Twitter-Streit im Berliner Politikbetrieb:Schwarz-grünes Zoff-Gezwitscher

Kaum haben etablierte Politiker Twitter entdeckt, lernen sie, sich in 140 Zeichen zu fetzen: Grünen-Mann Volker Beck kritisiert den Unionspolitiker Peter Altmaier, der erhält wiederum Hilfe von der CSU-Netzbeauftragten Dorothee Bär. Die Piraten sehen sich den Disput aus der Ferne an - denn im Kern geht es um ihr Erfolgsrezept.

Michael König und Johannes Kuhn

Twitter war noch längst nicht erfunden, als sich im Juni 1995 in Bonn Skandalöses ereignete: Junge Bundestagsabgeordnete von Grünen und Union trafen sich im Weinkeller eines italienischen Restaurants zum Plausch. Manch ein Konservativer war empört, der damalige CSU-Generalsekretär Bernd Protzner zürnte, man werde die "Pizza-Connection" genau beobachten.

Twitter Altmaier Bär Beck

Profile von Bär, Altmaier und Beck: Twitter-Connection, derzeit ohne Anschluss.

(Foto: Screenshot Twitter)

16 Jahre und eine gescheiterte schwarz-grüne Koalition in Hamburg später flirten Grüne und Konservative noch immer miteinander - neuerdings auch im Internet. Bei Twitter bahnte sich in den vergangenen Monaten ein neues politischer Techtelmächtel an. Bis Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, der Allianz im Netz mit einem Beitrag im Grünen-Blog und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vorerst ein Ende setzte.

Die Union mache in den Sozialen Netzwerken "einen auf gute Laune und digitale Avantgarde", schrieb Beck. "Politisch machen sie für die Freiheit im Netz aber keinen Finger krum." Die Netz-Offensive von CDU und CSU sei nichts als "Augenwischerei". "Tweet, tweet, tweet, wir haben uns alle lieb" - davon könne keine Rede sein.

Angesprochen fühlen durften sich vor allem Peter Altmaier, der Fraktionsgeschäftsführer der Union im Bundestag, und Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU. Mit Altmaier hatte sich Beck in den vergangenen Wochen bei Twitter auffällig gut verstanden - die beiden kennen sich aus Zeiten der Bonner Pizza-Connection.

"Echt old school"

Gemeinsam widersprachen sie ihrem SPD-Pendant Thomas Oppermann, als dieser - ebenfalls über Twitter - Bundeskanzlerin Merkel "Führungsschwäche" vorgeworfen hatte, weil sie das Parlament über die Hebel-Ausweitung des EFSF abstimmen ließ.

Daraufhin antwortete Altmaier: "Demokratie braucht Führung, aber niemals zu Lasten des Parlaments." Beck pflichtete ihm bei: "Echt old school" sei dieser "Ruf nach Kanzlerdemokratie" gewesen.

Nachdem der junge grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz die schwarz-grüne Einigkeit mit dem Kommentar "crazy" (verrückt) versehen hatte, hielt ihm Altmaier triumphierend entgegen: "Da staunen die grünen Greenhorns: @Volker_Beck u @peteraltmaier bringen immer noch PS auf die Strasse :-))"

Nach dem Beck-Beitrag war von gemeinsamer PS-Stärke Rede mehr. "Der Volker_Beck agitiert doch nur seine Anhänger. Schade, denn mögliche Gemeinsamkeiten in der Netzpolitik werden so verhindert", schrieb Altmaier. Dorothee Bär, ihres Zeichens auch CSU-"Netzratsvorsitzende", sekundierte: "Welche Schmoll-Laus ist denn Volker Beck über die Leber gelaufen?" Dem Grünen müsse "ganz schön die Muffe gehen", wenn er es nötig habe, "so mit der Union ins Gericht zu gehen".

Kampf um die digitalaffine Wählergruppe

Hinter dem Streit steckt auch der Kampf um die digitalaffine Wählergruppe. In diesen stieg die CDU vor einigen Wochen in Person von Altmaier ein, der in einem FAZ-Gastbeitrag geradezu euphorisiert seine Twitter-Erfahrungen schilderte. Dabei gab er zu, "bis vor kurzem" nichts vom Netz verstanden zu haben. Böse Zungen behaupten: Bis die Piraten in Berlin auf zehn Prozent der Wählerstimmen kamen.

