Tech-Festival SXSW in Texas:Hinter jeder zweiten Tür ein Start-up

Visitors attend the 2015 Trade Show at the South by Southwest (SXSW) interactive, film and music conference in Austin

Besucher der Tech-Konferenz SXSW in Austin, Texas.

(Foto: REUTERS)

Auf jeder Party lauern Gründer, die ihre Start-up-Ideen vorstellen wollen. Datenschutz interessiert in Amerika niemanden. Produkt-Präsentationen nehmen überhand. Eindrücke von der South-by-Southwest.

Von Lutz Knappmann und Johannes Kuhn, Austin

Technologie-Messe, Klassentreffen und Mega-Konferenz: Digital-Neugierige aus aller Welt treffen sich noch bis Dienstag zur "South by Southwest Interactive" in Austin, Texas, um über die Technologie-Entwicklungen und die Welt von morgen zu diskutieren. Wir beleuchten Themen und Trends der "SXSW".

Start-ups - Euphorie und Blasen-Warnung

Gedrängel der Ideen: Schon immer nutzten die Tech-Branchen aus aller Welt die SXSW, um für ihre Ideen und Jungunternehmen zu werben. 2014 ist es gefühlt noch einmal voller geworden, hinter jeder zweiten Tür versteckt sich ein Start-up-Wettbewerb - den offiziellen der SXSW im Bereich Gesundheit gewann übrigens die Hamburger Firma Sonormed für Tinnitracks, eine App, die soll Tinnitus lindern soll.

Selbst auf Partys fragen Gründer freundlich "Darf ich dir meinen Pitch zeigen?", also den Kurzvortrag, mit dem sie Investoren überzeugen wollen. Die Zahl der unausgereiften Ideen und Nachmacher-Produkte übertrifft dabei die guten Einfälle um ein Vielfaches, gerade bei Smartphone-Apps. Und das nicht nur auf Partys. (joku)

Europäische Bescheidenheit: Zwei Vertreter der Start-up-Branche wollen mit einem Auftritt den Amerikanern die europäische Tech-Welt erklären. Während in den USA nun eine Ansammlung von buntesten Übertreibungen kommen würde, zählen die Europäer erst mal ehrlich die Probleme auf: weniger Geld, weniger Erfahrung, große regionale Unterschiede. Über ein paar Doch-nicht-so-schlecht-Argumente wie gute technische Fähigkeiten und geringere Kosten kommen sie in der letzten Folie der Präsentation zum Schluss: "Wir sind äußerst optimistisch", und scheinen selbst nicht ganz daran zu glauben. Falls Investoren im Raum sind, dürften sie ihn zu diesem Zeitpunkt schon fluchtartig verlassen haben. Dabei steht Europa doch nicht sooo schlecht da. (joku)

Die Risiko-Blase: Während die Europäer über zu wenig Geld klagen, bekommen die Silicon-Valley-Start-ups das Geld nachgeworfen. Der erfolgreiche Investor Bill Gurley von der Firma Benchmark Capital hält das für keine gute Idee: "Es gibt keine Angst im Silicon Valley", sagt er, und es ist kein Kompliment. "Wir nehmen Risiko in einer Größenordnung auf uns, die ich noch nie gesehen habe", erklärt er und prognostiziert, dass in diesem Jahr einige mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertete Start-ups ("Einhörner") das Zeitliche segnen werden. Todesursache: Geldverbrennung. (joku)

NSA-Kritik als Außenseiter-Haltung

Wenn die republikanischen Kongressabgeordneten Darrell Issa (Kalifornien) und Blake Farenthold (Texas) mit ihrer demokratischen Kollegin Suzan DelBene (Washington State) übereinstimmen, dass die Überwachung gestoppt werden muss, reibt sich der Europäer verdutzt die Augen.

