Technologie:Unter Trump endet Amerikas Herrschaft über das Internet

NSA Phone Records Big Data Photo Gallery

Wird das Internet auch in Zukunft noch von einem Staat dominiert?

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Die Republikaner lassen die Telekom-Branche mit der Privatsphäre der Bürger machen, was sie will. Das schadet auch Google und Facebook, die Obama klar bevorzugte.

Von Evgeny Morozov

Etliche Paradoxe werden Donald Trump in den nächsten Monaten verfolgen. Dies zeigte sich kürzlich, als der Senat Gesetze zum Schutz der Privatsphäre wieder aufhob, die in den letzten Jahren von Obamas Amtszeit verabschiedet worden waren.

Obama behandelte die Telekom- und Internetanbieter wie Versorgungsunternehmen und regulierte so deren Umgang mit gesammelten Nutzerdaten. Ermutigt von Trump, erlauben die Republikaner den Firmen nun, diese Daten zu sammeln, zu verkaufen und zu manipulieren, ohne die Genehmigung der Benutzer einzuholen.

Auf kurze Sicht kommt das Telekomfirmen wie Verizon und AT&T natürlich entgegen, zumal im zunehmend heftigen Konkurrenzkampf mit ihren datensammelnden Gegenspielern im Silicon Valley.

Telekomfirmen haben nicht ohne Grund darüber geklagt, dass die Obama-Regierung Google und Facebook bevorzugt habe. Um ihre Geschäftsinteressen zu verteidigen, bemühen diese gern eine hochtrabende Rhetorik von der "Freiheit des Internets" - mit Erfolg: Sie werden traditionell weniger streng beaufsichtigt.

Die Demokraten, die sich immer freuen, wenn sie Trump angreifen können, haben sich auf dieses Thema gestürzt. Sie warnen davor, dass der Senatsbeschluss zu ständiger und weitreichender Überwachung durch die Telekomfirmen führen könnte. Die Konzerne im Silicon Valley würden solche Sünden natürlich niemals begehen.

"Diese neuen Gesetze führen dazu, dass dein Breitbandanbieter bald mehr über dich und deine Gesundheit weiß, als du jemals deinem eigenen Arzt anvertrauen würdest", klagt Bill Nelson, Senator aus Florida. Dass Google und Facebook das alles und noch vieles mehr längst wissen, stört die Demokraten kaum.

Diese Naivität haben sich die Demokraten selbst zuzuschreiben. In den Achtzigerjahren haben Mitte-links-Bewegungen auf beiden Seiten des Atlantiks aufgehört, Kriterien wie Gerechtigkeit oder Fairness auf ihre Technologiepolitik anzuwenden. Stattdessen eiferten sie lieber ihren neoliberalen Gegnern nach und unterstellten alle Themen der Technologiepolitik, aber auch in etlichen anderen Bereichen einem einzigen großen Ziel: Innovation.

Multilateralismus bedeutete in Washington schon immer "Multi-Märkte"

Doch wenn man ein politisches Programm auf derart schwache ökonomische Fundamente stellt, hat man es sofort mit konkurrierenden Theorien zu tun, welches dieser Programme innovativer sei.

So wird die gesamte Geschichte des Internets - dieser flüssigen und grenzenlosen Struktur, die von Großrechnern bis zur Software, mit der die Server betrieben werden, alles beinhaltet - ein äußerst kontroverses Thema. Je nachdem wie man "Internet" definiert, lässt sich so der Ruf nach mehr Regulierung oder mehr Deregulierung digitaler Technologien begründen.

Wie sehr Trump auch von der lähmenden Orthodoxie der Republikaner abweicht, er teilt deren bizarre Ansicht, derzufolge die Demokraten ein Haufen heimlicher Sozialisten sind, die sich zwar auf die Rhetorik der "Menschenrechte" und des "Humanismus" berufen, doch dadurch nur ihre eigentliche, radikale Agenda vertuschen wollen. Das hindert Trump allerdings nicht daran, Hillary Clinton und ihre Leute zugleich zu beschuldigen, von Goldman Sachs und der Wall Street bezahlt zu sein. Dort planen anscheinend heutzutage glühende Sozialisten die Revolution.

Dabei würde selbst eine oberflächliche Analyse der Unterstützung amerikanischer Firmen durch Bill Clinton und Barack Obama in den vergangenen zwei Jahrzehnten deren bemerkenswert kapitalistischen Instinkte offenbaren. Mit Abkommen wie TTIP oder TiSA (Trade in Services Agreement) und anderen haben die Demokraten Amerikas Großkapital immer über alles gestellt. So gesehen, unterschieden sich die Demokraten nicht wirklich von den Republikanern der Prä-Trump-Ära.

