The Edge Question 2015:"Nie so klug wie Dreijährige"

Lesezeit: 4 min

  • The Edge Question 2015: Was denken Sie über Maschinen, die denken?
  • Alison Gopnik, Brian Eno und David L. Everett haben auf die Frage des Literaturagenten John Brockman geantwortet.
  • Weitere Antworten von prominenten Wissenschaftlern und Künstlern gibt es auf der Website edge.org.

Von Alison Gopnik, Brian Eno und Daniel L. Everett

Das Lernen stand im Zentrum des neuen Revivals der künstlichen Intelligenz. Aber bei Weitem am besten lernen immer noch menschliche Kinder. In den letzten zehn Jahren haben Entwicklungsforscher, oft in Zusammenarbeit mit Computerwissenschaftlern, versucht herauszufinden, wie Kinder so schnell so viel lernen können. In den letzten 15 Jahren entdeckten wir, dass sogar Babys erstaunlich gut statistische Muster erkennen. Und Computerwissenschaftler erfanden Maschinen, die ebenfalls sehr gut sind im statistischen Lernen. Mit Techniken wie "Deep Learning" lassen sich auch komplizierte statistische Phänomene in riesigen Datenmengen erkennen. Das Ergebnis ist, dass Computer plötzlich in der Lage sind, Dinge zu tun, die bislang unmöglich waren, etwa Bilder im Internet korrekt zu verschlagworten.

Das Problem bei dieser Form des rein statistischen Maschinenlernens ist, dass dazu enorme Mengen von Daten erforderlich sind, und zwar Daten, die zuvor von menschlichen Gehirnen bearbeitet wurden. Computer können Bilder im Netz nur erkennen, weil zuvor Millionen von echten Menschen die unglaublich komplexe Information vor ihrer Netzhaut zu einem hochstilisierten, beschränkten und vereinfachten Instagram ihrer süßen Katze reduziert und diese Bilder auch eindeutig mit Begriffen verknüpft haben. Die dystopische Phantasie ist ganz einfach wahr: Wir alle dienen Googles Computern, unter der einschläfernden Illusion, dass wir uns einfach nur an Katzenbildern erfreuen. Und trotz all dieser Hilfe brauchen Maschinen noch riesige Datenmengen und extrem komplexe Rechenoperationen, um ein unbekanntes Bild zu sehen und zu sagen: "Miezekatze!" - etwas, das jedes Baby schon nach ein paar Beispielen beherrscht.

Sobald wir alle Einzelschritte eines Rechenprozesses haben, können wir ihn auf einem Computer programmieren. Das ist die Grundidee elektronischer Datenverarbeitung. Dieses Computer-Rechnen ist nach wie vor die beste und einzige wissenschaftliche Erklärung dafür, wie das physische Objekt namens Gehirn intelligent handeln kann. Doch wir wissen fast nichts über die Form von Kreativität, die Kinder besitzen. Solange das so ist, werden auch die größten und mächtigsten Computer nicht an die kleinsten und schwächsten Menschen heranreichen.

The Edge Question 2015
:Was denken Sie über Maschinen, die denken?

Einmal im Jahr stellt der Literaturagent John Brockman Wissenschaftlern auf der Website edge.org eine Frage. Dieses Jahr geht es um künstliche Intelligenz. Hier eine Auswahl von Antworten.

Von David Gelernter, Peter Norvig und Douglas Coupland

Alison Gopnik, Psychologin, University of California, Berkeley

Ich bin gerade in meinem Landhäuschen. Sobald die Zentralheizung angeht, werde ich aufstehen und mir einen Tee und einen Haferbrei machen. Ich schalte den World Service an, um Nachrichten zu hören und mache ein paar Anrufe, weil hier was abgedichtet werden muss. Dann pflanze ich wahrscheinlich ein paar Osterglockenzwiebeln für den Frühling (auf der Packung heißt es, dass das jetzt sein sollte). Ich glaube, danach gehe ich in den Supermarkt und hole mir was fürs Mittag- und Abendessen. Vielleicht nehme ich dann den Bus nach Norwich und schaue mir ein neues Bett an. Ich habe keinen Breitband-Anschluss in meinem Landhäuschen, deswegen werde ich in Norwich auch meine E-Mails checken, einen Zug nach London reservieren und eine Stromrechnung bezahlen.

