US-Aufzeichnungen aus den siebziger Jahren:Wikileaks stellt Regierungsdokumente ins Netz

Ein echtes Leak ist es nicht - brisante Enthüllungen erhofft sich Wikileaks aber dennoch: Die Plattform von Julian Assange hat Hunderttausende Dokumente der US-Regierung aus den siebziger Jahren ins Netz gestellt. In den "Kissinger Cables" sollen Informationen zu diplomatischen Verwicklungen mit Diktatoren zu finden sein.

Julian Assange scheint seine Zeit im Exil genutzt zu haben. Seit nunmehr neun Monaten harrt der Wikileaks-Gründer in der ecuadorianischen Botschaft in London aus, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen. Nach eigenen Angaben hat er von dort aus am neuesten Projekt von Wikileaks mitgewirkt: Die Enthüllungsplattform habe etwa zwei Millionen Dokumente der US-Regierung ins Netz gestellt, hieß es in einer Mitteilung. Ein Großteil davon, etwa 1,7 Millionen Aufzeichnungen, stammten aus dem US-Außenministerium aus der Zeit zwischen 1973 und 1976.

Ein Teil der "Kissinger Cables" genannten Dokumente soll direkt mit dem Büro des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger in Verbindung stehen - viele seien als "geheim" eingestuft worden. Die Sammlung belege, welch enormen Einfluss die USA in der Welt gehabt hätten, sagte Assange.

Die Aufzeichnungen werden derzeit noch analysiert. Zu erwarten seien aber "wichtige Enthüllungen" über Verstrickungen der USA mit faschistischen Diktaturen in Lateinamerika, aber auch mit Spanien unter Franco und Griechenland zu Zeiten der Militärdiktatur. Außerdem sollen sie detaillierte Einblicke in die Geschehnisse während des Jom-Kippur-Kriegs 1973 zwischen Israel auf der einen und Ägypten und Syrien auf der anderen Seite geben.

Kein echtes "Leak"

In einem der Dokumente aus dem Jahr 1975, das im Zusammenhang mit dem Zypern-Konflikt steht, wird Kissinger selbst zitiert: "Das Illegale machen wir sofort, das, was gegen die Verfassung geht, dauert ein bisschen länger", soll der Außenminister gesagt haben.

Das Projekt "Public Library of US Diplomacy", kurz: "Plus D", ist wesentlich größer als bisherige Veröffentlichungen von Wikileaks. Allerdings gibt es einen entscheidenen Unterschied: Die Dokumente wurden Assange und seinen Mitarbeitern nicht geheim durch einen Informanten zugespielt - ein echtes "leak" war es also nicht. Vielmehr waren die Daten bereits öffentlich zugänglich in den US-Archiven. Die Leistung von Wikileaks bestand darin, sie so aufzubereiten, dass sie bequem eingesehen werden können.

Mit der dafür entwickelten Suchmaschine können User die Dokumente durchforsten. "Komplexität ist eine Form der Geheimhaltung", sagte Wikileaks-Sprecherin Kristinn Hrafnsson dem US-Magazin Forbes. Deshalb habe man sich entschieden, die Dokumente nutzerfreundlich aufzubereiten.

Wikileaks wirft US-Regierung Vertuschung vor

Ein weiterer Grund: Wikileaks wirft der US-Regierung vor, Daten, die schon einmal öffentlich zugänglich waren, wieder wegzusperren. Die Verantwortlichen berufen sich auf eine Studie der George Washington University aus dem Jahr 2006, wonach die Regierung bereits 55.000 öffentliche Dokumente wieder unter Geheimhaltung gestellt habe.

Assange selbst wird wohl in den kommenden Wochen viel Zeit haben, die Kissinger Cables einzusehen. Der 41-jährige Australier kann die diplomatische Vertretung Ecuadors in London nicht verlassen. Die britischen Behörden wollen ihn nach Schweden ausliefern, wo er zu Vorwürfen wegen sexueller Vergehen vernommen werden soll. Assange fürchtet jedoch, von dort an die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm ein Prozess wegen Spionage und Geheimnisverrat drohen könnte.

Wikileaks hatte durch die Veröffentlichung geheimer Informationen zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan sowie von etwa 250.000 vertraulichen US-Diplomatendepeschen den Zorn der US-Regierung auf sich gezogen. Die Dokumente waren den Betreibern der Enthüllungs-Website von dem US-Soldaten Bradley Manning zugespielt worden, der sich deshalb in seiner Heimat vor einem Militärgericht verantworten muss. Er hatte die geheimen Daten während seiner Stationierung im Irak vor drei Jahren von Militärrechnern heruntergeladen und sich bereits schuldig bekannt. Im Falle einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

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