Transmediale in Berlin:Hilflose Gesten gegen die Überwachung

Aus dem Informations- wurde das Überwachungszeitalter. Doch was kommt danach? In einer Gegenwart, die längst erfasst ist, sucht die digitale Welt auf dem Berliner Digitalkultur-Festival Transmediale nach ihrer Zukunft.

Von Jens-Christian Rabe

Es gab eine Zeit, nicht mehr drei oder vier Jahre ist das her, da konnte man sogar auf notorisch kritischen Medienkunst-Konferenzen der goldenen Zukunft kaum entkommen. Künstler und Theoretiker schienen fest daran zu glauben, dass man mit Computer-Technologie die Welt schon irgendwie befreien können würde, wenn man nur lange und kreativ genug damit herumspielte.

Man redete unbeschwert und hoffnungsfroh von der subversiven Kraft des "Glitch", also flüchtigen Computer-Störungen. Oder freute sich ehrfürchtig über das anonyme Hackernetzwerk Anonymous, das im Namen von Meinungsfreiheit und Menschlichkeit reihenweise die Netzseiten von Firmen angriff, die der Enthüllungsplattform Wikileaks das Leben schwer machten. So war das. Zum Beispiel auf der Transmediale im Berliner Haus der Kulturen der Welt, einer der ältesten und größten Konferenzen zur Medienkultur, die in der vergangenen Woche zum achtundzwanzigsten Mal über die Bühne ging.

Aber schon die vorletzte Ausgabe fühlte sich an, als sei sie Jahrzehnte her. Denn zwischen damals und heute liegt der Edward-Snowden-Schock. Die Gewissheit also, dass der amerikanische Geheimdienst NSA - im Namen der Terrorismusbekämpfung - die Kommunikation beinahe der gesamten Welt überwacht.

Und das ist nur die eine, die staatliche Seite. Auf der anderen stehen Konzerne der privaten Digitalwirtschaft, deren Datensammelwut längst auch keine Grenzen mehr kennt. Erst am vergangenen Freitag hat man als Facebook-Nutzer automatisch neuen allgemeinen Geschäftsbedingungen zugestimmt, die es Facebook ermöglichen, noch mehr und immer genauere Informationen über seine Mitglieder zu horten. Und zwar nicht nur über deren Bewegungen innerhalb des sozialen Netzwerks, sondern auch über deren Bewegungen überall sonst im Netz.

Die Welt, in digitale Daten übersetzt

Die Transmediale ist als Medienkunst-Forum und Konferenz zur digitalen Kultur neben Hacker-Konferenzen wie dem Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs und den TED- und DLD-Konferenzen so etwas wie der dritte Weg, auf dem die Gegenwart versucht, sich selbst auf die Spur zu kommen. Die Hacker können die Lage naturgemäß besser technisch analysieren, als in Gedanken erfassen, weshalb sie sich zuletzt etwas in Verschlüsselungsfragen verzettelt haben. Bei DLD steht vor allem die nächste große Geschäftsidee im Mittelpunkt, bei TED die unerschütterliche Hoffnung auf eine bessere Welt durch Technik.

Es war in der vergangenen Woche deshalb kein Ort geeigneter für Erkundungen zur geistigen Situation der Zeit als die diesjährige Transmediale, bei der es unter dem Titel "Capture All" (alles erfassen) um die Frage ging, was es bedeutet, wenn alles, was die Welt ist, in digitalisierte Daten übersetzt worden ist und damit potenziell zu jeder Zeit durchleuchtbar, auswertbar und Zwecken zuführbar ist, denen niemand je explizit zugestimmt hat. Siehe NSA und Facebook.

Rettung durch menschenfreundliche Algorithmen?

Zu erleben war dann auf den Panels die heilige Dreiuneinigkeit in friedlichster Koexistenz. Los ging es maximal desillusionierend mit einer Vorstellung des Films "Silenced", den der Filmemacher James Spione über hochrangige ehemaligen NSA-Mitarbeiter wie Thomas Drake oder William Binney gedreht hat, die zu Whistleblowern wurden, weil sie nach dem 11. September 2001 nicht mehr nur 200 000 echte Terrorverdächtige überwachen sollten, sondern 4 Milliarden.

