Tauschbörse Napster feiert:Die kopierte Kopie kopieren

Der Eierkocher der Musik: Vor zehn Jahren erfand der Student Shawn Fanning die Tauschbörse Napster - und revolutionierte damit den Umgang mit Musik.

Dirk von Gehlen

Die Haare sind schuld. Sie wuchsen Mitte der neunziger Jahre so kraus (auf Englisch "nappy") auf dem Kopf des Teenagers Shawn Fanning, dass dieser seine Frisur zum Nutzernamen machte, unter dem er im Netz surfte. Und so war es naheliegend, dass der User "Napster" die Haar-Metapher auch gebrauchte, als er dem Programm, das er im Sommer vor zehn Jahren erfand, einen Namen geben musste.

Tauschbörse Napster feiert: Den Namen für die Tauschbörse verdankt Shawn Fanning seinem krausen Haar. Im Englischen wird kraus mit "nappy" übersetzt. Heute ist er ein angesehener Internetentwickler - und trägt seine Haare kurz.

Den Namen für die Tauschbörse verdankt Shawn Fanning seinem krausen Haar. Im Englischen wird kraus mit "nappy" übersetzt. Heute ist er ein angesehener Internetentwickler - und trägt seine Haare kurz.

(Foto: Foto: dpa)

Was Fanning damals nicht ahnen konnte: Napster war der Beginn einer Entwicklung, die noch lange kein Ende finden wird. Und der lustig gemeinte User-Name eines amerikanischen Teenagers wurde zum Synonym für all die Probleme der Digitalisierung, die die Kreativindustrie auch heute noch drücken.

Denn an der Geschichte von Napster kann man vor allem sehen, wie diese Herausforderungen nur unzureichend bewältigt werden. Die erste weltbekannte Tauschbörse wurde nach nur zwei Jahren geschlossen. Die Fragen, die sie aufgeworfen hat, sind bis heute offen.

Riesige Dateien schnell verteilen

Als der 18-jährige Shawn Fanning sich nach nicht mal einem Semester an der Northeastern University in Boston entschied, die Hochschule wieder zu verlassen, um sich auf seine private Programmierarbeit zu konzentrieren, nutzten die meisten Menschen noch Disketten, um Daten zu transportieren. Es war der Beginn des Jahres 1999.

Wer heute selbstverständlich auf einem winzigen 16 Gigabyte-Stift eine komplette Plattensammlung in der Tasche herumträgt, sollte sich daran erinnern: Der Speicherplatz einer Diskette reichte meist nicht mal für die ersten Akkorde eines zu einem MP3 komprimierten Songs.

Deshalb war Fannings Erfindung, die er im Frühsommer vor zehn Jahren präsentierte, so folgenreich: Dank des Napster zugrunde liegenden Tauschsystems konnten auch die für damalige Verhältnisse riesigen Dateien schnell und unkompliziert verteilt werden - und zwar völlig unabhängig von ihrem Datenträger.

Mit einem Klick Musik runterladen

CDs, die bekannteste Trägerform für Musik im Jahr 1999, wurden so im Prinzip überflüssig, der Vertrieb konnte mit einem Mausklick erledigt werden. Napster befreite die Musik von ihrem Datenträger und wurde deshalb zum Präzedenzfall für alle anderen Branchen, die ebenfalls von der Digitalisierung erfasst werden.

Shawn Fanning machte die Computer der Millionen Nutzer zu kleinen Servern, die über einen zentralen Napster-Rechner Anfragen bearbeiteten. Fannings Programm durchsuchte dabei die Computer seiner Anwender nach MP3-Dateien und verband, wenn eine Anfrage nach dieser einging, den suchenden und den anbietenden Computer miteinander.

Diese Technologie wird als Peer-to-Peer (P2P)-Kommunikation bezeichnet und beschreibt einen Austausch unter Gleichen - in diesem Fall Computern. Sie dient dazu, die Last großer Dateien so zu verteilen, dass diese nicht ausschließlich von einem zentralen Rechner getragen werden muss. Derartige Peer-to-Peer-Systeme werden heute beispielsweise auch eingesetzt, um Internettelefonate via Skype zu ermöglichen.

