UMTS:Drahtloser Seilakt

Zu langsam, zu spät, zu dürftig: Das gepriesene Mobilfunknetz UMTS kann viele Versprechen nicht halten.

Hubert Filser und Michael Lang

(SZ vom 26.2.2002) - Wäre man Marketingchef, würde man sagen: Ron Sommer hat eine Vision. Dass nämlich eines nahen Tages jeder Mensch seine Welt bei sich tragen wird - nicht im Kopf, sondern in seiner Hosen- oder Jackentasche. Es geht um ein Hightech-Netz, mit dem jeder rund um die Uhr via Handy verbunden sein soll, das außer Sprache auch digitale Fotos, Videos, Spiele und Musikstücke liefert und Zugang bietet zu Web-Seiten und persönlich ausgewählten Nachrichten.

UMTS-Handy

Das erste UMTS-Handy bringt Motorola zur Cebit nach Deutschland - mit E-Mail, Kamera und MP3-Spieler. Doch die aufregenden Visionen von der draht- und grenzenlosen Mobilfunkwelt zeigen erste Risse.

(Foto: Foto: Motorola)

UMTS heißt das Wundernetz (Universal Mobile Telecommunication System), und sollte es ähnlich populär werden wie das World Wide Web, so warten satte Gewinne. Sechs Unternehmen waren deshalb bereit, rund 50 Milliarden Euro allein für die UMTS-Funklizenzen zu bezahlen - der Ausbau des Netzes wird noch einmal eine ähnlich hohe Summe verschlingen. Neben dem gigantischen Potenzial ist UMTS deshalb auch ein großes wirtschaftliches Risiko; der Grund, warum die Marketing-Kutsche das technische Zugpferd mitunter überholt. Doch schon mehren sich die Kritiker. So warnte unlängst die New York Times, man solle nach der soeben in den Vereinigten Staaten erfolgten Einführung von UMTS lieber noch ein oder zwei Jahre warten, dann kaufe man nicht nur ein Versprechen.

Wie sehr technische Schwierigkeiten im Weg stehen können, zeigte sich schon beim ersten europäischen UMTS-Probebetrieb auf der britischen Isle of Man. Zum Start waren für die 75.000 Insulaner gerade einmal 200 Handys verfügbar. In Deutschland hat Marktführer T-Mobile (D1) nun den Start auf Herbst 2003 verschoben. Die Lizenzvereinbarung mit der Regulierungsbehörde der Telekom schreibt indes vor, bereits 2003 ein Viertel aller Deutschen mit UMTS zu versorgen. Telekom-Chef Ron Sommer sucht deshalb die Unterstützung von Öffentlichkeit und Politik. "Ich bin überzeugt, dass es uns rasch gelingen wird, UMTS zu einem neuen Massenmarkt zu machen", sagte er vergangene Woche vor der versammelten Weltpresse und Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Mit anderen Worten: UMTS soll es keinesfalls so ergehen wie etwa Leo Kirchs digitalem Bezahlfernsehen, dem die Kunden ausbleiben. Dabei erscheint es unvermeidlich, dass nicht alle sechs deutschen UMTS-Lizenznehmer den mörderischen Kampf um Marktanteile überleben werden. "Es wird große Leichen geben, das ist nur gut für uns", sagt Sommer.

Der Kostendruck wird bis zum Verbraucher durchschlagen. Ein neues Handy muss her, und die Industrie peilt einen monatlichen Umsatz von 50 Euro pro Kunden an. Als "Killerapplikationen" - Anwendungen, die Kunden zum Umstieg vom alten auf das neue Funknetz bewegen sollen - gelten Spiele, Videos, Erotik und Musik. Diese Dienste sollen auch den Profit für die Betreiber bringen. Telefonieren wird zur Nebensache.

Nachts auf dem Funkmast

Denn abgerechnet wird nicht die Dauer eines Gesprächs - im UMTS- Netz ist man "always on". Was zählt, ist die übertragene Datenmenge, sie entscheidet über den Erfolg von UMTS. Die von Marketing und Produktmanagement der Mobilfunkbetreiber versprochene bunte Multimedia-Welt auf dem Handy setzt entsprechend hohe Übertragungsraten voraus. Doch statt der weithin angekündigten zwei Millionen Bit (Megabit) pro Sekunde werden am Anfang höchstens 384 Kilobit pro Sekunde erreicht; das Sechsfache der ISDN-Rate. Aber auch das ist nur ein theoretischer Wert.

