Urheberrecht:Und die Upload-Filter kommen doch

Protest gegen neues Urheberrecht - Leipzig

Bei Protesten gegen das geplante neue EU-Urheberrecht waren 2019 im Mai 150 000 Menschen europaweit auf den Straßen. Allein in Berlin demonstrierten 40 000.

(Foto: Peter Endig/dpa)

Die Bundesregierung wollte die EU-Urheberrechtsrichtlinie ohne Filterzwang umsetzen. Das dürfte nicht klappen, wie ein Entwurf zeigt. Hatten die Gegner der Reform von Anfang an recht?

Von Simon Hurtz

Während einer Pandemie und kurz vor der US-Wahl gehen andere Themen leicht unter. Erst recht, wenn sie so sperrig daherkommen wie das "Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes". Doch der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums verdient einen zweiten Blick. Denn die EU-Urheberrechtsrichtlinie, die Deutschland damit umsetzen will, zählt zu den kontroversesten Gesetzgebungsverfahren der vergangenen Jahre.

Vor anderthalb Jahren brachte die Reform Hunderttausende Menschen auf die Straße. Ihre Proteste drehten sich vor allem um den Begriff Upload-Filter. Wenn Facebook und Youtube erst einmal jeden Inhalt, den Nutzerinnen und Nutzer hochladen, von einer fehleranfälligen Software prüfen lassen müssten, sei die Meinungsfreiheit in Gefahr, kritisierten sie.

Wer damals gewarnt hatte, wird sich heute bestätigt fühlen: Der Referentenentwurf lässt den meisten Plattformen kaum eine andere Wahl, als Upload-Filter einzusetzen. Ausgenommen wären etwa Wikipedia, junge Start-ups und Unternehmen, die weniger als eine Million Euro pro Jahr umsetzen. Doch auch Wikimedia-Vorstand Abraham Taherivand lehnt den Entwurf ab. "Wenn Filter-Algorithmen so eingesetzt werden, wie im jetzigen Entwurf vorgeschlagen, leidet der gesamte Entstehungsprozess von Freiem Wissen massiv", sagt er. "Die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer werden viel zu wenig berücksichtigt."

Ohne Upload-Filter wird es nicht gehen

Alle anderen Plattformen müssten "bestmögliche Anstrengungen" unternehmen, um Lizenzen zu erwerben. Doch niemand kann Nutzungsrechte für alle Inhalte kaufen, dafür gibt es schlicht zu viele unterschiedliche Rechteinhaber, Kulturschaffende und Verwertungsgesellschaften. Also müssen die Plattformen Filter einsetzen, wenn sie nicht für Urheberrechtsverletzungen haften wollen.

"Dann laufen noch mehr Daten durch die Hände der großen amerikanischen Internetkonzerne, die dann noch mehr über alle Nutzer erfahren", sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber vergangenes Jahr im SZ-Interview. "Upload-Filter halten wir deshalb für falsch und gefährlich." Zum jetzigen Vorschlag will er sich nicht äußern, weil der Entwurf noch nicht endgültig abgestimmt sei. Tatsächlich feilschen Justiz- und Wirtschaftsministerium seit Monaten um Formulierungen. Auch die derzeitige Version dürfte noch nicht endgültig sein.

Eine Sprecherin des Justizministeriums betont, der Entwurf folge der Vorgabe der Bundesregierung, Upload-Filter nach Möglichkeit zu vermeiden. Die CDU hatte angekündigt, bei der Umsetzung ganz darauf zu verzichten. "Humbug" nannte das die grüne Netzpolitikerin Tabea Rößner. Jetzt fühlt sie sich bestätigt: Mit dem neuen Entwurf breche die Regierung ihr Versprechen. Das schade vor allem kleinen und mittleren Unternehmen, die teure Sperrsoftware oft nicht bezahlen könnten. "Das geht nicht nur zulasten der Vielfalt der Diensteanbieter, sondern auch der Meinungsfreiheit im Netz."

Ähnlich sieht es Julia Reda, die 2019 als EU-Abgeordnete zu den profiliertesten Gegnerinnen der Reform zählte. "Wenn Unternehmen zum Einsatz von Echtzeit-Upload-Filtern gezwungen sind, stärkt das die größten Internetkonzerne wie Google oder Facebook, die es sich leisten können, diese Überwachungstechnologie zu entwickeln", sagt Reda, die mittlerweile für die Gesellschaft für Freiheitsrechte arbeitet. "Was das Justizministerium als Verbesserung darstellt, wird tatsächlich zur massenhaften Sperrung legaler Inhalte führen."

Erfolgreiches Lobbying von Google?

Reda und Rößner fragen beide, warum der derzeitige Referentenentwurf an entscheidenden Stellen von den im Januar und Juni erarbeiteten Diskussionsvorlagen abweicht. Ursprünglich sollten Nutzerinnen und Nutzer Inhalte während des Uploads als legal kennzeichnen können, um irrtümliche Sperrungen zu verhindern. Diese Möglichkeit wurde nun stark eingeschränkt. Man habe die Befürchtung zur Kenntnis genommen, dass sich die Neuregelung nachteilig auswirken könne, teilt das Justizministerium mit, und will die Bedenken prüfen. Die neue Formulierung entspricht einem Vorschlag, den Google im Sommer einbrachte. "Da drängt sich durchaus ein gewisser Verdacht auf, dass in dieser Frage erfolgreich lobbyiert wurde", sagt Rößner. Heftig lobbyiert hat Google auch bei einer weiteren Passage des Entwurfs, der sich um das sogenannte Leistungsschutzrecht dreht.

Die Lobby der Presseverleger scheint aber den besseren Draht ins Wirtschaftsministerium und ins Kanzleramt zu haben. Das neue Gesetz soll Verlage an den Einnahmen von Suchmaschinenbetreibern beteiligen, wenn diese Presseveröffentlichungen zugänglich machen. In den bisherigen Entwürfen galt eine Ausnahme für bis zu acht Wörter. Jetzt sind "einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge" erlaubt. Diese vage Formulierung dürfte noch Gerichte beschäftigen.

Kritik kommt auch von den Rechteinhabern. Eine Allianz aus zehn Verbänden bemängelt, dass der Referentenentwurf die Position von Kreativen und Verwertungsgesellschaften schwäche. Derzeit dürften 20 Sekunden eines Films, 1000 Zeichen eines Textes und Fotos mit einer Größe von bis zu 250 Kilobyte genutzt werden. Diese Ausnahmen seien viel zu großzügig, kritisieren manche.

Die einen sehen die Meinungsfreiheit bedroht. Die anderen fürchten, dass laxe Regelungen den Rechteinhabern schaden. Zumindest hier hatten die Reformgegner also recht: Das Justizministerium kann die Richtlinie gar nicht so umsetzen, dass alle glücklich sind.

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