Süddeutsche Zeitung

Zensur-Debatte:Twitter sperrt jüdische Wochenzeitung

  • Twitter hat das Konto der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine zwischenzeitlich blockiert - wegen eines unproblematischen Tweets.
  • Twitter erklärte der SZ: "Das war ein Fehler. Die Entscheidung wird aufgehoben und das Konto wiederhergestellt."
  • In den vergangenen Tagen hatten sich die Sperren wegen harmloser Beiträge auf Twitter gehäuft.

Kurz vor der Europawahl entwickelt sich eine neue Zensur-Debatte über Twitter. Die Plattform ließ am Montag die Jüdische Allgemeine mehrere Stunden lang ihr Konto nicht mehr vollständig nutzen. Die Wochenzeitung konnte auf Twitter keine Beiträge mehr veröffentlichen, schrieb die Redaktion am Montag auf ihrer Webseite.

Auslöser der Blockade war offenbar ein Tweet mit der Überschrift: "Warum Israels Botschafter Jeremy Issacharoff auf Gespräche und Treffen mit der AfD verzichtet". Der Tweet habe auf einen Artikel im Online‐Angebot der Jüdischen Allgemeinen über ein mit der Deutschen Presse‐Agentur geführtes Interview des israelischen Botschafters verwiesen, schrieb die Zeitung.

Die Jüdische Allgemeine postete einen Screenshot der Meldung, den sie von Twitter erhalten hatte. Demnach habe der Tweet gegen Twitters Regeln "zum Veröffentlichen von irreführenden Informationen zu Wahlen" verstoßen - obwohl er gar keinen augenscheinlichen Bezug zu einer Wahl herstellt. Die Sperre sollte ursprünglich für zwölf Stunden gelten. Der Online‐CvD der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, sagte: "Dass Twitter antisemitische Hasstweets duldet, aber Nachrichten der einzigen jüdischen Wochenzeitung Deutschlands sperrt, ist für uns absolut unverständlich." Und: "Die Sperrung durch Twitter macht unsere dortige Arbeit unmöglich." Über die Gründe könne er nur mutmaßen.

Am Montagnachmittag wurde das Konto wieder freigeschalten. Twitter erklärte der SZ: "Das war ein Fehler. Die Entscheidung wird aufgehoben und das Konto wiederhergestellt."

Twitter hatte versprochen, stärker gegen Wahlbeeinflussung vorzugehen, und im Vorfeld der Europawahlen neue Regeln eingeführt. Im US-Präsidentschaftswahlkampf hatten Akteure unter anderem aus Russland versucht, die öffentliche Meinung mit Fake-Konten zu beeinflussen. Nun steht aber der Vorwurf im Raum, dass Twitter mit den Regeln deutlich über das Ziel hinausschießt - mit sogenanntem Overblocking. In den vergangenen Tagen kam es zu vielen Sperren wegen des Vorwurfs der illegitimen Wahlbeeinflussung. Unter den jetzt beanstandeten Tweets waren auch viele Beiträge von 2017. Nutzer hatten damals vor allem AfD-Wählern - teils spaßeshalber - geraten, ihren Wahlzettel zu unterschreiben. Das macht den Zettel aber ungültig, auf ihm darf nur das Kreuz neben dem gewählten Namen stehen.

Vor gut einer Woche hatte Twitter auch das Konto der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) gesperrt. Sie hatte sich zur Häufigkeit des Vornamens "Mohammed" in Berlin geäußert, einem aktuellen Aufreger-Thema der rechten Netz-Blase. Die palästinensischstämmige Chebli ist immer wieder Ziel fremdenfeindlicher Anfeindungen im Netz.

Vor der Blockade der Jüdischen Allgemeinen war am Montag zwischenzeitlich das Konto von Sven Kohlmeier (SPD), Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, gesperrt worden. Kohlmeier hatte in einem Tweet geschrieben: "Wie rechtsradikal müssen Mitglieder der AfD eigentlich sein, um rauszufliegen?"

Zur Methodik der neuen Sperrungen äußerte sich das Unternehmen bisher nicht. So bleibt unklar, ob die jüngsten Sperren auf schlecht kalibrierte Algorithmen zurückzuführen sind, die etwa aufgrund bestimmter Schlagwörter im Tweet anschlagen, oder ob Mitarbeiter aus vorauseilendem Gehorsam auch harmlose Beiträge sperren. Nutzer können andere Nutzer melden, wenn sie einen Verstoß annehmen. Die derzeitige Welle könnte also auch auf eine Aktion von politischen Gegnern der Blockierten hinweisen.

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