Süddeutsche Zeitung

Unzensierte Suche in China:Google, Link in die Freiheit

Chinas Regierungskritiker werden im Netz gnadenlos gejagt. Für sie geht es beim Streit zwischen Peking und Google um die ganz persönliche Freiheit. Doch wie wird die Regierung reagieren?

Henrik Bork

Ein Leben ohne Google? "Da würden viele Chinesen lieber auswandern", sagt der Blogger Michael Anti in Peking. Ob es soweit kommt, ist an diesem eiskalten Januartag in Peking noch unklar.

Die Frage aber steht immerhin im Raum, seit Google am Mittwoch der chinesischen Internetzensur offen den Kampf erklärt hat. Vor dem Hauptquartier von Google in Peking legten am Mittwoch einige Chinesen rote Rosen und weiße Lilien in den Schnee. Er wolle seine "Unterstützung für Google" ausdrücken, sagte Zhao Gang, ein 30-jähriger Angestellter einer IT-Firma.

Google hatte kurz zuvor mit seinem Rückzug aus China gedroht, weil es Opfer einer "hochgradig raffinierten" Hacker-Angriffs aus China geworden sei. Den Angreifern sei es vor allem zum "Zugang zu den Gmail-Konten chinesischer Menschenrechtsaktivisten" gegangen, erklärte die Firma.

Im Video: Nach Hackerangriffen will der US-Internetkonzern Google sich aus China zurückziehen. Weitere Videos finden Sie hier

Man sei ab jetzt nicht mehr bereit, "Resultate auf Google.cn zu zensieren", schrieb der Chefjurist von Google, David Drummond, auf dem firmeneigenen Blog. "Wir sind uns bewusst, dass dies durchaus das Schließen von Google.cn und möglicherweise unserer Büros in China bedeuten kann", heißt es in der ungewöhnlichen Erklärung.

Es geht um die persönliche Freiheit

Für Regimegegner in China geht es bei diesem Thema nicht nur um den abstrakten Widerspruch zwischen Meinungsfreiheit und Zensur. Es geht ganz konkret um ihre persönliche Freiheit, denn Chinas Staatssicherheit jagt sie gnadenlos.

Das musste etwa der 43-jährige Journalist Shi Tao erfahren. Er hatte eine interne Anweisung der chinesischen Zensoren per E-Mail versandt. Chinas Regierung setzte daraufhin die Firma Yahoo in Hongkong unter Druck, bis sie den Fahndern Zugang zu Shi Taos E-Mail-Konto gewährte.

Mit diesem Material wurde Shi Tao am 11. März 2005 von einem chinesischen Gericht in einer zweistündigen Verhandlung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er sitzt bis heute.

Für jede Firma, ganz besonders aber für eine wie Google, die sich den Slogan "don't be evil" - tu' nichts Böses - auf ihre Fahnen geschrieben hat und mit Informationen ihr Geld verdient, war China stets ein schwieriger Markt.

Die Repression genau verfolgt

Das Dilemma begleitete Google, seitdem es im Jahr 2006 mit der Gründung der "Google.cn"-Suchmaschine auf diesen Markt drängte. Google-Chef Eric Schmitt erläuterte am 12. April jenen Jahres in einem Pekinger Ballsaal seine Ziele, als eine chinesische Reporterin aufstand. "So, Herr Schmitt, wie weit wollen Sie denn beim Verkauf ihrer Seele gehen, um in China Geschäfte zu machen?", fragte die Journalistin der Shanghai Daily.

Erst jetzt kennt man die Antwort. "Die Firma hat sich gegen kurzfristige Geschäftsinteressen in China und für den langfristigen Schutz ihres Markennamens entschieden", sagt Rebecca MacKinnon, eine US-Expertin für chinesische Internet-Zensur.

Dass dem Google-Vorstand die Entscheidung wehtat, räumte er selbst ein, der Börsenkurs sackte am Mittwoch deutlich ab. 340 Millionen Internetnutzer hat China inzwischen. Google hatte nicht nur die Verhaftung Shi Taos, sondern auch die weiteren Verschärfungen der Repression in China genau verfolgt. Die Firma zitierte gestern ausdrücklich die Versuche Pekings, "die freie Rede im Internet im vergangenen Jahr weiter zu begrenzen".

Kürzlich war der Pekinger Literaturprofessor Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Zuvor hatte er das Internet als "Gottes Geschenk" für seine Gleichgesinnten bezeichnet.

Der Suchmaschinen- und E-Mail-Riese hat in China eine Gratwanderung versucht. Während Google bei "google.cn" einer beschränkten Zensur von Suchergebnissen zustimmte, weigerte es sich gegen die Verlagerung seiner E-mail-Server (Gmail) nach China.

30 Millionen chinesische Kunden haben ein Gmail-Konto. "Zwischen den Zeilen lese ich in der gestrigen Google-Erklärung, dass die Firma nun schon ihre Firmenbüros in Peking als Risiko für ihre Gmail-Kunden einschätzt", sagt Rebecca MacKinnon.

"Die gesamte Mittelklasse nutzt Gmail"

Wie Chinas Regierung reagieren wird, war am Mittwoch noch unklar. "Es gibt Befürchtungen, dass unsere Regierung aus Rache Gmail blockieren oder sogar den Zugang zu der amerikanischen Webseite google.com blockieren könnte", sagte der Blogger Anti. Dann würden viele seiner Freunde an Auswandern denken, sagte er.

Allerdings gebe es wohl auch "aufgeklärte Kräfte in der Regierung", die um den wirtschaftlichen Schaden einer solchen Reaktion wüssten. "Die gesamte Mittelklasse Chinas, so gut wie alle gut ausgebildeten Angestellten ausländischer Firmen haben ein Gmail-Konto", sagte der Blogger.

Die Führung in Peking, hin- und hergerissen zwischen zur Marktöffnung und politischer Kontrollwut, hat ausländischen Internetfirmen in China stets das Leben schwer gemacht. Google, weltweit die führende Internet-Suchmaschine, konnte aufgrund Schikanen in China nur einen Marktanteil von 31,3 Prozent erobern.

Die Zeit der Leisetreterei ist vorbei

Die chinesische Kopie "Baidu" hat sich 63,9 Prozent gesichert. Doch auch Chinas Regierung hat in dem Streit einiges zu verlieren. Vor allem internationales Ansehen. Der "neue Ansatz in Sachen China", von dem Google schreibt, könnte zudem auch in internationalen Wirtschaftskreisen Schulen machen.

Hatten die Hoffnungen auf den chinesischen Markt lange zu einer Leisetreterei in den Vorstandsetagen geführt, die auch auf westliche Politiker abfärbte, gab es zuletzt andere Töne zu hören. So war nach Pekings Auftritt beim Klimagipfel in Kopenhagen ähnlich scharfe Kritik an den Chinesen zuhören, wie sie nun von Google an der Repression geäußert wird.

"Was Google getan hat, war nicht nur ein mutiger Schritt, sondern es hebt auch deutlich die Messlatte für ethisches Verhalten auf dem chinesischen Markt insgesamt", sagt die Analystin MacKinnon.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.74682
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.01.2010/joku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.