Urheberrechtsdebatte:"Das Urheberrecht überfordert den Bürger"

SZ: Die Facebook-Frage: Man postet auf seiner Profilseite eine Fotografie von Cartier-Bresson - ist das im Urheberrechtssinn eine Veröffentlichung und damit eine Verwertung des Werks?

Kreutzer: Hier zeigt sich die Komplexität der Materie: Es hängt davon ab, welche Einstellungen man selber für seine Facebook-Profilseite vorgenommen hat. Sie können Ihr Profil ja fünf, fünftausend oder allen Menschen, die bei Facebook registriert sind, zugänglich machen - theoretisch. Ob sich jemand Ihr Bild anschaut, ist urheberrechtlich irrelevant. Je nachdem, wem Sie Ihr Profil zugänglich machen, ist das eingestellte Bild eine öffentliche Wiedergabe - oder nicht.

SZ: Gibt es da verbindliche Zahlen?

Kreutzer: Es gibt sie nicht. Die urheberrechtliche Regelung hebt darauf ab, dass diejenigen, die auf dieses Bild Zugriff haben, mit demjenigen, der es einstellt, persönlich verbunden sind. Andernfalls ist das Einstellen urheberrechtlich relevant. Nur: Was ist persönlich verbunden? Ein Jugendlicher mag sagen: Mit meinen 350 Facebook-Freunden bin ich persönlich verbunden. Jemand aus einer anderen Generation mag sagen: Wieso, du hast viele von denen nie getroffen. Dieses Problem können schon Juristen kaum lösen. Einer Privatperson ist es unmöglich, diese Einschätzung zu treffen.

SZ: Haben wir also den Bereich verlassen, den Recht definiert?

Kreutzer: Ja. Das Urheberrecht überfordert den Bürger. Aus seiner Sicht kommuniziert er, aus Urheberrechtssicht verstößt er gegen Gesetze und wird abgemahnt. Das mindert die Akzeptanz dieses Rechts. Die Menschen fühlen sich nur unfair behandelt.

SZ: Aber noch immer gilt doch: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Kreutzer: Es ist immer Aufgabe des Rechts gewesen, diejenigen, die das Recht beachten sollen, so zu instruieren, dass sie es beachten können. Das ist hier nicht gegeben. Will man erreichen, dass das Recht befolgt wird, muss es verständlich und angemessen sein. Sonst wird es nicht akzeptiert.

SZ: Aber kann man denn die Urheber nicht verstehen, die diese gesellschaftliche Kommunikation öffentlich unter Geiz-und-Gier-Verdacht stellen?

Kreutzer: Es ist menschlich verständlich, dass sich die Autoren solcher Aufrufe echauffieren. Doch sollten sie sich klar machen, wen sie unter Gier-Verdacht stellen: ihre Fans, ihre Leser, Hörer, Kunden. Das sind doch keine Kriminellen. Sie hätten sagen können: Bitte ladet keine Bücher, Filme, Musik aus Tauschbörsen herunter. Wir leben davon, dass ihr dafür bezahlt. So etwas schafft Verständnis. Aber der eigenen Klientel generell Geiz und Gier zu unterstellen, ist ein großer Fehler. Man will die Leute ja dazu bringen, freiwillig zu bezahlen. Freiwillig sage ich, weil heute annähernd jedes Werk auch kostenlos im Netz verfügbar ist. Wenn man dafür sorgen würde, dass die Menschen gern bezahlen, weil sie guten Service schätzen und es für unethisch erachten, sich umsonst zu bedienen, wäre viel gewonnen.

SZ: Ist es denn bloße Spekulation, dass das Teilen über das Netz den Urhebern im großen Stil schadet?

Kreutzer: Es gibt keine Studien, die das belegen - wie wollte man auch messen? Hätte derjenige, der sich 100 Songs umsonst herunterlädt, diese Songs auch gekauft? Die Zahlwilligkeit aber ist empirisch messbar. Sie wäre viel größer, wenn iTunes nicht so spät gekommen wäre.

SZ: Wie meinen Sie das: zu spät?

Kreutzer: iTunes kam fünf Jahre, nachdem die Musiklobby das erste große Internetmusikportal juristisch zerschlagen hatte: Napster. Es hat also fünf Jahre gedauert, bis es ein bedeutendes legales Downloadangebot für Musik gab. In der Zeit wurden die Leute sozialisiert mit illegalen Systemen, mit allem, was nach Napster kam. Dass es fünf Jahre brauchte, bezeichne ich als das große Versagen der Musikbranche. Andere, wie die Filmwirtschaft und die Verlagsbranche, machen diesen Fehler gerade wieder.

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