Trennung:Umgang mit Datenmüll: Bunkern für die Ewigkeit

Der computerisierte Mensch schleppt immer mehr Daten mit sich herum. Dabei wäre es besser, sich von manchen Dingen zu trennen.

Von SZ-Autoren

Die Drohung schwebt über allen, die Daten auf Computern oder ähnlichen Geräten speichern: Jede Festplatte geht kaputt, die Frage ist nur, wann. Und das Dumme daran ist: Es stimmt. Leider. Wenn plötzlich alle Familienfotos weg sind, untergegangen im schrecklich-schrillen Kreischen einer sterbenden Festplatte, kommt das einer Katastrophe nahe.

Doch ist wirklich alles so wichtig, so unverzichtbar, was viele von Computer zu Computer spielen, zu Speicherdiensten, auf externe Festplatten?

Ist es nicht.

Dass die Datenmenge, die die computerisierte Menschheit speichert, dramatisch steigt, liegt nicht nur, aber auch daran, dass viele alte Daten durchgeschleppt werden. Da ist die Sicherung des Smartphones, die Daten des alten PCs, der nach Jahren auf den Wertstoffhof wanderte. Da sind die Ordner mit den Studienarbeiten. Könnte ja sein, dass man davon mal wieder was braucht. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist etwa so groß wie die, dass irgendwann genau das Kabel nützlich ist, das vom alten Fernseher aufgehoben wurde.

Two heavy doors protect a tunnel inside a former Swiss mlitary command bunker near Attinghausen

In diesem Schweizer Schutzraum lagern Daten sicher - aber braucht man sie auch alle wirklich?

(Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Wer macht sich die Mühe, 1859 Word-Dateien durchzugucken?

Auf eine Festplatte von der Größe einer Geldbörse passen Daten ganzer Bibliotheken. Wer aber macht sich schon die Mühe, 7342 Handy-Fotos durchzugucken? Oder 1859 Word-Dateien? Nein, man speichert einfach alle. Aber wer soll sie sich noch einmal ansehen und wann?

Zu Zeiten der analogen Fotografie setzte der Preis pro Abzug eine natürliche Grenze, und in Alben geklebt wurden nicht alle Bilder, sondern nur die besten. Ein solches Album nahm man gerne zur Hand. Und heute? Facebook? Flickr? Instagram? Oder doch ausbelichten lassen?

1 000 000 000 000 000 000 Bytes

hat die Menschheit bereits gespeichert. Und die Menge an Daten wächst und wächst.

Die triste Wirklichkeit sind meist Ordnerwüsten auf digitalen Speichermedien. Und diesen Wust schiebt man ständig vor sich her. Alles ist zwar da, doch Zeit und vor allem Lust, sich den ungeordneten Kram anzusehen? Haben nur wenige. Zu den wenig gewürdigten Fähigkeiten des Gehirns gehört es, Dinge zu vergessen. Am wenigsten Gefahr, digitale Müllberge anzusammeln, läuft daher der, der schon an der Quelle. Um das, was bleibt, sollte man sich aber umso besser kümmern.

Müllberge wachsen nicht bloß auf Festplatten. Auch das, was der Computer ablöste, erscheint uns unersetzlich und Datenträger sowieso. Wovon wir uns nicht trennen können - eine kleine Auswahl:

Carina bleibt

Sie ist damals mit ihm eingezogen, ungefragt und ohne Worte. Irgendwann ist sie in ihrem schwarzen Hartschalenkoffer hochkant im Schlafzimmerschrank verschwunden. Sie heißt Carina und ist eine Typenhebelschreibmaschine. Auf der Dauerleertaste steht das Wort Automatic. Es liest sich wie ein Witz aus dem Jahrtausend vor Apples Geburt, als Worte und Sätze sich nicht so einfach versetzen oder löschen ließen. Es sei denn mit Tipp-Ex. Ein wenig davon klebt noch am Klarsicht-Zeilenrichter der Maschine. Carina ist eine "kleine mechanische Schreibmaschine mit großem Komfort" - so warb der Hersteller Olympia in den Siebziger- und Achtzigerjahren dafür. Schreibmaschinen hießen damals Carina. Autos von Toyota auch, und Frauen sowieso. In den Ohren klang noch der Schlager von Roy Black: Das Mädchen Carina. Olympia aus Roffhausen bei Wilhelmshaven gibt es schon lange nicht mehr. Carina ist geblieben. Sie ist eine Ausfallbürgschaft für den Fall der digitalen Apokalypse. Man kann dann bei Kerzenlicht noch schnell einen Abschiedsbrief tippen. Er wird sich niemals von Carina trennen.

