Twitch-Phänomen "Playerunknown's Battlegrounds":Wie höflich ist der Wolf beim Reißen?

Twitch-Phänomen "Playerunknown's Battlegrounds": Überleben im Hinterhalt: Playerunknown's Battlegrounds

Überleben im Hinterhalt: Playerunknown's Battlegrounds

(Foto: Bluehole / PR)

Wer überlebt, hat gewonnen: Der Online-Shooter "Playerunknown's Battlegrounds" offenbart den Urmenschen im Computer-Spieler und in seinen Zuschauern.

Von Maximilian Sippenauer

Als Amazon im Jahr 2014 für etwa eine Milliarde Euro die Streaming-Plattform Twitch übernahm, war die Skepsis groß. Was macht ein Online-Store mit einer Seite, auf der man anderen dabei zusieht, wie sie computerspielen? Drei Jahre später ist klar: Er macht Milliardenumsätze. Auf Twitch zeigen sich heute tausende Streamer beim Spielen und hunderte Millionen schauen ihnen dabei zu.

Die Seite funktioniert in etwa wie eine virtuelle Dauer-Olympiade. Und wie der Zuschauer im Stadion sein Fernglas über das Treiben auf Tartanbahn und Rasen kreisen lässt, klickt er sich auf Twitch durch die unzähligen Streams der unterschiedlichen Spiele. Gerade gibt es bei Twitch einen neuen Liebling, den Online-Shooter "Playerunknown's Battlegrounds", kurz PUBG, der allein im Juni 25 Millionen Menschen begeisterte. Warum? Weil er den Zuschauer von den Rängen in die Arena holt. Und weil es dort martialisch zugeht - und zugleich menschelt.

Die Filme "Hunger Games" bereiteten das Publikum auf das Spiel vor

Playerunkown's Battlegrounds ist ein einfaches Spiel. Hundert Kontrahenten springen per Fallschirm über einer Insel ab und streifen dort durch eine post-sowjetische Brache. Zuhauf finden sie hier Waffen und Schutzkleidung. Dann wird ein Teil der Insel zur Zone erklärt, die im Spielverlauf auf wenige Quadratmeter schrumpft. Außerhalb der Zone stirbt der Spieler. Innen gilt eine einzige Regel: Wer überlebt, hat gewonnen.

Das Spieleprinzip knüpft an antike Gladiatorenkämpfe an und verlegt sie auf eine Brache. Die Idee stammt aus dem japanischen Roman "Battle Royale". Zum Untergrund-Hit wurde das Buch vor allem wegen der skandalösen und lange indizierten Verfilmung von Kinji Fukasaki aus dem Jahr 2000. Sie handelt von einem dystopischen Japan, dessen Disziplingesellschaft erodiert. Zur Unterhaltung der Massen und Sanktionierung der verlotternden Jugend führt die Regierung den Battle Royale-Akt ein. Danach müssen Teenager gegeneinander antreten.

Dem Gedanken, das grausame Spiel von Jugendlichen austragen zu lassen, folgte dann auch Suzanne Collins in ihrer Romantrilogie "Die Tribute von Panem". Dessen aalglatte Hollywoodverfilmungen, die "Hunger Games" mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle, holten das Battle Royale aus der Splatterfilm-Nische in den kulturellen Mainstream und bereiteten es für ein junges Millionenpublikum auf. Im Fahrwasser dieses Erfolges gibt es seit Beginn des Jahres auch in der Gaming-Szene einen Boom an Battle Royale-Spielen. PUBG avancierte dabei in wenigen Monaten zu einem der meist rezipierten Spiele weltweit.

Freunde, Feinde, Streber, Außenseiter - mit Messern zwischen den Zähnen

Wie jedes Battle Royale ist auch PUBG ein brutales Spiel. Aber wie bei den Romanvorlagen liegt die Attraktion nicht allein in den martialischen Kämpfen auf Leben und Tod, sondern vor allem in den Momenten dazwischen. Das Entscheidende am Battle Royale ist, dass die Protagonisten gewöhnliche Teenager sind. Sie werden in einen Krieg aller gegen alle mit ihren Mitschülern geschickt, und selbstverständlich wirken darin die sozialen und Beziehungs-Strukturen der Klassengemeinschaft nach.

Twitch-Phänomen "Playerunknown's Battlegrounds": Auf der Streamingplattform "Twitch.tv" hat das Spiel inzwischen Millionen von Zuschauern. Auch, weil sich jeder Spieler selbst ins Bild setzt und die eigenen Aktionen für sein Publikum kommentiert. Screenshot: Twitch.tv

Auf der Streamingplattform "Twitch.tv" hat das Spiel inzwischen Millionen von Zuschauern. Auch, weil sich jeder Spieler selbst ins Bild setzt und die eigenen Aktionen für sein Publikum kommentiert. Screenshot: Twitch.tv

Freunde, Feinde, Außenseiter, Streber, sie alle stehen sich plötzlich mit Messern zwischen den Zähnen gegenüber. Überlebensinstinkte brechen hervor und kollidieren mit anerzogenem Verhalten. Mauerblümchen werden zu Giftmörderinnen, Klassenbeste zu Amokläufern, Außenseiter rächen sich gnadenlos. In dieser Gemengelage fesselt das Verhalten der Idealisten. Wann töten sie? Wann brechen sie ihre Treueschwüre, verraten ihre Bündnisse auf Zeit? Kann überhaupt eine Form von Moral entstehen, die über das Selbst hinausweist? Der Reiz des Battle liegt weniger im Kompetitiven als im Psychologischen. Die antike Arena ist nur der Anlass, das Thema ist der Mensch.

Im Kern ist diese Erzählung also ein soziales Experiment. Doch wo dieses in all den Romanen, Filmen oder Comics nur fiktional durchdekliniert wird, durchläuft es gerade bei Playerunknown's Battlegrounds eine Form von Simulation. Natürlich stirbt hier keiner wirklich, trotzdem kommt es zu einer eigentümlichen Verschränkung von Wettkampfaspekten und psychologischen Momenten, welche in dieser Verbindung eine besondere Beziehung zwischen Spieler und Zuschauer stiften.

Spieler und Zuschauer rücken so nahe zusammen wie selten

Der befindet sich via Twitch in einer Art von digitalem Kolosseum, nur sitzt er nicht auf der Tribüne, sondern im Kopf eines Protagonisten. Der Zuschauer kann sich zwar den Stream eines Kombattanten frei aussuchen, dann aber nicht mehr zwischen den Teilnehmern des Spiels wechseln. Statt einer distanzierten, objektiven Position bleibt ihm nur der subjektive Gesichtskreis genau eines Spielers. Da aber der Tod und damit das definitive Ende der Spielrunde hinter buchstäblich jeder Ecke lauern, erhält jede Entscheidung des Spielers besonderes Gewicht.

Twitch-Phänomen "Playerunknown's Battlegrounds": Jede Entscheidung des Spielers ist auch eine Moralische.

Jede Entscheidung des Spielers ist auch eine Moralische.

(Foto: Bluehole / PR)

"Verdammt, warum zögert sie?" rauscht es einem durch den Kopf. "Versteck dich! Schieß' doch endlich!" Anders als im Film steht hier nicht nur für den Helden, sondern auch für den Zuschauer alles auf dem Spiel. Das Wissen über den Ausgang des Kampfes, also das eigentliche Privileg des Publikums, ist unmittelbar an das Schicksal des jeweils verfolgten Streams gebunden. Das Streamingerlebnis erhält dadurch eine immersive Note und Zuschauer und Spieler rücken nahe zusammen.

Gesteigert wird diese Nähe durch die spezielle Streaming-Situation, die auch auf der Plattform Twitch heute gängig ist. Die streamenden Spieler zeigen nicht mehr nur ihr Spiel und kommentieren es aus dem Off, sondern sie selbst sind auch persönlich fortwährend eingeblendet. Da gibt es etwa "Anthony", der als einer der besten Spieler gilt. Während sein Avatar in der Spielwelt unaufhörlich zappelt, um es etwaigen Heckenschützen schwer zu machen, sitzt - als Bild im Bild - ein entspannter, schlicht gekleideter Mann vor Mikrofon und Rechner und kommentiert lakonisch und berechnend seine epischen Tötungsserien .

Die gewalttätigen Aspekte sind den zwischenmenschlichen deutlich untergeordnet

Das Spiel hat bei ihm etwas Unwirkliches, in Kombination mit den kalten Kommentaren der realen Person weckt es den Eindruck von unheilvoll Bösem. Streicht man mit diesem gnadenlosen Antihelden eine Weile über die Insel, spürt man das Archaische, Inhumane an dem Battle Royale-Experiment, als schaue man einem der Hobbesschen Wölfe nicht nur in den Rachen, sondern in die Seele.

Das Zappen durch Twitch-Kanäle von PUBG ähnelt einem Streifzug durch tausend kleine Psychogramme, die sich in einer merkwürdigen Kombination von realem Spieler-Ich und virtuellem Avatar bilden. Das Millionenpublikum von PUBG schätzt aber eher die Persönlichkeit als die Exzellenz der Streamer. Anders als bei den meisten Games interessiert also weniger die spektakuläre Darbietung, sondern die Art, wie ein Spieler sein Battle angeht.

Eine gewiefte Fallenstellerin, ein cholerischer Rambo, ein Angsthase, ein cooler Stratege? Auch weil bei PUBG im Prinzip jede dieser Überlebensstrategien funktionieren kann, werden die Persönlichkeiten hinter den Avataren greifbar. Diese Spielsituation prädestiniert den martialischen Shooter Playerunknown's Battlegrounds für das Streaming. Denn paradoxerweise werden in dem Spiel trotz aller Gewalt die körperlichen Aspekte den zwischenmenschlichen untergeordnet.

Dass PUBG damit gerade zu dem zweithäufigst gestreamten Spiel der Welt aufgestiegen ist, lässt Rückschlüsse auf das Streamingphänomen selbst zu. Ein Zuschauer schreibt dazu in einem Forum, es sei gar nicht so sehr der E-Sport oder die Entertainer-Qualitäten einzelner Streamer, die ihn täglich ein paar Stunden Twitch schauen ließen. Es sei eher Nostalgie, das Gefühl jener Couchnachmittage mit Freunden vor der Konsole, die er hier nacherlebt. In dieser virtuellen Sofa-Landschaft ist PUBG gerade die Couch, auf der es am geselligsten zugeht.

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