Angela Merkel hatte schon nach der Bundestagswahl 2009 betont, die Union dürfe die Piraten nicht außer Acht lassen. Manch ein Konservativer blickt argwöhnisch auf die neue Partei: Groß ist das Misstrauen in das Piraten-Personal, das es sich erlaubt, zu manchen Themen einfach zu schweigen - weil man nach eigenen Angaben noch nicht genug davon versteht.

Noch größer sind die Sorgen bei den Grünen, denn die Freibeuter fischen in ihrem Revier. Seit dem Gang in die Opposition haben sich die Grünen zwar netzpolitisch stärker engagiert - aber nie so stark, dass sie als Internet-Partei wahrgenommen wurden. Anders als zur Gründungszeit gelten die Grünen nun als Teil des Establishments. Dass der Berliner Erfolg der Piraten mit den ersten Gehversuchen der Grünen Anfang der Achtziger verglichen wird, schmerzt sie deshalb doppelt.

Becks Kritik ist deshalb vor allem ein Akt der Abgrenzung - gegenüber Piraten wie gegenüber Union. So heißt es in seinem Text: "Wenn @peteraltmaier nun Bauklötzchen staunend Twitter und das Netz erobert und @dorobaer weiter nur darauf (aus) ist, dass sie jemand bei Twitter zur Sachertorte einlädt, lenkt das vom Wesentlichen ab: Die Union hat ein Interesse (...), der Community vorzumachen, dass irgendwie alle Parteien gleichermaßen zur Freiheit im Netz indifferent bis ablehnend seien - bis auf diese Piraten. (...) Peter Altmaier will die Piraten stärken, um Rot-Grün zu schwächen."

Unions-Politiker: Wenig Freunde im Netz

Altmaier gab zurück, Twitter sei kein "rot-grünes Reservat" sondern "für alle da". Bär ergänzte: "Es kann der Bravste nicht in Frieden twittern, wenn es seinem bösen Oppositionskollegen nicht gefällt." Beck seinerseits konterte, die Union möge Farbe bekennen bei den entscheidenden netzpolitischen Kontroversen".

In der Tat machten sich viele Unions-Politiker in den vergangenen Monaten bei der digitalaffinen Generation keine Freunde. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) äußerte die Idee, Anonymität im Internet künftig einzuschränken und verteidigte den gefundenen Staatstrojaner; wie die Unionsfraktion drängt er auch auf eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl ist mit seinen Ansichten zu Online-Überwachung und der Aussage, die Idee zur Ermordung von 77 Menschen im Juli durch den Norweger Anders Breivik sei "im Internet geboren" worden, für Netzaktivisten bereits länger ein rotes Tuch.

"Schlammcatchen mit mir als Ringrichter"

Siegfried Kauder (CDU), immerhin Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, sorgte mit der Forderung für Aufsehen, Filesharern nach zwei Ermahnungen den Internetzugang zu sperren. Auch bei den Debatten zur Netzneutralität im Rahmen der Internet-Enquete-Kommission hinterließen die Unionsmitglieder nicht immer den Eindruck, als seien sie an einer ergebnisoffenen Diskussion interessiert.

Die Twitter-Nutzung einiger Unionsvertreter führt also noch lange nicht zu einer Annäherung an die Grünen bei netzpolitischen Themen, hat aber wie die Pizza-Connection zumindest den Raum für Gespräche geöffnet.

Weil die Piraten derzeit bereits davon profitieren, weder CDU noch Grüne zu sein, nehmen sie die Debatte der schwarz-grünen Konkurrenz eher belustigt zur Kenntnis. Stellvertretend schrieb Christopher Lauer, Abgeordneter in Berlin und gescheiterter Anwärter auf die Parteispitze, bei Twitter: " Yeah, ich wäre ja für Schlammcatchen mit mir als Ringrichter."

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