Urheberrechtsdebatte:Kopierfrieden durch die Kulturflatrate

Wir kriminalisieren eine ganze Generation, die Musik digital über das Internet kopiert. Dass Copyshops und Mixtapes hingegen legal sind, zeigt: Das Modell der Kulturflatrate ist in vielen Bereichen längst Praxis. Es wird Zeit, über eine Neuauflage zu diskutieren.

Dirk von Gehlen

Wir müssen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen. Auch die Gema und die VG Wort bräuchten wir nicht mehr und in letzter Konsequenz könnten wir uns auch das dann plötzlich kriminelle Treiben in den Kopierläden rund um die Uni nicht weiter leisten. Auch sie müssten über kurz oder lang geschlossen werden.

Das jedenfalls wäre die Folge dessen, was Gegner der sogenannten Kulturflatrate in den vergangenen Wochen fürs digitale Kopieren beschreiben: Pauschale Vergütungssysteme, so sagen sie, sind unpraktikabel, ungerecht und nicht umzusetzen.

Was sie nicht sagen: Pauschale Vergütungssysteme sind in vielen Bereichen bereits Alltag in diesem Land. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird ebenso über eine Pauschale finanziert wie die Verwertungsgesellschaften Gema und VG Wort in dieser Art Tantiemen für Künstler ausschütten.

Und selbst bei der wenige Cent teuren Papierkopie an der Uni spielen pauschale Modelle ein Rolle: Der Besitzer des Ladens entrichtet für den Kopierer eine pauschale Abgabe, über die diejenigen bezahlt werden, deren Werke hier ohne Kontrolle vervielfältigt werden können.

Sollen wir Copyshops kriminalisieren?

Wenn man solche pauschalen Modelle in digitalen Räumen ablehnt, gibt es keinen Grund, sie in analogen Räumen zu praktizieren. Es ist vielmehr eine Frage der Generationengerechtigkeit hier Gleichheit der Mittel zu schaffen und gleiches Unrecht mit gleichen Strafen zu belegen.

Im Falle der Papierkopie könnte das so aussehen: Copyshops werden konsequent kriminalisiert und ziehen aus der Uni-Gegend in dunklere Viertel der Stadt. Öffnungszeiten werden in die Nachtstunden verlegt und Einlass erhält nur, wer nachweislich kein Strafverfolger ist. Für die bedeutet dieses Szenario nämlich Mehrarbeit. Sie müssten kontrollieren, dass niemand mehr Kopien von Büchern, Zeitungen oder Magazinen anfertigt. Zahlreiche Rechtsanwälte finden ein einträgliches Geschäft, in dem sie diejenigen, die dieses Kopierverbot umgehen, abmahnen.

Legitimationsproblem des Urheberrechts

Die Zahl der rund 700.000 Abmahnfälle im Bereich der digitalen Kopie aus dem Jahr 2010 wäre nur ein Bruchteil dessen, was Juristen in diesem neuen Feld abzuarbeiten hätten. Ganze Schulklassen und Seminare müssten abgemahnt werden, da die Studierenden sich nicht an das generelle Kopierverbot halten, das mit der Abschaffung der pauschalen Abgabe Realität würde.

Das ist nicht nur ein unschönes Szenario, es ist auch mit enormen gesellschaftlichen Kosten verbunden. Aber es ist keine Erfindung. Im Bereich der digitalen Kopie ist dieses Szenario (inklusive der Kosten) Alltag. Ein Vorgang, der gerade einer jungen Generation so selbstverständlich erscheint wie den Älteren der Besuch in einem Copyshop, wird kriminalisiert und mit Strafen belegt. Das führt zu einem massiven Legitimationsproblem des Urheberrechts und zu einer Spaltung der Gesellschaft. Beides ist nicht wünschenswert, wer aber pauschale Vergütungssysteme ablehnt, verstärkt diese Tendenzen noch.

