Tödliche Schüsse auf Michael Brown:Der beste Zeuge ist die Waffe

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Waffen in den USA. Was, wenn sie reden könnten? (Foto: AFP)
  • Das Start-up Yardarm will mit Hilfe von Sensoren Polizeiwaffen mit dem Internet verbinden.
  • Die Polizei im kalifornischen Santa Cruz testet die neue Technik.
  • Die Daten könnten vor Gericht, aber auch im Einsatz wichtige Informationen liefern.

Von Johannes Kuhn, San Francisco, San Francisco

Es gibt einen stummen Zeugen im Fall Michael Brown. Er könnte die Ereignisse des 9. August verlässlicher als jeder Passant beschreiben, unbeeindruckbar und emotionslos. Er könnte wahrscheinlich dabei helfen, Fakten zu etablieren, wo derzeit widersprüchliche Aussagen herrschen.

Doch der Zeuge kann nicht sprechen, die Schusswaffe des Polizisten Darren Wilson liefert jenseits physischer Spuren keine Hilfe bei der Aufklärung. Wenn es nach dem kalifornischen Start-up Yardarm geht, soll sich dies künftig ändern: Die Firma möchte Waffen mit Hilfe von Sensoren zum Reden bringen.

Wo sich die Waffe befindet, ob sie gezogen ist oder abgefeuert wird, sogar der Neigungsgrad - das alles soll mittels kleiner Sensoren an Griff und Halterung in Echtzeit gesammelt, gespeichert und übermittelt werden. "Stellen sie sich das Ganze als objektiven Datenstrom vor", sagt Jim Schaff von Yardarm, "ähnlich wie Körperkameras oder Dashcams in Polizeiautos."

Das Start-up aus Santa Cruz südlich des Silicon Valley kommt aus der Sensoren-Branche und wollte zunächst normale Waffenbesitzer ansprechen, erkannte dann aber den Bedarf bei der Polizei. Die Firma hat vor allem zwei Einsatzszenarien im Sinn: Zum einen soll die Waffe digitale kriminaltechnische Beweise vor Gericht liefern können, zum anderen direkt die Einsatzkontrolle verbessern. So lässt sich zum Beispiel in der Zentrale ein Alarm auslösen, wenn die Waffe aus dem Halfter genommen wird.

Im Bezirk Santa Cruz fungieren derzeit zwölf Polizeibeamte als Testpersonen für die Prototypen, ein ähnliches Projekt läuft in Texas. "Die Technik ist ungemein praktisch", sagt Sheriff-Sprecher Kelly Kent, "ich habe selbst schon häufiger Verdächtige durch Hinterhöfe verfolgt und wusste dann nicht, wo ich bin. Künftig kann die Zentrale einfach meine Waffe orten." Zudem lieferten die Daten "harte Fakten", wenn es um Schusswaffengebrauch von Polizisten ginge. "In vielen Fällen widersprechen sich Augenzeugen und Beamte erinnern sich ehrlicherweise nicht genau an den Ablauf."

Die Polizei des Bezirks Santa Cruz gilt als besonders fortschrittlich, sie arbeitet schon mit "Predictive Policing", also Algorithmen, die aus Kriminalitätsdaten wahrscheinliche Orte und Uhrzeiten für bestimmte Verbrechen vorhersagen.

Wie Polizisten andernorts auf die Technik reagieren, ist schwer abzusehen. Das zeigt die Debatte um Körperkameras. Amerikanische Polizei-Gewerkschaftler warnen immer wieder davor, dass so genannte "Smart Guns" gehackt werden könnten, sie raten zu einer behutsamen Einführung.

"Am Anfang gibt es immer Skepsis gegenüber neuer Technik, doch bei der Windschutzscheiben-Kamera hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass sie viele Vorwürfe gegen Polizisten entkräften hilft", sagt Jim Schaff von Yardarm. Einer Studie im kalifornischen Bezirk Rialto zufolge hat die Zahl der Beschwerden über Polizisten um 87,5 Prozent abgenommen, seitdem diese Körperkameras verwenden.

Adam Winkler von der Bürgerrechtsorganisation ACLU warnte allerdings jüngst davor, sich zu sehr auf technische Beweise zu verlassen. Diese seien "sehr überzeugend, aber nicht immer akkurat". Ein GPS-Signal beispielsweise kann eine leichte Abweichung zum echten Standort aufweisen - und in Kriminalfällen geht es häufig um Zentimeter.

Im umstrittenen Fall des getöteten Michael Brown hätte der Datenstrom eine hilfreiche Quelle für die Rekonstruktion seiner letzten Momente sein können. Ob die Geschworenen mit ihrer Hilfe anders entschieden hätten, steht auf einem anderen Blatt.

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