Die US-Firma Verizon Wireless bietet seit einigen Tagen im Großraum New York UMTS mit 144 Kilobit pro Sekunde an, das Zehnfache der Übertragungsrate von GSM-Handys. Doch Kritiker warnen vor überzogenen Erwartungen. "Das ist eine hypothetische Zahl, die sich vielleicht erreichen lässt, wenn man um vier Uhr nachts auf einen Funkmast klettert, keine Luftmoleküle stören und niemand anders in der Nähe telefoniert", sagt Alan Reiter, unabhängiger Analyst bei Chevy Chase. Ist man unterwegs oder sind mehrere Nutzer in der Nähe, dann teilt sich die Übertragungsrate. Bei Massenveranstaltungen lässt man deshalb sein UMTS-Handy wohl am besten zu Hause.

Eine Studie der Bank Credit Suisse First Boston spricht denn auch davon, dass auf Grund von Anlaufschwierigkeiten mindestens fünf Jahre vergehen werden, ehe auch nur jeder vierte Mobilfunknutzer ein Telefon der neuen Generation anschaffen wird. Sogar T-Mobile-Chef Uwe Ricke wird mit den Worten zitiert, dass nur 20 bis 30 Prozent der Mobilfunkkunden zurzeit reif seien für UMTS.

Dessen ungeachtet bastelt die Industrie unablässig an der UMTS-Wunderwelt. Auf der Mobilfunkmesse vergangene Woche in Cannes zeigte Siemens, wie sich Fernsehen mit dieser Technik übertragen lässt. Infineon und der japanische Elektronikkonzern Toshiba wollen nun ihre Chips "kompatibel" machen, damit Videos zügig aufs Handy gelangen. Und die Techniker können im Prinzip jedes Geschwindigkeitsproblem lösen: In den Labors arbeitet man schon am UMTS- Nachfolger - Japan plant dessen Einführung bereits für 2010.

Aber Technik allein genügt nicht. "UMTS hat nur eine Existenzberechtigung: den Inhalt", stellt Ariane Afrough fest. Die Analystin vom Beratungsunternehmen IDC verweist auf den Misserfolg des Wireless Application Protocol (WAP), eines abgespeckten Internets für die heute üblichen GSM-Handys, das kurz nach der Einführung wegen fehlender Inhalte einging. "Auch die Anwendungen für UMTS sind noch nicht da", sagt Knox Bricken, Analyst bei der Yankee Group. Afrough und Knox sind sich einig darin, dass womöglich Spiele erfolgreich sein könnten, weil Spieler weniger aufs Geld achteten und die Gebühren nicht scheuten. Interessant sind vielleicht auch so genannte "location based services", orts- und personenbezogene Informationsdienste wie eine individualisierte Wettervorhersage oder elektronische Städteführer, die alle Geldautomaten, Tankstellen und Restaurants der Umgebung anzeigen. "Diese müssen aber flächendeckend verfügbar sein, um einschlagen zu können", sagt Ariane Afrough.

Der Netzbetreiber Mobilcom hofft darauf, dass 85 Prozent der Kunden ihre Bankgeschäfte über das Handy abwickeln werden. Der finnische Mobilfunkausrüster Nokia hat 2001 weltweit 3300 Menschen zwischen 16 und 45 Jahre befragen lassen. Am populärsten waren SMS-Kurznachrichten mit 81 Prozent - eine Anwendung, für die man kein UMTS braucht. 72 Prozent könnten sich vorstellen, auch einen Unterhaltungsdienst zu nutzen, etwa mobiles Radio. Auch das funktioniert schon seit Jahrzehnten ohne Mobilfunk. Dann erst folgten Wünsche wie das Herunterladen von Musik, mobiles Live-Fernsehen und Spiele. Damit wird klar, dass der Markt noch hart erarbeitet werden muss.

Im Übrigen wird sich zeigen, ob die Darstellung von Web-Seiten, Bildern und Videofilmen auf zum Teil briefmarkenkleinen Handy-Displays den Geschmack der Massen treffen wird. Bei aller Skepsis gehen viele Studien dennoch davon aus, dass sich UMTS durchsetzen wird. IDC schätzt, dass bereits im Jahr 2005 in Deutschland 23 Prozent der 50 Millionen Handy-Besitzer das neue Netz nutzen werden. Für konkrete Prognosen zu Erfolg und Misserfolg hat die Beraterfirma Mercer Consulting jedoch nur ein Wort übrig: "Glaskugelseherei".

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