Unter Programmierern sind diese Systeme mit Erleichterung aufgenommen worden. In der Musikindustrie jedoch beobachtete man die Entwicklung des P2P-Progamms Napster mit großer Sorge. Denn von Anfang an wurden diese Systeme auch dazu benutzt, um damit urheberrechtlich geschützte Dateien zu duplizieren. Bis zum Ende des Jahres 1999 hatten bereits zwei Millionen Nutzer Shawn Fannings Software auf ihren Rechnern installiert.

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Napster vor Gericht

Kein Programm faszinierte die Menschen damals mehr als diese Software zum Datentausch. Und dennoch: Wer im Herbst 1999 von Napster wusste, musste sich in Sachen Internet und Musik schon gut auskennen.

Tauschbörse Napster feiert: Dank des Napster zugrunde liegenden Tauschsystems konnten riesige Dateien schnell verteilt werden - völlig unabhängig von ihrem Datenträger.

Dank des Napster zugrunde liegenden Tauschsystems konnten riesige Dateien schnell verteilt werden - völlig unabhängig von ihrem Datenträger.

(Foto: Foto: AP)

Den Mainstream erreichte das Programm ironischerweise erst mit Hilfe der Musikindustrie. Deren amerikanischer Dachverband zog nämlich im Dezember 1999 in Kalifornien, wohin Fanning mittlerweile wegen der Nähe zum Silicon Valley übersiedelt war, gegen Napster vor Gericht und verschaffte der Tauschbörse damit genau die Popularität, die sie eigentlich unterbinden wollte.

Das Nachrichtenmagazin Newsweek präsentierte Fanning wenige Monate später auf dem Titel, zahlreiche Medien stürzten sich auf die Geschichte des kleinen Studenten, der sich der großen Musikindustrie erwehren musste und immer mehr Menschen entdeckten dessen Software für sich. Als Napster schließlich nach zähen Verhandlungen im Frühjahr 2001 in seiner ursprünglichen Form eingestellt wurde, war die Zahl der Nutzer auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland angewachsen: 80 Millionen Menschen tauschten via Napster Musik.

Napster öffnet Tür zur weltgrößten Musikbibliothek

Man muss die Faszination des Programms verstehen, um Antworten auf die Fragen finden zu können, die Shawn Fannings Programm aufwirft. Napster öffnete die Tür zur weltgrößten Musikbibliothek, Napster fand die abwegigsten und ungewöhnlichsten Lieder innerhalb von Sekunden. Wo Musikfans vorher jahrelang Flohmärkte und Plattenläden durchstöbern mussten, um bestimmte Lieder zu finden, lieferte Napster Ergebnisse auf Knopfdruck.

Das war nicht nur neu und anders, es war eine Revolution. Denn all diese Songs waren auch noch kostenfrei verfügbar. Die Napster-User stellten sie einander zur Verfügung und kopierten sie, so wie sich Menschen in den Generationen zuvor bereits Musik empfohlen und kopiert hatten.

Doch dank Shawn Fannings Erfindung geschah all dies auf einem neuen technischen Niveau - ohne Qualitätseinbußen und ohne dass die Vorlage Schaden nahm. Hier liegt der revolutionäre Gedanke, denn die digitale Kopie erschafft etwas, das es vorher nicht gab: identische Originale. Deshalb traf und trifft der Vorwurf des Diebstahls die Tauschbörsen-Nutzer nur eingeschränkt. Sie haben nicht das Gefühl, etwas wegzunehmen oder zu stehlen.

Wenn sie einen Song von einem fremden Rechner nehmen, also kopieren, verschwindet dieser ja dort nicht, er ist an beiden Orten vorhanden. Dieser Aspekt und die Faszination der schieren Masse haben mindestens so viel für die Popularität von Napster getan, wie die Tatsache, dass die Songs kostenfrei zur Verfügung stehen.

Shawn Fanning gab dem sogenannten Endverbraucher eine nie geahnte Macht, versetzte ihn in eine nahezu paradiesische Situation. Das traditionelle Vertriebsmodell von Musik schickte er damit jedoch in die Hölle. Die Musikmanager reagierten darauf, wie sie auch heute noch oft reagieren: aggressiv abwehrend. Sie bemühten Gerichte und verbreiteten Untergangsszenarien.

Auf der nächsten Seite: Welche Nachfolger Napster hatte

Eierkocher für Musik

Anders als beispielsweise die Gründer von Skype (die zuvor den Napster-Nachfolger Kazaa nach dem gleichen Prinzip betrieben) sahen sie jedoch nicht die Chancen der neuen P2P-Technologie; sie versuchten, sie zu bekämpfen.

Mit mäßigem Erfolg. Zwar musste Fanning nach einer gerichtlichen Niederlage im Frühjahr 2001 Napster schließen, aber seine Nachfolger ließen nicht lange auf sich warten. Und sie waren technisch noch schwerer zu kontrollieren als das Programm aus dem Jahr 1999.

Denn wo Fanning noch einen zentralen Server benötigte, der Anfragen und Angebote miteinander verband (und den man als Musikindustrie lahmlegen konnte), kommen neuere Angebote wie BitTorrent ohne diesen zentralen Knoten aus und sind so kaum mehr fassbar. Sie eindämmen zu wollen gleicht einem Kampf gegen Windmühlen.

Im Wissen um diese Entwicklung muss man sagen: Shawn Fanning hat vor zehn Jahren so etwas wie den Eierkocher für Musik erfunden - was kulturell zu verstehen ist und weniger technisch. Denn genau wie ein einmal gekochtes Ei nicht mehr in den ungekochten Zustand zurückversetzt werden kann, ist auch der Umgang mit Musik nicht mehr so wie vor dem Sommertag vor zehn Jahren, als ein Student aus Boston ein Programm schrieb, um seine Lieblingslieder mit seinen Freunden zu teilen.

Gratis-Kultur im Internet

Und genau wie man anders mit einem gekochten Ei umgehen muss als mit einem rohen, verlangt auch die Napster-Welt einen anderen Umgang, um die Chancen der Digitalisierung zum Nutzen von Kunden und Künstlern einzusetzen. So lange beispielsweise die in Online-Geschäften käuflich erworbenen Lieder wegen ihres Kopierschutzes nur begrenzt abspielbar sind und eine schlechtere Qualität haben als diejenigen, die kostenlos aus der Tauschbörse kopiert werden, wird die Klage über die Gratis-Kultur im Internet, die Napster losgetreten habe, ungehört verhallen.

Es dauerte eine Weile, bis jemand die von Napster geweckten Kundenwünsche nicht bekämpfte, sondern zu erfüllen versuchte, und es war erstaunlicherweise nicht die Musik-, sondern die Computerindustrie, die im Jahr 2001 den iPod erfand. Dieser damals neuartige MP3-Player war sozusagen der Eierbecher für das frischgekochte Ei. Dem Computerhersteller Apple gelang es, die Idee von Napster auf urheberrechtlich legale Beine zu stellen.

Dabei drehte Apple das bisherige Geschäftsmodell von den Füßen auf den Kopf: Viel Geld verlangt der Computerhersteller nämlich keineswegs für Musik, sondern für den emotional aufgeladenen Speicherplatz. Der iPod, das coole Gerät, ist teuer, die Musik, also der Inhalt, der auf dem iPod läuft, ist günstig.

Gar nichts gelernt

Shawn Fanning trägt die Haare mittlerweile raspelkurz. Aus dem Uni-Abbrecher mit dem krausen Haar ist ein angesehener Internetentwickler geworden. Zuletzt verkaufte er sein Unternehmen ThreeSF mit dem Netzwerk Rupture, in dem sich Computerspieler austauschen, an den Branchenriesen Electronic Arts.

Als er aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums von Napster unlängst gefragt wurde, was er im Wissen um die rechtlichen Auseinandersetzungen um die Tauschbörse heute anders machen würde, antwortete er: ,,Gar nichts!'', und fasste mit diesen beiden Worten auch zusammen, was er von der Strategie der juristischen Verfolgung als Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung hält.

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