Unveröffentlichte Facebook-Statusmeldungen:Niemand liest, was keiner speichert

Facebook spielt mal wieder Big Brother - und speichert jetzt sogar, was Nutzer zwar eintippen, aber dann doch nicht veröffentlichen. Diesen Eindruck erweckt zumindest eine Reihe von Medienberichten. Wie das passieren konnte? Die Antwort liefert die Auswertung der angeblichen Überwachung gleich selbst.

Von Matthias Huber

Facebook weiß alles. Zum Beispiel, was seine Nutzer interessiert und wofür sie gerne Geld ausgeben. Oder welche Freunde sie haben und wie oft sie mit ihnen reden. Aber das reicht dem milliardenschweren Internetkonzern offenbar noch nicht. Jetzt, so liest man in diversen Medien, will Facebook auch noch wissen, was wir denken, aufschreiben - und dann wieder löschen. Offenbar ist den Betreibern des sozialen Netzwerks wirklich alles zuzutrauen.

Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn man die aktuelle Berichterstattung über eine Studie verfolgt, die bereits im Juli veröffentlicht wurde. Darin wurde das Posting-Verhalten von etwa vier Millionen zufällig ausgewählten Facebook-Nutzern untersucht. Oder genauer: das Nicht-Posting-Verhalten. Die Macher der Studie haben nämlich überwacht und gespeichert, wenn Nutzer zwar etwas in ihr Status-Eingabefenster geschrieben haben, diesen Text dann anschließend aber wieder gelöscht haben, anstatt ihn zu veröffentlichen.

"Facebook kann sehen, was die Nutzer eingeben, selbst wenn der Status nicht veröffentlicht wird", überschreibt etwa die Los Angeles Times ihren aktuellen Artikel dazu. Und stellt im vierten Absatz klar: "Die Studie hat nicht die Worte oder Buchstaben erfasst, die die Nutzer eingetippt haben, sondern nur, ob sie etwas eingetippt haben." Außerdem seien diese Daten anonymisiert erhoben worden und könnten nicht einzelnen Nutzern zugeordnet werden. Stimmt die Meldung also doch nicht?

Die Überschrift ist strenggenommen korrekt. Facebook kann lesen, was die Nutzer eingeben. Das ermöglicht beispielsweise ein simples Javascript, das die Buchstaben und Worte schon vor dem Druck auf die Enter-Taste an den Server überträgt. Nur so funktioniert beispielsweise die Autocomplete-Funktion bei Google oder in der Facebook-Suche und auf tausenden weiteren Webseiten. Diese Erkenntnis ist banal und keineswegs neu - aber zugespitzt wunderbar dazu geeignet, mal wieder das Misstrauen gegenüber dem großen bösen Internetkonzern zu schüren.

Misstrauen ja - aber nicht um jeden Preis

Die Frage, ob man Facebook glauben sollte, dass die gelöschten Statusmeldungen nicht auch inhaltlich und personalisiert gespeichert oder ausgewertet wurden, ist berechtigt. Aber es gibt in diesem Fall keinen Anlass, das Gegenteil anzunehmen. Die Studie war auf 17 Tage begrenzt und überwachte nur einen kleinen Bruchteil der über eine Milliarde Nutzer des sozialen Netzwerks, sie ist wissenschaftlich veröffentlicht worden, die Methodik transparent dargelegt.

Woher kommt also die Hysterie? Facebook hat wahrlich keine weiße Weste, wenn es um Datenschutz geht. Zuckerberg und sein Team sind dafür bekannt, mit dem Vertrauen ihrer Nutzer selbstherrlich umzugehen. Zum Beispiel, indem sie intransparent ihre Nutzungsbedingungen verändern und die User dazu zwingen, noch mehr von sich preiszugeben. Misstrauen ist also angebracht.

Nur nicht um jeden Preis. Immerhin will die Studie herausfinden, wie Menschen das soziale Netzwerk nutzen. Das ist auch jenseits von Vermarktungszielen ein legitimes Erkenntnisinteresse. So macht der Bericht beispielsweise klar, dass sich Männer häufiger in letzter Sekunde gegen einen Post entscheiden als Frauen. Dass eigene Statusmeldungen häufiger "selbstzensiert" werden als Kommentare unter den Statusmeldungen anderer.

Und dass Statusmeldungen, die nur für eine bestimmte Facebook-Gruppe - also wenige Nutzer - bestimmt sind, am häufigsten der Delete-Taste zum Opfer fallen. "Selbstzensur" ereigne sich also besonders häufig, so eine These der Studie, je mehr Gedanken sich der Autor über sein Publikum macht. Macht er das nicht, schwinden auch die Hemmungen. Und dann steht da vielleicht: "Facebook kann lesen, was wir vor dem Posten wieder löschen."

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