unternehmen - und auch immer mehr Politiker, regionale wie ganz berühmte: Auch Hillary Clintons Team nutzte Snapstream - um zu sehen, wie über die Präsidentschaftskandidatin und ihre Konkurrenten berichtet wurde. Denn mit Snapstream kann man zumindest die im TV gemachten Äußerungen verfolgen - und gegebenenfalls versuchen, seine Sicht der Dinge bei dem jeweiligen Sender unterzubringen.

Technisch funktioniert das über kleine Boxen: Eine Snapstream-Box kann den Text von zehn Kanälen aufnehmen, 10 000 Dollar kostet das, dazu kommen einige Tausend Dollar jährlicher Grundgebühr. 100 Sendungen nimmt der größte Kunde gleichzeitig auf.

Warum es Snapstream nicht in Deutschland gibt

Warum gibt es so einen Dienst in den Vereinigten Staaten, aber nicht in Deutschland? Es liegt an der US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC). Sie hat im Jahr 1999 vorgeschrieben, dass fast alle Sendungen untertitelt sein müssen, akkurat und möglichst synchron: Das zielte natürlich nicht auf die Zweitverwertung durch Firmen wie Snapstream, sondern auf Menschen, die schlecht hören oder ganz taub sind. Selbst die Macher von Live-Sendungen stehen in der Pflicht, müssen live transkribieren.

Ausgenommen von dieser Regelung sind nur etwa Sendungen zwischen zwei und sechs Uhr morgens. Es bleibt viel transkribierter Stoff zum Durchsuchen, gerade in den USA mit ihren vielen Lokalsendern. Dieser Stoff ist Arbeitsgrundlage für Snapstream, wie Unternehmenschef Agrawal zugibt: "Diese Metadaten sind bei jeder Sendung vorhanden. Unser Dienst ist es, sie durchsuchbar zu machen."

In Deutschland sind Untertitel nicht vorgeschrieben

In Deutschland gibt es ebenfalls Untertitel - aber nicht verbindlich und auch deswegen wird Snapstream vorerst Deutschland nicht abdecken. Im Rundfunkstaatsvertrag heißt es unter dem Punkt "Allgemeine Grundsätze" bloß: "Die Veranstalter sollen über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote vermehrt aufnehmen."

Vor einigen Jahren war dieser Service bei ARD und ZDF schlecht ausgebaut, doch seit 2013 müssen auch Hörgeschädigte Rundfunkgebühren zahlen - auch als Konsequenz daraus wollen die beiden Öffentlich-Rechtlichen möglichst das gesamte Programm per Text abbilden. Bislang gelingt das allerdings erst im Sendezeitraum zwischen 16 und 22 Uhr; insgesamt transkribiert die ARD neun von zehn Sendestunden, das ZDF sieben von zehn Sendestunden.

Die privaten Sender hinken hinterher

Richtig großen Nachholbedarf haben die privaten Sender: Laut der Aktionsseite "100 Prozent Untertitelpflicht für alle" belegt Pro Sieben für das Jahr 2013 einen Spitzenplatz - bei einer Untertitelung von zehn Prozent. Die anderen Privaten und zumal die Lokalsender untertiteln also nicht mal jede zehnte Sendestunde.

Ursprünglich war Snapstream auf den Massenmarkt ausgerichtet, wollte eigentlich eine Art Online-Videorekorder für Serienfans und TV-Junkies bieten. "Wir wurden daraufhin von Unternehmen angefragt, unser Produkt auch für sie auszuliefern", sagt Agrawal. Aber erst als er dann zu Firmenkunden gegangen sei, um zu sehen, wie Snapstream tatsächlich genutzt wird, sei er auf die Idee gekommen, sich stärker auf die Suchfunktion zu konzentrieren. "Wir wollen es unseren Kunden ermöglichen, die Nadel im Heuhaufen zu finden", sagt Agrawal: Fernsehen sei ein vergängliches Medium. Wenn ein Fehler passiere, sei oft zu hören, dass sich dieser "versende", also untergehe.

Agarwal arbeitet dagegen an.

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