Drake und Binney waren später auch auf der Bühne und ließen keinen Zweifel daran, dass die globale Totalüberwachung eine Tatsache ist. Es gebe keine neue App, die nicht auch ein Überwachungsintrument sei, und das Internet werde schlicht als Teil eines globalen Schlachtfeldes angesehen.

Und dann waren da die Medienkünstler, ihrerseits verblüffend unerschütterlich in ihrem Glauben, dass es menschenfreundlichere Algorithmen schon richten werden, ein bisschen Open-Source-Software, etwas Netz-Dezentralisierung und ein paar ganz clevere technologische Subversiongesten. Sie nennen es "Gaming the System". Warum nicht mal das Smartphone mit all den fiesen Tracking- und Fitness-Apps ein paar Tage lang auf eine Spielzeug-Drohne kleben oder an der Hauskatze festschnallen und so die Daten verzerren? Und warum nicht mal, wie die Künstlerin Jennifer Lynn Morone, sich selbst als Firma eintragen und so zum Gründer, CEO und Produkt seiner eigenen Daten machen, um sich aus der Ohnmacht gegenüber den Datensammlern zu befreien? Smarte Gesten waren das, und in ihrer kritischen Zuversichtlichkeit doch so erschreckend wie symptomatisch hilflos.

Das Informationszeitalter frisst die Werte seiner Wirte

Und schließlich war da Evgeny Morozov, gerade 30 Jahre alt und einer der Superstars der Internetkritik, der bei seinem Auftritt kurzerhand den ganzen Technologie-Träumern aus den Kunsthochschulen die Ohren lang zog. Nachdem er sich stoisch langwierige Ausführungen seiner Vorredner über avancierte gegenkulturelle Algorithmen-Theorie und die Mathematisierung des Abnormalen angehört hatte, sagte er nur, man möge ihm verzeihen, dass er seine Sache nicht ähnlich elaboriert ausführen werde. Er wolle kurz und vulgär sprechen. Es sei ja gut und schön, dass man sich hier so liebevoll mit technologischen Einzelheiten auseinandersetze. Aber wer glaube, es reiche aus, wenn Algorithmen-Entwickler nur etwas mehr Derrida und Foucault läsen, damit sich die Lage zum Besseren wende, der habe nichts verstanden. Das Problem sei, dass die Daten heute in privater Hand seien und daher nicht dem Allgemeinwohl, sondern der Profitmaximierung dienten. Und das wiederrum sei - siehe Griechenland - nur zu ändern, wenn man sich in die Politik wage und zu Wahl stelle.

Ein harter Reality-Check war das. Und doch musste man gleich wieder an die NSA-Whistleblower Thomas Drake und William Binney denken. In die öffentliche Hand sind die Datenmassen letztlich ja auch nicht mehr zu wünschen. Das Beste wäre wohl das längst Unmögliche. Wenn es die Daten gar nicht gäbe.

Und so wandelte man schwer ernüchtert im Haus der Kulturen der Welt umher, das im Berliner Tiergarten genau zwischen dem Kanzleramt und Schloss Bellevue liegt, dem Sitz des Bundespräsidenten. Die Kongresshalle wurde Mitte der Fünfziger erbaut und ist bis heute ein prächtiger Bau der neuen Sachlichkeit.

Die große Inschrift im Foyer ist ein Satz von Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der USA. Sie ist mannshoch tatsächlich in Stein gemeißelt: "Gebe Gott, dass nicht nur die Liebe zur Freiheit, sondern auch ein tiefes Bewusstsein von den Rechten der Menschen alle Völker der Erde durchdringe, so dass ein Philosoph, wohin immer er seinen Fuß auch setzen möge, sagen kann, dies ist mein Vaterland."

Es scheint, als sei dieses tiefe Bewusstsein von den Rechten der Menschen - sei es im Namen der Terrorismusbekämpfung oder im Namen des Profits - inzwischen so wenig selbstverständlich zu sein wie lange nicht. Optimismus, sagt man, ist oft nur eine Form von Informationsmangel. Im Informationszeitalter könnte es sein, dass der Satz von einer selbstgerechten Pointe eines Salon-Nihilisten zur Wahrheit gerinnt. Das Informationszeitalter ist zum Überwachungszeitalter geworden und frisst die Werte seiner Wirte bei lebendigem Leibe. Das ist die geistige Situation unserer Zeit.

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