Was wir von der Mixtape-Kultur lernen können

Das Dilemma, vor das die digitale Kopie die Gesellschaft stellt, ist nicht neu. Vor vierzig Jahren wählte man in vergleichbarer Situation einen Ausweg, der mindestens als Grundlage für die aktuelle Debatte dienen sollte: Damals wie heute stellte eine neue Technologie das bestehende System vor eine große Herausforderung. Damals klauten die jungen Menschen angetrieben durch eine eben nicht netzgeschaffene Umsonstkultur Lieder aus dem Radio. Sie nahmen sie auf Kassetten auf.

Alle Kampagnen, die mit dem angekündigten Untergang der Kultur arbeiteten ("Hometaping is killing music"), griffen ins Leere, einzig eine Pauschalabgabe zeigte Wirkung: die Leermedienabgabe, die die Kassettenjungs und Kassettenmädchen entrichten müssen, wenn sie Tonträger kaufen, wird über Verwertungsgesellschaften umgelegt und den Künstlern gezahlt.

Völlig unabhängig davon, ob der Künstler klassische oder Popmusik macht. Und diese Gelder werden nicht als Honorar, sondern als Tantieme gezahlt, jeder Konsument bezahlt also weiterhin direkt für das kulturelle Produkt, das er oder sie erwirbt. Für die zweite Nutzung wird jedoch eine Pauschale erhoben.

Im Bereich der Kassettenkopie ist also bereits Realität, was im Bereich der Digitalkopie ummöglich sein soll: Die Leermedienabgabe hat weder zu einem Ende der Kultur geführt, noch hat sie einen bürokratischen Überwachungsapparat genährt (wobei man über eine Reform der Gema gesondert reden könnte).

Kopierfrieden und Rechtssicherheit

Selbst das Argument, dass eine Pauschale kulturelle Unterschiede nivellieren würde, erweist sich bei Betrachtung der Realität als wenig stichhaltig. Vor ein paar Tagen kritisierte ausgerechnet ein durch eine öffentlich-rechtliche Pauschale finanzierter Journalist des Bayerischen Rundfunks, bei der Kulturflatrate werde alles über einen Kamm gescherrt. Warum das ein Problem sein soll, verschwieg er.

Denn genau wie bei der Leermedienabgabe, bei der auch nicht kontrolliert wird, ob jemand ein Hörspiel oder einen Beatles-Song aufnimmt, verzichtet eine Kulturflatrate aus guten Gründen auf die Unterscheidung zwischen vermeintlich wertvoller und populärer Kultur. So wie mit der Rundfunkgebühr eben Carmen Nebel und Florian Silbereisen ebenso gezahlt werden wie die Klassikwellen oder Deutschlandradio Kultur.

Die pauschale Lösung hat im Bereich der Kassettenkopie nicht nur zu Rechtssicherheit und zu einer Art Kopierfrieden geführt. Sie wurde auch Grundlage einer Mixtape-Kultur, die der britische Schriftsteller Nick Hornby in "High Fidelity" literarisch würdigte. Mit dem Wissen um die digitale Debatte lesen sich diese Überhöhungen der Kassetten-Kultur wie Hohn für die Generation der digitalen Kassettenjungs und Kassettenmädchen.

Sie nutzen, was möglich ist

Nicht nur wird ihnen verwehrt was der Generation zuvor selbstverständlich ermöglicht wurde. Sie werden zusätzlich auch noch als moralisch verkommen abgestempelt. Dabei sind sie von der gleichen Niedertracht getrieben wie Nick Hornby und seine Leser: Sie nutzen was möglich ist.

Weil der Gesetzgeber eingesehen hat, dass er sie daran nur zu übermäßig hohen Kosten hindern kann, führte er die Leermedienabgabe ein. Aus Einsicht in eine technologische Veränderung. Es ist höchste Zeit, diese Einsicht auf digitale Zeitalter zu übertragen.

Denn die Legitimationskrise des Urheberrechts wird mit härteren Strafen und Moral-Kampagnen nicht gestoppt werden. Wem an einem funktionieren Urheberrecht liegt, der muss sich mit pauschalen Vergütungsmodellen befassen - oder fairerweise auch die Gema und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frage stellen.

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