Typographie im Internet:Adieu Systemschriften

Im Internet herrscht ein Mangel an Schriftarten. Dem Medium fehlt es schlicht an technischen Möglichkeiten, typographische Neuerungen umzusetzen - bis jetzt.

Martin Z. Schröder

Im Internet kündigt sich seit einigen Monaten ein Fortschritt des Mediums an, den man ihm kaum zutraut - ein ästhetischer. Denn man kann sich heute zwar Kinofilme online ansehen, aber die Zeitung auf dem Bildschirm in der Schrift lesen, wie sie das bedruckte Papier zeigt, das geht nicht. Gute Typographie ist im Internet rar.

Typographie im Internet: Für Gutenberg haben sich Effizienz und Form, Technik und Ästhetik nicht ausgeschlossen. Das war einmal.

Für Gutenberg haben sich Effizienz und Form, Technik und Ästhetik nicht ausgeschlossen. Das war einmal.

(Foto: Foto: Eberhard Wolf)

Weil die Produktionstechnik das Design bestimmt, verliert die Form zeitweilig mit jedem technischen Fortschritt - erst die Ingenieure, dann die Formgestalter. Nur Johannes Gutenberg entwickelte als ganzheitlicher Mittelaltermensch noch so viel Ehrgeiz, dass ihm die Form seiner Druckerzeugnisse ebenso wichtig war wie die effiziente Herstellung: Für seine Bibel machte er nicht nur 26 Kleinbuchstaben, sondern 63 in verschiedenen Breiten, um alle Zeilen auf gleiche Länge auszutreiben.

Sein Werk sollte der Schönheit der Handschriften, mit denen bislang Bücher in Klöstern geschrieben wurden, nicht nachstehen. Er goss insgesamt fast dreihundert bleierne Schriftzeichen, also auch diverse Großbuchstaben, über achtzig Ligaturen (Verschmelzungen von zwei und mehr Typen) und sogar fünf verschiedene Kommata.

Zahl der Ligaturen reduziert

Technische Neuerungen sind meist ökonomisch begründet - so sparten spätere Drucker und Schriftgießer die verschieden breiten Buchstaben ein, reduzierten die Zahl der Ligaturen und Abbreviaturen und brachten die Zeilen nunmehr durch Änderungen der Wortzwischenräume auf gleiche Länge. Typographisch wurde dabei nichts gewonnen, bis heute sieht man löchrige Buchseiten.

Der maschinelle Satz mit der Zeilenguss-Setzmaschine vergrößerte das typographische Problem, aber die Bücher wurden billiger und für jedermann zugänglich. Große Hoffnungen weckte das Fotosatzverfahren. Die Satzherstellung wurde noch stärker beschleunigt, und dem Typographen eröffneten sich neue Möglichkeiten - die nur kaum sinnvoll genutzt wurden, weil es wie zu allen Zeiten oft allein um den Herstellungspreis geht und man die Form darüber vernachlässigt.

Schon 1944 wird in Frankreich das erste Fotosatz-Patent angemeldet, auch der Schreibsatz, der Vorlagen für den Offsetdruck liefert, entsteht in den 1940er Jahren. In den sechziger Jahren verbreiten sich diese Verfahren zügig, aber Mitte der Achtziger löst das Desktop Publishing den Fotosatz ab. Bald konnte jeder auf seinem Computer digital Schrift setzen, eine Datei in die Druckerei schicken und drucken lassen.

Steigendes Interesse an digitalen Schriften

Langsam erholt sich nun die Typographie, denn die Eröffnung der Möglichkeiten hat auch mehr Menschen dazu gebracht, sich mit der Form von Gedrucktem zu befassen. Typographie hat an Beliebtheit gewonnen, junge Leute probieren sich im Entwurf digitaler Schriften und besuchen Kongresse über graphisches Design. Es gilt als chic, über Fonts (Schriften) zu plaudern. Heute gibt es herausragend gestaltete Drucksachen, wie es im Bleisatz technisch kaum möglich war.

Aber was ist im Internet los? Dem am stärksten wachsenden Medium, das wie kein anderes seine Nutzer erdumspannend verbindet, fehlt es an technischen Möglichkeiten, jene Schriften einzusetzen, die fast täglich irgendwo neu erscheinen. Was soeben in ein Weblog geschrieben wird, ist sofort weltweit lesbar.

Auf der nächsten Seite: Wie Schriften in Zukunft dargestellt werden.

Typografische Neuerungen

Aber wie sieht es aus? Mit einer Handvoll Systemschriften, die auf fast allen Computern installiert sind, muss man sich behelfen. Das ist sogar nur ein winziger Bruchteil der Schriftenvielfalt in der Bleisatz-Ära. Die Designer warten seit langem auf neue Möglichkeiten, mehr Schriften online darzustellen.

Nun deutet sich eine typographische Neuerung an. Die Technik folgt dem Bedürfnis nach Formenvielfalt - allerdings gemächlich. Seit Jahren wird getüftelt, wie man die Darstellung einer Schrift unabhängig von der Ausstattung des jeweiligen Computers machen kann. Bislang werden nur die Schriften angezeigt, die auf dem Computer installiert sind. Wenn ein Geschichtsinstitut, das sich mit der französischen Aufklärung befasst, die Überschriften seiner Informationen in der Didot, einer klassizistischen Schrift, zeigen will oder ein Modemacher eine Fraktur einsetzen möchte, wird es schwierig.

Schriftzüge in Flash-Filmen

Seit einigen Jahren ist die von Mike Davidson und Mark Wübben entwickelte Technologie "sIFR" (scalable Inman Flash Replacement) zugänglich. sIFR bettet Schriftzüge in Flash-Filmchen ein. Aber die Technologie genügt den Graphikern nicht, weil sie Schriftzüge nicht detailliert bearbeiten können. Außerdem erscheinen Flash-Filme oft langsamer als Text und Fotos auf dem Bildschirm. sIFR wird wenig eingesetzt. Auch andere Methoden, die Textelemente durch Bilder ersetzen (Image Replacement), konnten sich nicht durchsetzen.

Mit der Technologie @font-face könnte sich das ändern. Schon seit Frühjahr 2008 kann der Webbrowser Safari von Apple nicht nur Internetseiten anzeigen, er lädt auch die Schrift dazu vom Server des Anbieters und stellt sie so dar, wie es der Webdesigner eingerichtet hat. Die kürzlich erschienenen neuen Versionen der Browser Firefox und Opera bieten diese Möglichkeit nun auch, nur der Internet-Explorer von Microsoft hinkt der Entwicklung nach.

Allerdings ergibt sich aus diesem Verfahren ein schwerwiegendes rechtliches Problem: Schriften sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne Lizenz nicht veröffentlicht werden. An technischen und rechtlichen Lösungen wird gearbeitet, aber offenbar nicht mit Eile.

Kompliziertes Webdesign

Webdesign ist außerdem so kompliziert geworden, dass typographische Kenntnisse allein nicht genügen, um eine Internetseite erstellen zu können. Der Webdesigner ist letztlich auch ein Programmierer und muss sich auf wöchentlichen technischen Fortschritt in Details einlassen, die der Internet-Benutzer kaum wahrnimmt. Das Blog peterkroener.de kündet regelmäßig davon. Und auf praegnanz.de zeigt Gerrit van Aaken, wie ausgeklügelt Webdesign sein kann, so dass der Designer ein ganzes Netzwerk braucht, wenn er alle vorhandenen Wünsche seiner Kunden erfüllen möchte.

Es hat über ein Jahr gedauert, bis Firefox und Safari @font-face ermöglichten. Nun stehen zwar viele Gratis-Schriften mit Internet-Lizenzen zur Verfügung, aber der Benutzer begibt sich in Abhängigkeit der Anbieter, und die schönsten und die berühmten Schriften bleiben unerreichbar. Die meisten Internet-Besucher merken überdies nichts vom Schriftenangebot, denn wer erneuert schon alle naselang sein Webprogramm?

Der Webdesigner muss der mit @font-face ausgestatteten Seite also auch immer ein zweites Gesicht anpassen, das angezeigt wird, wenn der Internetbesucher seinen Computer nicht auf den letzten Stand der Technik gebracht hat.

Es wird noch dauern, bis in Internet-Anwendungen von qualifizierter Typographie gesprochen werden kann, diese Revolution bleibt einstweilen Traum. Websites für Graphikdesigner wie Typografie.info oder Slanted.de zeigen das typographische Können ihrer Eigner und Nutzer einstweilen lieber in gedruckten Magazinen - und stellen Fotos davon ins Netz.

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