Kleiner Stapel, große Ängste

Der kleine Stapel Angst

Er ist längst ein elementarer Teil des Schreibtisch-Stillebens. Dabei sollte der CD-Rom-Stapel in der Plastikbox nur temporär das Ensemble ergänzen. Seine Entstehung geht auf den Moment zurück, als vor Jahren der Vorsatz lautete, das Büro aufzuräumen. Da tauchten in Ordnern, Klarsichtfolien und Hängemappen CD-Roms auf, einzeln, paarweise, mit Hülle und ohne, die Beschriftung eher kryptisch als klar. Was konnte schon drauf sein, nichts Dringendes, sonst wären die Daten längst auf dem Computer. Also lautete die Idee, an einem konzentrationsarmen Nachmittag alle auf einmal durchzuschauen. Doch jeder unkonzentrierte Nachmittag wurde zur Steuerunterlagen-Sortier-Gelegenheit. Oder zum faulen Nachmittag. Aber was, wenn auf der einen CD-Rom tatsächlich die verschollene Datei mit dem ersten digitalen Tagebuch wäre? Doch ein solcher kleiner Stapel birgt große Ängste: Die Angst, entscheiden zu müssen. Dinge zu sehen, die man nicht sehen will. Und die schlimmste Angst: zu merken, was man alles vergessen hat. Also bleibt der Stapel. Auf der Plastikhülle lässt sich eh super die Kaffeetasse abstellen.

Alles oder nichts

Da, schon wieder. Die Präsentation irgendeiner Vorlesung zu irgendeinem Thema des Nebenfachs Jura, Inhalt längst vergessen, im Leben nie gebraucht. Einfach so springt einem am Laptop dieses Skript entgegen. Es ist noch da. Der Inhalt des gesamten Sammel-Ordners bräuchte ausgedruckt mindestens fünf Umzugskisten Platz. Man ahnt, wie wenig man sich jemals damit auseinandersetzen wollte. Warum liegt die Präsentation überhaupt noch in diesem und nicht längst in einem anderen, sinnvollen Ordner? Wurde sie jemals geöffnet? Warum nicht löschen? Vielleicht, weil sich nichts geändert hat. Damals hat man das Skript aus dem irrationalen Grund zu spät durchgearbeitet, es könnten sich darin plötzlich neue Lernlücken auftun. Heute rückt beim Löschen des einen Dokuments ein anderes nach. Dann müsste man ja alles aufräumen. Und dazu hat man gerade gar keine Zeit.

Kopf ab

Der Kerl trägt es in sich. Der Kunststoff-Bauarbeiter, Phänotyp Playmobil-Figur, ist ein USB-Stick, ein Datenträger. Man muss ihm allerdings den Kopf abreißen, um an die Informationen zu kommen. Als Alexander von Humboldt 1799 zu seiner Amerika-Reise aufbrach, schleppte er Dutzende Bücher-Kisten mit. Nach seiner Rückkehr schrieb er mehr als 30 Bände über seine Forschungsreise. Das komplette Werk würde locker auf einen USB-Stick passen. Wie viel Gigabyte hat eigentlich ein Mensch? Egal. Auf dem Weg zur transportablen Allwissenheit lässt sich der biologische Speicher dank der feuerzeuggroßen Datenträger beliebig erweitern. Deshalb wird auch kein einziger von ihnen weggeworfen. Kann ja sein, dass der Bauarbeiter irgendwann mal so viel wert ist wie die seilhüpfende Ü-Ei-Figur Schlumpfine, die für 375 Euro angeboten wird. Manche USB-Sticks sind auch so eine Art Ü-Ei. Der damit auf Computer eingeschleppte Virus löscht alles.

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