Süddeutsche Zeitung

Twitter sperrt Trump:Richtig, überfällig und hochgradig problematisch

Twitter wirft den US-Präsidenten raus. Für die Entscheidung gab es keine Alternative. Doch kein privates Unternehmen sollte so viel Macht besitzen.

Kommentar von Simon Hurtz, Berlin

Eine private Plattform wirft einen 74-jährigen Mann raus, der in elf Tagen kein politisches Amt mehr bekleiden wird. Das klingt banal und ist doch eine der wichtigsten Nachrichten des noch jungen Jahres. Denn der Mann heißt Donald Trump und ist Präsident der Vereinigten Staaten. Mit seinem Twitter-Account verliert er nicht nur sein Lieblingsspielzeug, sondern seine wohl wichtigste Bühne.

Twitter hat Trumps Konto dauerhaft gesperrt, um das "Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt" zu verhindern, wie das Unternehmen schreibt. Für diese Entscheidung gelten drei Dinge gleichermaßen: Sie ist richtig. Sie kommt Jahre zu spät. Und: Sie ist hochgradig problematisch.

Die Sperre ist richtig: Die beiden aktuellen Tweets, auf die sich Twitter bezieht, sind für Trumps Verhältnisse fast schon harmlos. Er kündigte an, nicht zu Bidens Amtseinführung zu erscheinen, und versprach seinen Wählerinnen und Wähler, dass sie für lange Zeit eine "GIGANTISCHE STIMME" haben sollten.

Die Gefahr, dass Trump versucht, eine friedliche Amtsübergabe zu torpedieren, ist zu groß

Das allein rechtfertigt keinen Rauswurf. Doch man muss Trumps Tweets im Kontext der Ereignisse der vergangenen Tage sehen. Twitter hatte den Account des Präsidenten gerade erst für zwölf Stunden blockiert, nachdem Trump den gewalttätigen Mob verharmlost hatte, der das Kapitol stürmte. Jeder weitere Regelverstoß werde zu einer dauerhaften Sperre führen, kündigte Twitter an. Mit seinen beiden neuen Tweets verbreitet Trump erneut die Lüge, dass die Wahl manipuliert worden sei. Er legt nahe, dass er nicht daran interessiert ist, die Macht abzugeben. Damit ermutigt er seine Anhängerinnen und Anhänger implizit zu weiteren Gewalttaten, die bereits geplant werden.

Die Entscheidung wird Republikaner in ihrer falschen Annahme bestätigen, das Silicon Valley benachteilige Konservative. Sie werden von vermeintlicher Zensur schwadronieren, die nur darin besteht, dass Unternehmen ihre Richtlinien durchsetzen. Trump und sein Publikum werden sich auf alternative Plattformen zurückziehen und eine "sozialmediale" Parallelwelt erschaffen, die noch weiter von der Realität abgekoppelt ist als die Blase, in der sie bislang kommunizieren. Trotzdem gibt es keine Alternative: Die Gefahr, dass Trump versucht, eine friedliche Amtsübergabe zu torpedieren, ist zu groß.

Die Sperre kommt Jahre zu spät: Seit Trump am 4. Mai 2009 seinen ersten Tweet absetzte, hat er fast jede Richtlinie ignoriert, die auf Twitter gilt. Er nutzte die Plattform, um andere Regierungschefs zu beleidigen, mit Nuklearschlägen zu drohen, Lügen und Verschwörungserzählungen zu verbreiten, Gewalt zu relativieren und gegen Medien und Minderheiten zu hetzen.

Seine Worte hatten tödliche Folgen. In Charlottesville überfuhr ein Neonazi die 32-jährige Heather Heyer. Trumps Tweet dazu: Es gebe "feine Menschen auf beiden Seiten". Im Sommer starben 19 Menschen bei Protesten gegen Rassismus. Trump hatte zuvor auf Twitter offen mit Gewalt gedroht. In der vergangenen Woche kamen fünf Menschen ums Leben, als radikale Eindringlinge das Herz der US-amerikanischen Demokratie plünderten. Alles, was Trump dazu einfiel: "Geht nach Hause. Wir lieben euch. Ihr seid etwas Besonderes."

Für Trump galten andere Regeln als für normale Nutzerinnen und Nutzer. Das ist verständlich: Was der US-Präsident sagt, besitzt Nachrichtenwert und ist von öffentlichem Interesse. Doch Trump hat sich so oft, so dreist und mit derart dramatischen Konsequenzen über Twitters Richtlinien hinweggesetzt, dass ihm das Mikrofon hätte entzogen werden müssen. Am 20. Januar verliert Trump nicht nur seine Macht, er hätte auch seinen Sonderstatus auf Twitter verloren. Jetzt ist elf Tage früher damit Schluss - es war lange überfällig.

Die Politik muss das Silicon Valley zähmen

Und doch bleibt die Sperre hochgradig problematisch: Die wichtigste Kommunikationsinfrastruktur der Welt ist in der Hand weniger Menschen. Eine Handvoll Männer bestimmen, was im Netz gesagt werden darf. Am Donnerstag rang sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg dazu durch, Trumps Konto zu sperren. Nun wirft Twitter-Chef Jack Dorsey den US-Präsidenten raus.

Im Ergebnis sind beide Entscheidungen richtig, doch der Prozess ist falsch. Plattformen sind mächtiger als Staaten, private Konzerne kontrollieren den Zugang zu Informationen und ziehen die Grenzen der Redefreiheit. Das Netz braucht demokratische Kontrolle, keine absolutistischen Alleinherrscher. Die Politik muss das Silicon Valley zähmen, auch in dessen eigenem Interesse. Auf Joe Biden wartet eine große Aufgabe.

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