Süddeutsche Zeitung

Urheberrecht:"Freibier-Mentalität ist kein Maßstab"

Offene Kultur statt Abmahnungen: Der Jurist Gerd Hansen über das Urheberrecht der Zukunft.

Dirk von Gehlen

Der Jurist Gerd Hansen beschäftigt sich in Artikeln und Büchern mit dem bestehenden Urheberrecht und der juristischen Dimension des digitalen Wandels. Er fordert ein neues, dem Internet-Zeitalter angepasstes Urheberrechtsgesetz, das Produzenten ebenso gerecht wird, wie Nutzern. Sein Buch "Warum Urheberrecht?" erschien im Nomos Verlag.

SZ: In Ihrem Buch "Warum Urheberrecht?" sprechen Sie von einer Legitimationskrise des Urheberrechts. Worin sehen Sie diese begründet?

Gerd Hansen: Man kann sagen, das Urheberrecht wird deshalb nicht mehr respektiert, weil es nicht mehr glaubwürdig ist. Wir schützen immer mehr und wissen immer weniger - warum?

SZ: Zum Beispiel?

Hansen: Wir diskutieren inzwischen allen Ernstes über den urheberrechtlichen Schutz von Yogaübungen oder Kochrezepten. Dieses ständige Absenken der Schutzvoraussetzungen und die damit einhergehende Ausdehnung auf industriell geprägte Werkkategorien, bei denen der Investitionsschutz im Vordergrund steht, haben die überkommenen, allein urheberbezogenen Erklärungsmodelle an ihre Belastungsgrenze gebracht. Wenn wir nahezu alles schützen, müssen wir uns nicht wundern, wenn das traditionelle, auf den Poeten im stillen Kämmerchen zugeschnittene Urheberrechtssystem kollabiert.

SZ: Sehen Sie die sogenannten Raubkopierer als Symptom oder als Ursache für die Krise des Urheberrechts?

Hansen: Zweifelsohne scheren sich vor allem die sogenannten Digital Natives, also die mit der Digitalisierung Großgewordenen, kaum um das Urheberrecht. Aus ihrer Sicht werden mittels des Urheberrechts im digitalen Umfeld nur Nutzungshandlungen sanktioniert, die sie als alltäglich und selbstverständlich wahrnehmen - das Kopieren und Austauschen von Musik zum Beispiel.

SZ: Es gibt aber auch andere Gesetze, die nicht befolgt werden und die gerade deshalb notwendig sind.

Hansen: Stimmt. Nur weil jeder Dritte schwarzfährt, verzichtet man deshalb auch nicht auf die Erhebung des Beförderungsentgelts. Deshalb wäre es auch falsch, der Erwartungshaltung nachzukommen, einen kostenlosen Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken herzustellen. Diese Freibier-Mentalität kann nicht der Maßstab sein, nach dem das Urheberrecht reformiert werden soll. Sie würde den berechtigten Interessen der Kreativen an einer Beteiligung an den vermögenswerten Ergebnissen ihrer Arbeit zuwiderlaufen und auch die völlig legitimen Schutzbedürfnisse der Verwerter torpedieren. Man muss sich angesichts des Phänomens der sogenannten Raubkopierer aber die Frage stellen, wie das Urheberrecht ausgestaltet und besser begründet werden kann, damit es von den Mitgliedern der Gesellschaft wieder akzeptiert wird.

SZ: Wie könnte eine Alternative aussehen?

Hansen: Man kann das Vertrauen in das Urheberrecht meines Erachtens nur wiedergewinnen, wenn man eine klare programmatische Neuausrichtung präsentiert und zugleich vor einer grundlegenden Revision des geltenden Urheberrechts nicht zurückschreckt.

SZ: Was sollte da das Ziel sein?