Was Trump und Leute wie John Bolton - die Vertreter des radikalen Flügels der republikanischen Partei - bei den Demokraten als giftige Mixtur aus Sozialismus und Humanitarismus darstellen, ist nichts weiter als eine banale Mischung aus Kapitalismus und Pseudo-Humanitarismus.

"Wir sind ein Imperium, wir kontrollieren die Kommunikation auf der ganzen Welt"

Washington hat seine ökonomische Expansionspolitik durch ständige, rhetorische Appelle an den Universalismus des "globalen Dorfes" gerechtfertigt. Eine Taktik, die schon unter Woodrow Wilson funktionierte und keinesfalls eine Erfindung von Clinton oder Obama ist. Multilateralismus bedeutete in Amerika schon immer "Multi-Märkte".

Manchmal funktionierte diese Rhetorik, manchmal nicht. Trotzdem bedurfte sie in der globalen Arena einer Legitimation. Deswegen musste Washington ab und zu sein nettes Gesicht zeigen, seine Plutokraten in die Schranken weisen und dafür sorgen, dass die Plünderung der heimischen Bevölkerung das Bild von Wohlstand und Freiheit nicht gefährdete, das im Ausland die Dominanz Amerikas unterstrich.

Obama ist während seiner Präsidentschaft von diesem Skript kaum abgewichen. Während der Snowden-Enthüllungen sagte die Regierung nicht einfach: "Wir sind ein Imperium, wir kontrollieren die Kommunikation auf der ganzen Welt, findet euch damit ab", wie es vielleicht die Bush-Regierung getan hätte. Stattdessen tat Obama alles, um die exzessive Überwachung zu leugnen.

In gewisser Weise war das vernünftig: Wer hätte den amerikanischen Technologiefirmen sonst noch vertraut? Warum würden deutsche, russische oder chinesische staatliche Institutionen sonst weiterhin ihre sensiblen Dokumente auf deren Servern lagern?

Kurzfristig werden die Profite der Branche steigen, doch der Preis dafür wird hoch sein

Obama versuchte zu beruhigen, indem er versicherte, Amerika habe gute Absichten und sei vertrauenswürdig. Und hat Obama nicht alles für die Verteidigung der Netzneutralität getan? Es gab Bemühungen, diese rhetorische Blase platzen zu lassen. Zum Beispiel durch den Hinweis, dass Einschränkungen des freien Datenflusses keinesfalls Einschränkungen der freien Meinungsäußerung implizierten; sie sollten eher als (protektionistische) Handelsinstrumente angesehen werden.

Es wurde außerdem darauf hingewiesen, die technologische Herrschaft eines Landes bloß nicht aufs Spiel zu setzen, um nicht im neokolonialen Regime des Silicon Valley zu enden. Diese Bemühungen wurden sofort als reaktionär und autoritär abgetan; für gewöhnlich von derselben Denkfabrik in Washington, die enge Kontakte zu Google, Facebook und Microsoft unterhielt.

Durch die heimische Telekom-Industrie angespornt und durch seine geringen Berührungspunkte zu globalen Märkten begünstigt, hat Trump vielleicht mehr dazu beigetragen, die Debatte über technologische Herrschaft wieder zu entfachen, als alle anderen Kritiker der technologischen Expansionspolitik Amerikas zusammen.

Man kann sich ausmalen, wie die Deregulierung der amerikanischen Telekom-Industrie deren Profite kurzfristig vermehren wird. Doch ist schwer vorstellbar, wie die Praktiken, die dadurch möglich werden - insbesondere die Aufzeichnung unseres Internetverkehrs zugunsten von mehr Werbung - auf Dauer mit der Vision einer amerikanischen Dominanz im Internet einhergehen sollen, der alle Seiten zustimmen können.

Erst dieses ungerechtfertigte Vertrauen in das amerikanisierte Internet hat das enorme Wachstum eines wahrhaft gesunden Sektors der amerikanischen Wirtschaft gestützt, eben der Technologie.

Davon muss man nun Abschied nehmen. Die Ära des amerikanisch dominierten Internets ist zu Ende. Obama konnte noch in autoritären Staaten immer für die "Freiheit des Internets" eintreten, während er selbst das ausgeklügeltste Überwachungsprogramm der Geschichte verantwortet hat.

Trump aber kann nicht auf derlei wohlklingende Rhetorik zurückgreifen. Und die Deregulierungsagenda der Republikaner wird all die internationalen Verbündeten verstimmen, die dem jetzigen amerikanischen Präsidenten sonst erhalten geblieben wären. "Macht Amerika wieder groß, indem ihr Amerikas Hegemonie über das globale Internet beseitigt!" - das ist doch mal ein mitreißender Slogan.

Aus dem Englischen von Natalie Broschat

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: