Süddeutsche Zeitung

Trotz Sexismus-Vorwürfen:Umstrittener Tinder-Chef ist zurück

  • Chef-Roulette bei Tinder: Der frühere CEO Sean Rad ist zurück. Dafür muss Chris Payne, der Rad erst im März ersetzt hat, gehen.
  • Damit holt Tinder einen von zwei Mitgründern zurück, die von einer Kollegin wegen sexueller Belästigung und Diskriminierung angeklagt wurden.
  • In dieser Woche machte die Dating-App Negativschlagzeilen mit einer Nachrichtenflut auf Twitter, die sich gegen eine US-Journalistin richtete.

Von Sara Weber

Sean Rad, Mitgründer und früherer CEO von Tinder, sitzt wieder auf dem Chefsessel. Und sein Nachfolger, Chris Payne, der erst im März seinen neuen Job angetreten hat, ist raus. Dass Rad zurück ist, überrascht. Erst im November war er vom Aufsichtsrat gefeuert worden. Einer der Gründe dafür dürfte eine Klage wegen sexueller Belästigung und Diskriminierung gewesen sein, die Mitgründerin Whitney Wolfe im Juni 2014 gegen Rad und den früheren Tinder-Marketing-Direktor Justin Mateen eingereicht hatte.

Wolfe soll von ihm laut Anklageschrift als "verzweifelte Verliererin", die "von Beziehung zu Beziehung hüpfe" bezeichnet worden sein. Er soll seine frühere Lebenspartnerin zudem "Schlampe" und "Hure" genannt haben. CEO Rad habe ihre Bitten um Hilfe als übertrieben verworfen und damit gedroht, sie zu entlassen, sollten sie und Mateen nicht miteinander auskommen.

Dass die beiden Männer sich gegenüber ihrer weiblichen Mitgründerin und Kollegin so verhielten, sorgte für heftige Kritik in der Tech-Branche und den Medien. Tinder wurde zum Paradebeispiel für den Sexismus im Silicon Valley, Single-Frauen löschten wütend ihre Accounts, neue Dating-Apps mit stärkerem Fokus auf Frauen wurden programmiert. Zwar einigten sich Tinder und Wolfe im September 2014 außergerichtlich, doch wenig später musste Rad gehen. Mateen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gekündigt.

Den Wechsel an der Spitze der Dating-App sahen viele als gutes Zeichen für die Branche und dafür, dass sich die Unternehmenskultur bei Tinder ändern könnte. Und das, obwohl Rad weiterhin Mitglied des Aufsichtsrats blieb und als Präsident des Unternehmens für Produkt und Marketing verantwortete.

Der Gründer als Heilsbringer

Rads Nachfolger Chris Payne sollte für Ruhe im Unternehmen sorgen und seine langjährige Erfahrung als Manager einbringen. Doch offensichtlich stimmte die Chemie nicht zwischen dem neuen CEO und seinem Unternehmen: "Nach ein paar Monaten ist klar geworden, dass es langfristig nicht funktionieren würde", sagte Aufsichtsratmitglied Matt Cohler im Interview mit dem US-Tech-Blog Re/Code. Dies hätten alle festgestellt, der Aufsichtsrat und Payne selbst, so Cohler. Deshalb hätten sie beschlossen, lieber früher als später zu handeln.

Ähnliche Bedenken hat es bei Rad wohl nicht gegeben. Als Argument für seine Rückkehr wird seine Rolle als Gründer des Unternehmens genannt. Auch bei anderen Tech-Unternehmen wie Google, Twitter und Reddit sind nach Krisenzeiten die Gründer wieder in ihre Unternehmen zurückgekehrt, um ihre Vision umzusetzen. Der Unterschied: Sie waren nicht der Hauptgrund für die Krise.

Schon bevor der Führungswechsel bei Tinder bekannt wurde, musste sich das Unternehmen kürzlich erneut mit Sexismus-Vorwürfen auseinander setzen: In einem Artikel von Nancy Jo Sales in der US-Ausgabe der Vanity Fair wurde Tinder für die "Dating-Apokalypse" verantwortlich gemacht und für den Aufstieg einer Kultur, in der alle nur noch auf Sex aus seien. Die Leidtragenden seien dabei die Frauen, so die These von Sales. Die Reaktion von Tinder: Das Unternehmen setzte 30 Tweets ab, die den Text, seine Autorin und ihre Herangehensweise kritisierten. Souverän wirkte das nicht.

Alt-Neu-CEO Rad dürfte jedoch im Moment noch ganz andere Probleme haben als die wieder aufflammende Sexismus-Debatte. Er muss sich um das Geschäftliche kümmern - und ums Geldverdienen. Tinder hat im März einen Premiumservice gestartet, der Preis variiert je nach Alter und Standort der Nutzer. Auch hier gab es Diskriminierungsvorwürfe: Je älter eine Person ist, desto mehr muss sie für Tinder Plus bezahlen. Im April hat die App außerdem erstmals mit Werbung experimentiert. Dass Tinder anfängt, seinen Dienst zu monetarisieren, ist auch im Hinblick auf das vierte Quartal wichtig: Dann soll die Match-Gruppe, zu der auch die Dating-Seiten Match.com, OKCupid, Neu.de und Friendscout gehören, an die Börse gehen.

Wie viele Nutzer Tinder aktuell hat, ist nicht bekannt, Ende 2014 sollen es laut Schätzungen etwa 50 Millionen gewesen sein, Tendenz steigend. Tinder-Nutzer melden sich mit ihrem Facebook-Profil in der App an. Per Wischen nach rechts und links können sie markieren, ob ihnen potentielle Partner gefallen. Rechts heißt ja, links heißt nein. Nur wenn zwei Nutzer die Profile des jeweils anderen nach rechts wischen, gibt es ein sogenanntes Match - dann können sich die beiden gegenseitig Nachrichten schreiben. Nach eigenen Angaben gibt es auf Tinder jeden Tag 26 Millionen Matches, insgesamt sollen es bis heute acht Milliarden sein.

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