Twittern aus Krisenherden:Kurz, schnell und manchmal falsch

Bei den Anschlägen in Mumbai hat sich Twitter als wichtige Informationsquelle erwiesen. Doch nicht immer waren die Nachrichten verlässlich.

Lisa Sonnabend

Die Twitter-Nachrichten aus Mumbai waren schon längst da, als noch kein Reporter vor Ort war, als noch keine Bilder im Fernsehen zu sehen waren. Keine 140 Zeichen lang, dafür in Echtzeit und überall auf der Welt zu lesen. "Etwas passiert im Hotel Oberoi... Schüsse im Hotel Oberoi", schrieb Netra Parikh am vergangenen Mittwoch im Internet auf dem Mikro-Blogging-Dienst. Und ein anderer: "Taj Hotel ist nur eine Kreuzung von meinem Haus entfernt. Es brennt, Rauch kommt aus den Fenstern."

Twittern aus Krisenherden: Viele Internetnutzer stellten Fotos und Augenzeugenberichte von den Terroranschlägen in Mumbai ins Netz.

Viele Internetnutzer stellten Fotos und Augenzeugenberichte von den Terroranschlägen in Mumbai ins Netz.

(Foto: Foto: AP)

Twitter ist eine Art Weblog, bei dem die Benutzer Textnachrichten veröffentlichen können, die nicht länger als eine SMS sind. Nutzer können die Nachrichten einfach per Computer oder über das Handy online stellen. Das macht Twitter schnell. Nach den Terrorattacken in Mumbai hielten hunderte Internetnutzer die Weltöffentlichkeit auf dem Laufenden. Sie beschrieben Explosionen, Schusswechsel und das Chaos vor Ort. Sie lieferten Nachrichten, Bilder und Gerüchte. Beim Höhepunkt der Anschläge kamen im Sekundentakt neue Meldungen zum Suchbegriff "Mumbai" hinzu.

Seit es die technische Möglichkeit gibt, dass auch Laien schnell und einfach über das Internet publizieren können, hat der sogenannte Bürgerjournalismus schon mehrmals Bedeutung bei Krisen erlangt. Bei den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 berichteten Blogger über das Geschehen. 2005 bei den Terroranschlägen in London erreichten Augenzeugenberichte aus dem Netz die Öffentlichkeit, noch ehe die TV-Stationen vor Ort waren. Als im vergangenen Jahr das Militär in Birma gegen den Aufstand der Mönche vorging, riskierten die Mönche viel, als sie Nachrichten über das Netz versandten. Journalisten aus aller Welt dienten diese Berichte oft als einzige verfügbare Quelle.

Und auch seit vergangener Woche, als der Flughafen in Bangkok besetzt wurde, versenden Augenzeugen Informationen. "Thailändische Polizisten fliehen vom Flughafen, als die Demonstranten angreifen", berichtet "Davehollis" noch vor wenigen Stunden.

Twitter ist dabei das schnellste Medium und zudem gut vernetzt. Mehr als fünf Millionen Menschen weltweit nutzen bereits Twitter. Die Tendenz: rasant wachsend. Nutzer können die Nachrichten anderer Nutzer abonnieren. Normalerweise werden die Nachrichten eines Nutzers nur von Bekannten und wenigen Interessierten gelesen. In der Krise aber kann Twitter Massen erreichen. Ein Nutzer, der bislang nur wenige "Follower" hatte, kann plötzlich die Weltöffentlichkeit erreichen. Zudem sind über den Suchbergiff "Mumbai" alle Beiträge zu dem Thema aufgelistet.

"In einer Stunde bin ich auf Sendung"

Ein derartiges Vordringen ins öffentliche Bewusstsein bringt aber auch Gefahren mit sich. Oft waren die Twitter-Nachrichten über Mumbai missverständlich, gaben lediglich Gerüchte wieder oder waren schlichtweg falsch. Am vergangenen Donnerstag wurde in mehreren Twitter-Beiträgen berichtet, dass auch das Marriot-Hotel attackiert worden sei. Die Nachricht war überall auf der Welt zu lesen, doch sie stimmte nicht.

"Twitter ist noch nicht der Platz für solide Fakten, die Lage ist noch zu unorganisiert", schreibt Web-2.0-Experte Michael Arrington auf Tech Crunch. "Aber es ist inzwischen der Ort, an dem die Breaking News stattfinden."

Einige Twitter-Nutzer schafften nach den Anschlägen sogar den Sprung in die klassischen Massenmedien und wurden dort als Augenzeugen herangezogen. "Ich habe gerade einen Anruf von Jim Clancy von CNN erhalten", schreibt beispielsweise ein User. "In einer Stunde bin ich auf Sendung."

Auch heute, vier Tage nach den Anschlägen, trudeln Twitter-Nachrichten aus Mumbai im Minutentakt ein. Inzwischen geben die meisten jedoch lediglich Nachrichten aus den klassischen Massenmedien wieder. "Innenminister zurückgetreten", meldet einer. Eine Nachricht, die man schon längst aus dem Fernsehen erfahren hat. Die klassischen Massenmedien haben also wieder die Informationsmacht übernommen - vorerst.

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