Süddeutsche Zeitung

Urheberrecht:EU will Musikdownloads erleichtern

Die Europäische Union macht sich für den grenzenlosen Musikgenuss im Internet stark. Komponisten und Texter sollen nach den Plänen aus Brüssel mehr Schutz erhalten - und Verwertungsgesellschaften wie die Gema stärker kontrolliert werden.

Cerstin Gammelin

Autoren und Künstler sollen mehr Rechte erhalten, die Verwendung ihrer Werke zu kontrollieren und Lizenzgebühren zu bekommen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Stärkung der Urheberrechte für Gedrucktes, Musik und Audiovisuelle Dateien legte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier am Mittwoch in Brüssel vor. "Geistesgröße und Schöpfung müssen besser gewürdigt werden", sagte Barnier.

Es sei höchste Zeit, die Regeln in den europäischen Ländern zu harmonisieren und die Erhebung, Verwaltung und Verteilung der Lizenzgebühren transparenter zu machen. Allein 2009 hätten 70 europäische Verwertungsgesellschaften, die eine Million Urheber vertreten, mehr als sechs Milliarden Euro eingenommen, wobei das meiste Geld aus der Vermarktung von Musik stamme. "Das ist ein riesiger Markt, und wir müssen ihn transparent machen", sagte Barnier in Brüssel.

250 Verwertungsgesellschaften

Die neuen Regeln "über kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für die online-Nutzung von Rechten an Musikwerken im Binnenmarkt" sollen für alle 250 europäische Verwertungsgesellschaften gelten. Sie sehen vor, dass jede einzelne Verwertungsgesellschaft einen jährlichen "Transparenzbericht" vorlegt - und zwar spätestens sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres.

Er muss von allen Direktoren unterzeichnet und für mindestens fünf Jahre auf der Website veröffentlicht werden. Die Rechte-Inhaber müssen in die Entscheidungen der Gesellschaft stärker einbezogen werden, um ihr geistiges Eigentum zu schützen. Sie können zudem wählen, welche Verwertungsgesellschaft ihre Rechte vertreten soll. Lizenzgebühren sollen künftig spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres, in dem sie eingetrieben wurden, auch ausgezahlt werden. Barnier zufolge sind das allein für Musikrechte jährlich 4,6 Milliarden Euro.

Ein besonderes Regelwerk soll deshalb auch für den Verkauf von Musik im Netz gelten. "Wir brauchen Rechtssicherheit für den Verkauf im Netz", sagte der französische Kommissar. Für Videos und Musik im

Internet soll es länderübergreifende Online-Lizenzen geben - und Kaufinteressenten grenzüberschreitend Zugang zu Anbietern bekommen. Die Mitgliedsstaaten müssen zudem überwachen, dass die Verwertungsgesellschaften, die Mehrgebietslizenzen für Online-Rechte an Musiktiteln vergeben, "ausreichend Kapazitäten zur effizienten und transparenten elektronischen Verarbeitung der für die Verwaltung dieser Lizenzen erforderlichen Daten verfügen", heißt es in dem Kommissionsvorschlag.

Barnier kritisierte, dass die Zahl der Anbieter in den einzelnen europäischen Ländern sehr schwanke. In Deutschland und Großbritannien gebe es mehr als 60 Anbieter von Online-Dienstleistungen. In Polen seien es weniger als zwanzig, und in anderen Ländern weniger als fünf. Vor allem Jugendliche, die sich für Musik interessierten, seien praktisch gezwungen, illegale Wege zu finden, um sich die gewünschten Dateien zu laden. Barnier betonte, die neuen Regeln sollten den Zugang zu allen Online-Dateien sichern, nicht nur zu bekannten Songs.

Barnier sagte, durch das neue Regelwerk erhielten Rechte-Inhaber und Verwertungsgesellschaften einen klaren Rechtsrahmen - von dem auch viele Arbeitsplätze abhingen. Die Umsätze der betroffenen Branchen bezifferte er auf sechs Milliarden Euro für die Musikindustrie, 30 Millionen Euro für Buchverlage und 100 Milliarden für Videos. Er wies Vermutungen zurück, die Europäische Kommission wolle mit ihrer Richtlinie vor allem die Nutzung der Rechte kontrollieren und Sanktionen verschärfen.

"Nützliche Mittler"

Die Verwertungsgesellschaften seien "nützliche Mittler zwischen Künstlern und Nutzern", sagte Barnier. Sie müssten aber "künftig besser funktionieren" - und sich den neuen Gepflogenheiten des modernen 21. Jahrhunderts anpassen. Jede Gesellschaft müsse einen Aufsichtsrat haben, eine Generalversammlung abhalten und die Geldverwaltung neu regeln. Gerade dabei habe es bisher "viele Probleme" gegeben. Zudem müssten sie "multiterritoriale Lizenzen" vergeben.

Mit seinem Gesetzentwurf will Barnier zudem die Wahlmöglichkeiten von Autoren und Komponisten stärken. Autoren- und Komponistenverbände klagen seit vielen Jahren über Knebelverträge und bemängeln die uneffiziente Verbreitung ihrer Titel. Theoretisch dürfen sie auch heute schon auswählen, von welcher Gesellschaft sie sich vertreten lassen wollen. Ein deutscher Autor konnte beispielsweise bei einer französischen Verwertungsgesellschaft anklopfen. Diese wiederum konnte den Autoren allerdings ohne weiteres ablehnen. Das soll künftig nicht mehr möglich sein.

Dem Vorschlag müssen das Europäische Parlament und die 27 Mitgliedsstaaten zustimmen.

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SZ vom 12.07.2012/mri
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