Überwachung via "stummer SMS":Handy und Gendarm

Verfassungsschutz und Polizei orten Mobiltelefone im großen Stil - ohne dass deren Besitzer etwas davon mitbekommen. Wie die "stumme SMS" technisch funktioniert und welchen Schutz die Bürger vor der geheimen Ortung genießen.

Helmut Martin-Jung

So mancher Kriminelle hat sich schon gewundert, wie die Polizei nur so schnell herausgefunden hatte, wo er sich aufhielt - dabei trug er das Ortungsgerät sogar freiwillig mit sich herum: sein Handy.

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Smartphone-Nutzer sind per SMS nicht nur erreichbar, sondern von Behörden auch ortbar - ohne, dass sie es bemerken.

(Foto: dpa)

Der Standort von Mobiltelefonen lässt sich mit relativ geringem Aufwand feststellen, ohne dass der Überwachte davon etwas mitbekommt. Die Ermittler müssen dazu lediglich die Nummer des Handys kennen. Mehr als 355.000 sogenannte stille SMS haben allein Beamte des Bundeskriminalamts von 2006 bis 2011 verschickt, beim Zoll waren es im selben Zeitraum sogar mehr als 950.000, auf den Verfassungsschutz entfielen knapp 400.000.

Die Zahlen stammen aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Andrej Hunko aus dem vergangenen Herbst (pdf hier). Die Zahlen für die Bundespolizei sowie den Militärischen Abschirmdienst (MAD) sind darin nicht einmal enthalten, weil sie nicht erhoben wurden oder nicht mehr vorliegen, so das Innenministerium. Ebenso fehlen die Angaben über die Länderbehörden. Bekannt sind bislang nur Zahlen aus Nordrhein-Westfalen: Die dortige Polizei versandte 2010 in 778 Ermittlungsverfahren 255.784 Ortungs-SMS (Details hier als pdf).

Die stillen SMS sind nicht die einzige Möglichkeit, den Standort von Handys zu bestimmen, aber eine sehr effektive. Technisch gesehen unterscheiden sie sich kaum von normalen Kurznachrichten, außer dass sie keinen Inhalt haben und einen Steuerbefehl enthalten. Der sorgt dafür, dass auf dem Handy weder etwas angezeigt wird, noch ein Signal ausgegeben wird. Nur wenn das Mobiltelefon beispielsweise neben einem Lautsprecher liegt, könnte der Überwachte Verdacht schöpfen.

Direkt oder per Fax geschickt

Sobald nämlich die SMS gesendet wird, ertönt im Lautsprecher das charakteristische Rattern, das durch elektromagnetische Impulse ausgelöst wird - ein Zeichen dafür, dass das Handy Daten sendet. Das ist auch der Sinn der stillen SMS. Das Mobiltelefon wird durch die Kurznachricht veranlasst, Kontakt mit der nächstgelegenen Funkzelle aufzunehmen - wobei auch sein Standort übermittelt wird.

Dieser Datenaustausch ist unter anderem nötig, um zu prüfen, ob das Handy überhaupt erreichbar ist. Die Daten, die das Handy zurückmeldet, laufen bei den Betreibern der Mobilfunknetze auf und werden in den meisten Fällen über eine gesicherte Datenleitung direkt an die Ermittler weitergereicht, manchmal auch auf einen Datenträger gespeichert und verschickt oder per Fax übermittelt.

Setzen die Ermittler viele stille SMS hintereinander ab, lässt sich aus den gewonnenen Standortdaten ein Bewegungsprofil erstellen. Das ist eine Erklärung für die hohe Zahl der zu Ermittlungen eingesetzten stillen SMS.

NIchts geht ohne richterlichen Beschluss

Handys nehmen auch zeitgesteuert Kontakt mit der nächsten Funkzelle auf. Wie oft das passiert, hängt von den Einstellungen der Netzbetreiber ab, meist geschieht dies aber höchstens alle paar Stunden, wäre also zu ungenau für ein Bewegungsprofil. Das könnte man auch aus anderen Daten gewinnen, diese sind aber ebenfalls ungenauer als stille SMS.

Den Datenaustausch, der mittels stiller SMS gestartet wird, macht nämlich ein Handy auch von sich aus, aber nur dann, wenn es die sogenannte Location Area verlässt. In dieser sind mehrere einzelne Funkzellen zusammengefasst. Das Gebiet, das über diese Zellen versorgt wird, kann auf dem Land viele Quadratkilometer umfassen.

Ansonsten kann die einzelne Funkzelle nur dann genau ermittelt werden, wenn der Verdächtige sein Handy aktiv nutzt, also etwa telefoniert. Alle Daten, die dabei anfallen, lassen sich beim Netzanbieter abgreifen und für Ermittlungen auswerten.

Bevor die Anbieter Daten herausgeben, verlangen sie einen richterlichen Beschluss. Können die Ermittler nachweisen, dass Gefahr im Verzug ist, darf die richterliche Bestätigung binnen dreier Werktage nachgereicht werden. Die gesetzlichen Grundlagen, in denen geregelt ist, wann die Telekommunikation überwacht werden darf, findet sich in der Strafprozessordnung.

Sogenannte Verkehrsdaten, Telefonate, der Inhalt von E-Mails und auch der von stillen SMS ausgelöste Datenverkehr dürfen dann herangezogen werden, wenn jemand eine schwere Straftat begangen hat, wenn er dies vorhat oder wenn er zur Vorbereitung eine andere Straftat begangen hat. Die Tat muss zudem auch für sich genommen schwerwiegend sein und andere Ermittlungsmethoden müssen wesentlich schwieriger oder aussichtslos sein.

Speicherfrist ist nicht geregelt

Als schwere Straftaten werden unter anderem Mord und Totschlag, Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften, Bandendiebstahl, Geldwäsche sowie Bestechlichkeit und Bestechung genannt (Paragraph 100a). Eine solche Überwachungsmaßnahme darf auf höchstens drei Monate befristet werden. Die Netzanbieter sind verpflichtet, die Daten herauszugeben, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, das gilt auch für Betreiber etwa von Firmen-Telefonanlagen.

Wie lange die Anbieter solche Daten speichern müssen, ist derzeit nicht geregelt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im März 2010 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte. Zwar fordert auch die EU ein Gesetz und droht Deutschland mit Strafe - es ist allerdings umstritten, ob die EU-Richtlinie überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist. Dies zweifelt beispielsweiseJustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) an.

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