Wie wäre es, wenn Geheimdienst-Mitarbeiter für illegale Spionageaktivitäten plötzlich strafrechtlich belangt werden könnten? Wenn ein Gesetz den Zugriff von US-Ermittlern auf jene Daten regeln würde, die amerikanische Firmen auf ausländischen Servern speichern? Wenn der Patriot Act, der große Teile der NSA-Überwachung legitimiert, ausgesetzt würde? Ein Traum wäre das, den die drei auf der Podiumsdiskussion beschwören. Aber eben auch nicht mehr - die drei Abgeordneten kommen aus liberalen Wahlkreisen und haben für ihre Forderungen keine Mehrheit. (joku)

Ethikfragen - überraschende bis problematische Antworten

Datenschutz, made in USA: Wenn die obersten Datenschützer von Facebook, Google und Microsoft gemeinsam auf einem Podium sitzen, gäbe es viel zu diskutieren. Nur steht das Podium in den USA, wo die Debatte um das Sammeln von Daten nicht existiert. Stattdessen bleiben Erin Egan, Keith Enright und Brendon Lynch vage und sprechen über Extremfälle wie "konzeptuelles Risiko" - was passiert beispielsweise, wenn ein Online-Buchhändler persönliche Daten an eine Versicherung verkauft, die so herausfindet, dass ein Kunde sich Bücher über eine schwere Krankheit bestellt?

Das Recht auf Vergessen und die europäischen Regulierungsversuche werden argwöhnisch beäugt, aber inzwischen sehr ernst genommen. "Es wird mehr Diskussionen über die Ethik der Nutzung von Daten geben, und es könnte sicherlich systematischere Ansätze geben" sagt Microsoft-Mann Lynch und meint damit: technische Lösungen. (joku)

Ethik und Gesundheit: Digitale Gesundheit und Selbst-Quantifizierung sind eines der Megathemen bei der SXSW. Matthew Cowperthwaite, Forschungs-Chef des NeuroTexas-Instituts am St.-David's-Krankenhaus in Austin, weist auf die ethische Dimension dieser Entwicklung hin: Die Verantwortung im Umgang und in der Analyse der Daten sei gewaltig: "Die Folgen können sehr ernst sein: Menschen sterben", warnt Cowperthwaite. Zumal die verfügbaren Daten so zahlreich sind und zugleich so intim, dass Datensicherheit zur zentralen Bedingung wird.

Doch sollen die Patienten alle Daten einsehen dürfen, die über sie erhoben werden? Gilt auch in der digitalen Medizin die Haltung: "Es sind die Daten des Patienten, also muss er auch über sie verfügen können"? Ganz uneingeschränkt will Cowperthwaite das nicht bejahen. Denn genau dort liegt eine weitere ethische Dimension der digitalen Gesundheitsdaten: Helfen kann die Datenflut den Menschen nur, wenn sie daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können. Womit die Vision vom digitalen Gesundheitswesen auch zu einer Bildungsfrage wird. (luk)

Der Tod ist keine Lösung: Was sagt es über eine Tech-Konferenz aus, wenn eine Transhumanistin den größten Andrang weckt? Mehreren Tausend Menschen erzählt Martine Rothblatt, CEO von United Therapeutics und bestbezahlte Chefin der USA, von der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Eine Welt, in der "unser Tod optional ist" und wir unseren Verstand digital klonen, damit er als Mischung aus körperlosem Zwilling und Diener agiert (zum Beispiel, indem er uns lästige Computer-Arbeit abnimmt).

Rothblatt hat mit dem "Terasem Movement" eine eigene Religion gegründet, die metaphysische Bedürfnisse der ultrarationalen Technologie-Schäfchen mit dem Versprechen auf ewiges Leben befriedigt. Ethische Fragen werden thematisiert, aber vom Optimismus weggespült. Außerhalb der SXSW gilt so etwas schlicht als Spinnerei, doch weil ein digitales Gehirn theoretisch einmal möglich ist und Technologie gerade jede Wette gewinnt, erhält Rothblatt staunende Zustimmung vom unkritischen Teil der Herde. (joku)

Keynote-Werbeauftritte: Die SXSW dürfte in diesem Jahr einen Rekord in der Disziplin "Produktpräsentationen als Keynotes tarnen" aufstellen. Ob Start-up oder Buch: Oft verbirgt sich gerade hinter den großen Auftritten nichts als eine Werbebotschaft für die eigene Sache. Das ist nur in der Geballtheit neu, doch wenn dann auch noch Investoren Unternehmensgründer interviewen, deren Firma sie finanziell unterstützen, wird es peinlich. Noch trösten viele spannende Workshops und Diskussionen, doch die SXSW muss aufpassen, dass sich nicht der Ruf verfestigt, einzig eine nette Party-Konferenz für die Tech-Meute zu sein. (joku)

Kollegen vom Münchner Aus- und Fortbildungskanal afk tv und von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien haben eine bayerische Delegation auf der SXSW begleitet und ihre Eindrücke von der Veranstaltung hier in einer Reihe von Videobeiträgen festgehalten.

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