Was ich dabei alles nicht verstehe: Ich weiß nicht, wie das Öl, das meine Zentralheizung befeuert, von weit entfernten Ölfeldern in mein Haus kommt. Ich weiß nicht, wie der Hafer oder der Tee zu mir geschafft wurden. Ich weiß nicht, wie mein Telefon oder mein Digitalradio funktionieren oder wie die Nachrichten, die mich erreichen, gesammelt und redigiert wurden. Ich verstehe nichts von der Komplexität, den Bus- und Zugverkehr zu organisieren. Ich werde keine Ahnung haben, wie man eine Supermarktkette führt oder wie Betten hergestellt werden oder was genau passiert, wenn ich bei einer E-Mail "senden" drücke, oder wie Geld überwiesen wird. Ich verstehe auch nicht, wie man ein Haus isoliert oder warum ich die Osterglocken nicht schon im Dezember pflanzen konnte.

Der Witz ist aber, dass mich meine bodenlose Unwissenheit über so ziemlich alles, was ich an diesem Morgen tue, nicht stören wird. Ich bin daran gewöhnt. Vor langer Zeit haben die Menschen aufgehört, multikompetente Individuen zu sein, die ihr eigenes Essen jagen, ihr eigenes Feuer anzünden und ihre eigenen Werkzeuge herstellten, damit sie Spezialisten werden konnten, Teil einer größeren Gemeinde von Menschen, die untereinander all das tun konnten, was zu tun ist. Ist diese enorme Struktur aus Kompetenzen und Möglichkeiten wirklich von "künstlicher Intelligenz" zu unterscheiden? Die Sorte, die digitale Computer produzieren, ist eigentlich nur ein neues Fraktal in einem großen Zusammenhang. Letztendlich haben wir seit Tausenden Jahren sehr glücklich mit einer künstlichen Intelligenz gelebt.

Brian Eno, Musiker und Produzent, London

Je mehr wir über das Denken lernen, umso deutlicher wird, dass das menschliche Denken als Knotenpunkt unterschiedlicher Faktoren verstanden werden muss. Als Konglomerat aus Aktionen und Reaktionen des menschlichen Körpers, der menschlichen Emotion, Kultur und speziellen Eigenschaften des gesamten Gehirns. Einer der größten Fehler der westlich geprägten Philosophie war es, dem cartesianischen Dualismus des berühmten Statements: "Ich denke, also bin ich" Glauben zu schenken. Es ist nicht weniger wahr zu sagen: "Ich verbrenne Kalorien, also bin ich."Noch besser wäre es, zu sagen: "Ich bin das Ergebnis menschlicher Evolutionsgeschichte, deshalb kann ich darüber nachdenken, dass ich bin."

Wenn das so ist, dann ist Intelligenz kaum verwandt mit einer "Intelligenz", die mit all diesen Faktoren nichts zu tun hat. Ich glaube an "Künstliche Intelligenz", so lange wir dabei bleiben, dass sie künstlich ist. Vergleicht man die Problemlösungen, die Computer heute anbieten, ihr Schachspiel, ihre "Argumentationen" mit den menschlichen Fähigkeiten, dann ist es, als vergleiche man den Flug eines Airbus 320 mit einem Adler.

Es gibt viele Gründe dafür, dass künstliche Intelligenz nicht dasselbe wie reale Intelligenz ist. Erstens: Das "Semantische Problem". Es besteht darin, dass ein Computer, der Englisch in Mandarin übersetzt, weder Englisch noch Mandarin spricht. Es gibt keinen Computer, der eine menschliche Sprache erlernen kann, es gibt nur Bits und Anweisungen.

Zweitens gibt es jenes Problem, das ich die "dunkle Materie" nenne, manche Philosophen sprechen von "implizitem Wissen." Wir besitzen die Fähigkeit, unsere Wahrnehmungen nach Wahrscheinlichkeiten zu bewerten, wegen unserer Gefühle, unserer Erfahrungen, unsere Sensibilität und unserer starken sozialen Bindungen.

Computer sind in der Lage, sehr viele Probleme zu lösen. Aber sie können nicht lieben. Sie können nicht urinieren. Sie können keine sozialen Bindungen eingehen. Die Furcht, dass Maschinen uns steuern könnten, ist nichts anderes als die in wissenschaftliche Fachsprache übersetzte Idee einer "Seele" in der Religion. Sie lenkt von wirklichem Verständnis ab.

Künstliche Intelligenz kann eines Tages durchaus weniger künstlich als heute sein, wenn es ums Erschaffen von Körpern, Emotionen, sozialen Rollen, Werten geht. Bis es soweit ist, werden Staubsauger, Taschenrechner und niedliche Roboter, die Triviales von sich geben, nützlich sein.

Daniel L. Everett, Linguist und Autor, Bentley University, Massachusetts

© SZ vom 16.1.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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