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"Logan Symposium" zur Überwachung:Für die Wahrheit zahlen Whistleblower einen hohen Preis

Das "Logan Symposium" in Berlin feiert die Popstars unter den Whistleblowern wie Julian Assange oder Jacob Applebaum. Dabei zeigt sich, woran manche nach ihren Enthüllungen leiden.

Von Thorsten Schmitz, Berlin

Thomas Drake trägt zum Anzug Turnschuhe. Demnächst wird er 58 Jahre alt. Mit versteinerter Miene betritt er am Wochenende das Rednerpult auf dem Berliner Logan-Symposium "Challenge Power". Drake hat für die National Security Agency (NSA) gearbeitet und einen hohen Preis gezahlt dafür, dass er die Macht herausgefordert hat. Die meisten Zuhörer aber kennen ihn nicht. Sie sind jung, tragen Kapuzenpullis und Tätowierungen auf den Armen.

Vor elf Jahren gab Drake der Baltimore Sun Informationen zum NSA-Projekt "Trailblazer" zur weltweiten Überwachung. 2010 wurde er deshalb als Spion angeklagt. Ihm drohten 35 Haft. Heute ist Drake ein vergessener Held. Er steht im Schatten von Wikileaks-Gründer Julian Assange und Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden. Als sie auf dem Symposium per Video zugeschaltet werden, brandet langer Applaus auf. Assange, gegen den in Schweden ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Vergehen an zwei Schwedinnen läuft und der sich seit dreieinhalb Jahren in der Londoner Ecuador-Botschaft einer Auslieferung entzieht, und Snowden, der in Putins Russland eine Interimsheimat gefunden hat, werden verehrt. Sie sind die Helden einer neuen Generation von Hackern, Internetaktivisten und Investigativ-Journalisten. In Berlin gibt es sogar einen Assange-Tempel: Eine Ausstellung im "Haus der Kulturen der Welt" zeigt den Nachbau von Assanges Botschaftszimmer.

"Es hat was Himmlisches, dich so über uns zu sehen", sagt der Moderator zu Julian Assange

Als sein müdes Gesicht auf der riesigen Leinwand auftaucht, prostet ihm der Moderator und französische Hacker Jeremie Zimmermann mit Sektglas zu: "Es hat etwas Himmlisches, dich so über uns zu sehen." Bevor Assange zu einer Rede ansetzt, die im Mantra gipfelt, dass "Verschlüsselung unsere einzige Hoffnung ist", redet er erst einmal über sich selbst. In Anspielung auf das UN-Rechtsgutachten, das seine Festsetzung als willkürlich eingestuft hat, sagt er: "Wir haben hier ein Individuum - mich -, das Schweden, Großbritannien und die USA vor den Vereinten Nationen anklagt hat, und ich habe gewonnen."

Die Frage des zweitägigen Symposiums am Alexanderplatz ist auch: Was haben Drake, Assange und Snowden erreicht mit ihren Aufdeckungen? Wie arbeiten Veteranen des investigativen Journalismus wie etwa Seymour Hersh, der 2004 die Folterungen im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib aufgedeckt hat? Hersh sagt, seit den Terroranschlägen vom 11. September gebe er seine Information nicht mehr in Computer ein. Den Tipp habe er von einem CIA-Mann. Hersh wundert sich auch über den Spiegel, der die Konferenz mit ausgerichtet hat. Dieser sei im Besitz "sehr vieler NSA-Dokumente. Ich weiß nicht, warum er die noch nicht veröffentlicht hat."

Verändert haben die Whistleblower zweifelsfrei einiges. Zum Beispiel, dass Apple sein iPhone derart geschickt verschlüsselt, dass selbst FBI-Experten es nicht knacken können. Auch neu ist, dass ein US-Präsident das Hipster-Festival der Tech-Nerds in Texas aufsucht: Am Freitag hatte Barack Obama als erster Präsident überhaupt das Tech-Festival "South by Southwest" besucht.

Nicht neu dagegen ist die Frage: Sind Internetaktivisten Journalisten oder "nur" Internetaktivisten? Jacob Appelbaum rechnet mit der etablierten Presse ab. Den Guardian bezeichnet er als die "beschissenste Zeitung in englischer Sprache". Appelbaum gehört zu den Popstars der Hacker-Szene. 2013 lieferte er die Belege für das Abhören von Angela Merkels Handy. Zusammen mit Journalisten des Spiegel enthüllte er die Sensation - und wird trotzdem vom Spiegel noch immer als "Internetaktivist" bezeichnet. Seine Wut-Rede in eigener Sache gipfelt in dem Satz: "Wer mich weiterhin einen Internetaktivisten nennt, der fördert, dass für mich nicht der Schutz der Presse gilt, sondern dass ich nach Anti-Terror-Gesetzen behandelt werden soll." Appelbaums Wutausbruch ist das Gesprächsthema auf der Konferenz, Drakes stilles Leiden dagegen nicht.

In einer Konferenzpause gibt er einem sehr jungen Reporterteam ein Interview. Die Reporter sind ehrlich zu ihm: "Sagen Sie, wie war das damals für Sie als Whistleblower? Wir sind zu jung, um uns an Sie erinnern zu können." Drake lächelt. Es ist das Lächeln eines Mannes, der weiß, dass er Menschen wie Assange und Snowden den Weg geebnet hat, und der spürt, wie schnell man als Wege-Ebner in Vergessenheit geraten kann.

Er bleibt tapfer. Wenn man ihn fragt, wie er zurecht kommt im Leben, sagt er: "Meine Hauptaufgabe ist das Streben danach, wieder glücklich zu werden."

Durch die Enthüllungen verlor er sein Leben im Wohlstand. Niemand wollte ihn mehr anstellen, er verarmte, fast hätte seine Frau sich scheiden lassen. "Ich habe alle meine sozialen Kontakte verloren", erzählt er. Vor ein paar Monaten hat sein Streben nach Glück einen ersten Erfolg erzielt. Drake hat endlich wieder einen festen Job. Er arbeitet jetzt als Verkäufer in einem Apple-Store.

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SZ vom 14.03.2016/jab
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