Umstrittenes Irak-Video:Wikileaks-Informant offenbar enttarnt

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Wie das US-Magazin "Wired" berichtet, hat das FBI einen 22-jährigen Soldaten verhaftet. Er soll das brisante Video des US-Angriffs auf Zivilisten im Irak an Wikileaks weitergegeben haben. Offenbar wurde ihm seine Geschwätzigkeit zum Verhängnis.

Johannes Kuhn

Anfang April machte die Enthüllungsplattform Wikileaks weltweit Schlagzeilen: Die Macher der Seite veröffentlichten ein Video, auf dem zu sehen ist, wie US-Truppen im Irak aus einem Helikopter mehrere Zivilisten erschießen. Die zynischen Kommentare, welche die Soldaten dazu abgeben, wurden schnell zum Symbol für die inhumane Seite des amerikanischen Einsatzes im Irak.

Das Wikileaks-Video des tödlichen US-Helikopterangriff im Irak hatte hohe Wellen geschlagen - nun hat das FBI offenbar einen Verdächtigen festgenommen, der das Video weitergegeben haben soll. (Foto: dpa)

Die Veröffentlichung dürfte den Offiziellen im Pentagon Kopfschmerzen bereitet haben, lag der Verdacht doch nahe, dass ein Militärangehöriger das brisante Video weitergegeben hatte. Offenbar hat sich dieser Verdacht nun bestätigt: Wie die US-Technologieseite Wired.com berichtet, hat das FBI einen Soldaten festgenommen, der sich in einem Internet-Chat damit gebrüstet haben soll, die Aufnahmen an die Öffentlichkeit gebracht zu haben.

Der 22-jährige Specialist Bradley M. aus dem US-Bundesstaat Maryland hatte dem Bericht zufolge den früheren Starhacker Adrian Lamo kontaktiert und in verschiedenen Chat-Konversationen Details über seine Tat berichtet. Der Mann war seit 2007 Armeeangehöriger und hatte als nachrichtendienstlicher Analyst offenbar Zugang zu streng geheimen Informationen

"Schwache Server, schlechte Spionageabwehr"

Sein Vorgehen zeigt große Lücken im Sicherheitssystem des US-Militärs auf: Auf seiner Armeebasis hätten zwei Laptops Verbindungen zu den Servern mit den geheimen Informationen gehabt. "Ich bin mit Musik auf einer wiederbeschreibbaren CD hineingegangen, auf der etwas wie 'Lady Gaga' stand, löschte die Musik und schrieb einen komprimierte Datensatz darauf", erzählte er laut Chat-Transkript, "ich hörte Lady Gagas Telephone und sang leise mit, während ich die größte Datenflut in der US-Geschichte freisetzte. Schwache Server, schwache Protokollierungen, schwache physische Sicherheit, schlechte Spionageabwehr, unaufmerksame Signalanalyse ... eine Eins-a-Gelegenheit."

Die Autoren des Wired-Stücks vermuten, M. habe im Ex-Hacker Lamo einen Gesinnungsgenossen gesehen und ihn deshalb kontaktiert. Offenbar hatte der Armeeangehörige aufgrund persönlicher Probleme Streit mit seinen Vorgesetzten und sich innerhalb des Militärs isoliert gefühlt, weshalb er im Februar dieses Jahres die Daten entwendet hätte. Das Irak-Video sei ihm nach eigenen Angaben aufgefallen, weil es in einem Ordner von Militärermittlern gespeichert war.

Neben dem Irak-Video hat der 22-Jährige Wikileaks nach eigenen Angaben noch weiteres Material zugespielt: Dazu gehört das Video eines Luftschlags der US-Truppen in Afghanistan im Mai 2009, bei dem nach Angaben der örtlichen Behörden mehr als 100 Menschen, die meisten davon Kinder, getötet wurden. Wikileaks hatte den Besitz dieses Videos bereits vor einigen Wochen bestätigt und die Veröffentlichung angekündigt.

Noch mehr Brisanz birgt allerdings eine weitere Behauptung: So erklärte der Mann, 260.000 geheime Nachrichten aus dem diplomatischen Dienst der Vereinigten Staaten weitergegeben zu haben. Diese, behauptete er gegen über Lamo, legten "beinahe kriminelle politische Geheimgeschäfte" offen.

Hillary Clinton und Tausende Diplomaten, brüstete er sich, würden "einen Herzinfarkt bekommen", falls die Dokumente einmal öffentlich zugänglich seien. Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt erklärte jedoch gegenüber sueddeutsche.de, dass ihm von einem solchen Datensatz derzeit nichts bekannt sei.

Ende Mai beschloss Ex-Hacker Lamo, mit seinem Wissen über den vermeintlichen Informanten zum FBI zu gehen. "Ich hätte dies nicht getan, wenn nicht Menschenleben in Gefahr gewesen wären", rechtfertigte er sich im Gespräch mit Wired, "er war in einem Kriegsgebiet und versuchte einfach, so viele Geheiminformationen wie möglich zu saugen und sie einfach rauszupusten." Wenige Tage später verhaftete das FBI den Soldaten im Irak.

"Extrem blöd"

Ob es sich bei Bradley M. tatsächlich um die Quelle handelt, ist derzeit ungewiss. Allerdings liefert der Wired-Artikel genaue Details über Datenformate, Verschlüsselungstechniken und den Ablauf des Diebstahls. Zudem zitiert die Seite einen Freund des 22-Jährigen, mit dem dieser im Januar über die Preisgabe geheimer Militärinformationen gesprochen habe.

Das Facebook-Profil des Soldaten wurde von einem Verwandten auf seinen Wunsch mit folgender Statusmeldung aktualisiert: "Einige von euch haben vielleicht gehört, dass ich für die Weitergabe geheimer Informationen an unauthorisierte Personen verhaftet worden bin. Siehe CollateralMurder.com". Dies ist die Adresse der Seite, auf der das Irak-Video veröffentlicht wurde. Nach Angaben seiner Familie befindet sich M. momentan in Kuwait in Haft, bislang ist aber noch keine Anklage gegen ihn erhoben worden.

Wikileaks, das derzeit Gerüchten ausgesetzt ist, sich illegaler Recherchemethoden zu bedienen, kann nach eigenen Informationen den Wired.com-Text weder bestätigen, noch dementieren. "Wir sammeln keine Informationen über unsere Quellen", sagte Wikileaks-Sprecher Schmitt sueddeutsche.de, "aber unabhängig davon, ob es sich bei dem Mann um die Quelle handelt oder nicht, ist es extrem blöd, mit Dritten über solche Angelegenheiten zu reden."

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