Hansen: Als übergeordnete Zielvorstellung für das Urheberrecht schwebt mir die Verwirklichung einer offenen Kultur vor. In einer offenen Kultur findet eine breitest mögliche Partizipation aller am Prozess und an den Resultaten kreativen Schaffens statt. Voraussetzung dafür ist, dass Urheber vergütet werden und zugleich aber der Schutz nicht so weit ausgedehnt wird, dass dadurch kreatives Schaffen Dritter verhindert wird. Es geht daher um eine Kultur, in der möglichst viele Werknutzungen zustimmungsfrei, aber vergütungspflichtig sind. Leitbild einer solchen offenen Kultur ist für mich neben dem Urheber der aktive und selbstbestimmte Nutzer, der die im Zuge der digitalen Revolution freigesetzten Möglichkeiten kreativ ausschöpft.

SZ: Was meinen Sie mit digitaler Revolution?

Hansen: Das Internet und die Digitalisierung haben das Umfeld für die Schaffung, Verwertung und Nutzung von Geisteswerken grundlegend verändert. Wir beobachten neue digitale Nutzungspraktiken von bestehenden Werken, zum Beispiel Remixing, Sampling oder Mash-ups. All das sind Phänomene, die auf kostengünstige Art und Weise immer mehr Menschen offen stehen. Sie können Kreatives schaffen, verbreiten und mit anderen teilen. Das war in der analogen Welt so nicht möglich und darauf muss das Urheberrecht reagieren.

SZ: Bisher taucht der Nutzer nur als Gesetzesbrecher im Urheberrecht auf.

Hansen: Das ist so nicht ganz richtig, es gibt sogenannte Schrankenregelungen, die ihm unter bestimmten Voraussetzungen eine Werknutzung erlauben. Aber solche Schutzbeschränkungen werden nicht als positive Manifestationen eines urheberrechtlichen Nutzerschutzes verstanden, sondern restriktiv als bloße Ausnahmen vom Schutz, die zu Lasten der Nutzer sehr eng ausgelegt werden.

SZ: Warum liegt Ihnen der Schutz der Werknutzer so am Herzen?

Hansen: Ich habe die Sorge, dass der urheberrechtliche Schutz, den wir derzeit haben, Kreativität zunehmend blockieren könnte. Die im Zuge der digitalen Revolution freigesetzten Aktivitäten bedeuten eine aktive Teilhabe am kulturellen Leben, die es aus meiner Sicht zu bewahren gilt, weil sie Freiheit, autonome Selbstbestimmung, individuelle Persönlichkeitsentfaltung und kulturelle Vielfalt fördert. Und das Urheberrecht ist auch dazu da, diese Werte zu fördern.

SZ: Deshalb wollen Sie das Ziel der Kreativitätsförderung in den Titel des Urheberrechtsgesetzes aufnehmen?

Hansen: Ich schlage in meiner Arbeit vor, dass wir das Urheberrecht in das "Gesetz zur Förderung kreativen Schaffens" umbenennen und zudem die tragenden Grundgedanken des Urheberrechts dem Gesetz in einer Präambel voranstellen. Diese sind aus meiner Sicht neben dem Alimentations- und Amortisationsprinzip, das Prinzip der persönlichkeitsrechtlichen Interessenwahrung und das Partizipationsprinzip. Ergänzend könnte man eine Klausel im Gesetz verankern, diese könnte lauten: "Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst sowie deren Nutzer genießen Schutz aufgrund und nach Maßgabe dieses Gesetzes."

SZ: Auffällig ist, dass Sie an prominenter Stelle den Nutzer der Werke nennen.

Hansen: Das geltende Urheberrecht ist von der Theorie her urheberzentriert und in der Praxis eher verwerterorientiert. Ohne ein rechtstheoretisch untermauertes Nutzerschutzkonzept lässt sich aber nur schwerlich eine Nutzerschutzagenda für das digitale Zeitalter erarbeiten, geschweige denn rechtspolitisch durchsetzen.

SZ: Wie könnte die theoretische Fundierung für diesen Ansatz aussehen?

Hansen: Mir geht es darum, die in Kontinentaleuropa lange vernachlässigten gemeinwohlorientieren Begründungen des Urheberrechts stärker heranzuziehen. Man spricht von kollektivistisch-konsequentialistischen Rechtfertigungsansätzen, die vor allem im angelsächsischen Raum Anwendung finden. Ich glaube, dass wir diese auch bei uns stärker ins Blickfeld rücken sollten.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2009/joku
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